Links im Sinnraum
Links nach draußen
Abschied vom Homo Oeconomicus – Warum wir eine neue ökonomische Vernunft brauchen
Geld verdirbt das Denken, mal so – mal anders. Phasic Instinct oder Hin und Her zwischen Luxus und Wirtschaftskrieg. Und je nach Füllstand des Bauches und der Höhe des Adrenalinpegels denken wir uns dazu passende Wirtschaftstheorien aus, mit denen unser Geist sich mit dem Bauch in Einklang bringt. Wir haben eigentlich keine Wirtschaftstheorien! Es sind Tagesgedanken.
Das dachte ich bei mir – seit Jahren einigermaßen erschüttert über die Veränderungen unserer ethischen Leitbilder, die sich unter dem Zwang des Ökonomischen verkrümmen.
Mit sozialer Marktwirtschaft und protestantischer Arbeitsethik wuchs ich auf, es wurde viel von Pflicht und Hausbau geredet. Die Edelfresswelle folgte – Gastarbeiter wurden für das angeworben, was wir nicht tun wollten. Das „Haltet Maß“ von Ludwig Ehrhard wurde verlacht – er hat das sicher bei qualmender Zigarre gesagt, stellten wir uns vor. Die Gewerkschaften wurden mächtig und erkämpften klotzige Lohnerhöhungen, die schon damals Sargnägeln glichen. Wenn aber Luxus herrscht, ist es ganz leicht, mit Effizienz die schlafende Konkurrenz zu unterbieten. Toyotas Lean Management brach in die Welt und kippte den menschlichen Schweinezyklus um. Alles wurde nun auf die Waage gelegt und rationalisiert. Hatte man vorher noch eine eigene Kurklinik in jede Straße gebaut, damit man nicht weit laufen musste, so wurde nun gespart. Das war sehr vernünftig!
Aus dieser einstigen Vernunft mitten im Luxus aber wurde Sparwut und ein Aktienrausch. Vorher wertvolle Arbeitnehmer, die unter protestantischer Arbeitsethik ihre Pflicht taten, wurden zu Human Resources, die sich als solche den Darwinschen Gesetzen unterwerfen mussten. Das ist die Natur! Aussortieren von Faulpelzen dient der Weiterentwicklung der Menschheit!
Ist das nicht schrecklich, wie weit die menschlichen Sichten auf das immer Gleiche auseinanderklaffen, bloß weil die Wirtschaft mal so, mal anders ist? Geld verdirbt das Denken, mal so – mal anders. Unmaß im Luxus wechselt mit Unmaß im Wirtschaftskrieg, dazwischen herrscht zeitweise Vernunft. Das Pendel schwingt hin und her, meist ist es draußen.
„Wenn es keinen Gott gäbe – wir müssten einen erfinden!“ Und das tun wir ja auch. Ebenso erfinden wir Wirtschaftstheorien für jede Lage, damit wir theoretisch erklären können, was unser Bauch will. „Wirtschaft ist eine Veranstaltung mit dem Ziel allgemeiner Prosperität.“ So sagen wir in guten Tagen, wenn es nicht viel kostet, Menschen zu lieben. „Wirtschaft regelt die ökonomischen Tätigkeiten der selbstverantwortlichen Einzelnen.“ Das sagen wir in schlechten Zeiten, damit wir nichts geben müssen.
Ich sehe also: Es gibt gar keine allgemeingültigen „Theorien“, sondern vorwiegend nur Tagesgedanken, die die jeweilige Bauchstimmung wiedergeben. Wer Leute entlässt, kennt Darwin – wer händeringend Ingenieure sucht, sieht in Menschen wertvolle Experten. Was der Bauch uns instinktiv als „wahr“ in den Kopf schickt, verarbeiten wir zu ökonomischen Weisheiten und diese wiederum zu Managementmethoden, die den ursprünglichen Bauch abbilden.
Etwa alle 20 oder 30 Jahre erleben wir eine umfassende Technologiewelle, die unsere ganze Infrastruktur umkrempelt: Eisenbahn, Stromnetz, Auto(-bahn), jetzt Internet. Jede neue Infrastruktur frisst einen Teil der vorhergehenden – das führt zu Überlebenskämpfen und „Turbokapitalismus“. Danach blüht die Welt unter der neuen Infrastruktur wieder auf bis hin zu wuchernden Luxusphasen.
