ViaGrata - die Ethikpille (Daily Dueck 63)

Jetzt kursieren Berichte um Bemühungen, unser Hirn zu verbessern. Die neue Bewegung heißt Neuro-Enhancement oder Cognitive Enhancement. Viele nehmen schon Constant-Focus-Pills, damit sie immer dasselbe gut können, ohne abgelenkt zu werden. Noch Viagra dazu und das Galeerensklaven-Diplom ist ein Klacks?

Werden die Studenten demnächst Brainagra schlucken, oder Mindagra? So fragte mich sinngemäß Jorinde Witte und schickte ein paar Links. Diese Kunstwörter sind nicht von JW, sie fielen nur sofort meiner satirischen Ader ein. Aber es gibt natürlich schon eine Web-Site www.brainagra.com, wo allerdings noch bessere Aufbauarbeit zu leisten wäre. Immerhin, vielen Menschen scheint auch ganz ohne Sarkasmus das Wort Brainagra einzufallen, weil sie etwas Wichtiges tun wollen, nämlich ihr Hirn verbessern.

Das wird ein tolles Geschäft! Ich habe sofort Patente auf etliche Wirkstoffe erteilen lassen.

• Dopamints verursachen Glücksgefühle in allen Geschmacksrichtungen, ich bevorzuge Zimt.
• Ritualin lässt Freude an Gewohnheiten des täglichen Lebens entstehen und löst Wohlgefallen bei Liturgien