Wegen dieses Hin und Her ist also jede beliebige Wirtschaftstheorie etwa alle 20 Jahre einmal eine Zeit lang wahr. Das erfreut deren Anhänger so, dass sie für immer an sie glauben. Deshalb nennen sie sich stolz Keynesianer oder Neoliberale, sind aber nur die geistig kristallisierte Stimme eines Zeitin-stinktes. Und genau deshalb ist es möglich, dass es immer diametral entgegen gesetzte Wirtschaftstheorien geben kann. Die Anhänger sind so berauscht von der Zeit, als sie Recht hatten, dass sie ihre „Theorie“ auch zu deren Unzeit hochhalten, wo sie verliert und in allgemeine Ungnade gefallen ist.
Wir sehen also immer die „Theorien“ aller möglichen Bauchstimmungen zu gleicher Zeit. Aber nur jeweils die „Theorie“ ist zu dieser Zeit „wahr“, die genau zur jetzigen Bauchstimmung und zur Höhe des Adrenalinpegels passt.
Deshalb haben wir den herrschenden Zeitgeist, den Zeitinstinkt, die Zeitpolitik und die Zeitethik. Muss das sein, dass sich selbst unsere „ewigen ethischen Regeln“ alle 20 Jahre wie die Wirtschaft verändern? Mal „alle Menschen wertvoll“, mal „nur Elite zählt“? Können wir nicht das wirtschaftliche temporär verstehen und temporär handeln. „Es sind schwere Zeiten, wir müssen entlassen. Bald stellen wir wieder ein.“ Oder müssen wir zum Entlassen wirklich den Geist so weit pervertieren, dass uns die Härte leicht fällt? „Wir müssen jetzt die Low Performer und Schmarotzer als Ballast abwerfen.“
Ich sehe nur, dass sich die polaren Wirtschafts-„Theoretiker“ andauernd streiten, wer JETZT Recht hat und versäumen es, wirklich ökonomisch zu denken. Dazu will ich mit dem Buch Anstoß geben/erregen.
Ich will ja nicht viel – nur nachhaltig andauernde Vernunft. Die gibt es ja auch ab und an, glaube ich!
Genesis:
29SJhe / sieben reiche jar werden komen in gantz Egyptenlande. 30Vnd nach den selben werden sieben jar Thewrezeit komen / das man vergessen wird aller solcher fülle in Egyptenlande / Vnd die Thewrezeit wird das Land verzehren / 31das man nichts wissen wird von der fülle im Lande / fur der Thewrenzeit / die her nach kompt / denn sie wird fast schweer sein. 32Das aber dem Pharao zum an-dern mal getreumet hat / bedeut / Das solchs Gott gewislich vnd eilend thun wird. 33NV sehe Pharao nach einem verstendigen vnd weisen Man / den er vber Egyptenland setze / 34vnd schaffe / das er Amptleute verordne im Lande / vnd neme den Fünfften in Egyptenlande / in den sieben reichen jaren / 35vnd samle alle Speise der guten Jare / die komen werden / Das sie Getreide auffschütten in Pharao kornheuser zum Vorrat in den Stedten / vnd verwarens / 36Auff das man Speise verordnet finde dem Lande in den sieben thewren Jaren / die vber Egyptenland komen werden / das nicht das Land fur Hunger verderbe.
Ich habe in der Zeit, als ich das Buch schrieb, viel über Sophrosyne nachgedacht, eine der Kardinaltugenden nach Platon. „Maßhalten. Wissen, was das Rechte zwischen den Extremen ist. Zwischen Freud und Leid, Hunger und Völlerei. Die Weisheit besitzen, die Mitte und das Gesunde zu kennen.“ In die-sem Sinne ist dieses Buch das ökonomische Pendant zu meinem Buch Topothesie, dass als zentrales Thema das Vermeiden von Übertreibungen im Menschen behandelt. Immer, wenn einige eindringlich „Hör doch auf!“ rufen, beginnt die Sünde, die Neurose, der Krieg oder die ökonomische Krise. Im Grunde müssen wir alle lernen, auf „Hör auf! Das geht zu weit!“ zu hören. Gier zum Beispiel geht im Prinzip zu weit, mit allen ökonomischen Folgen.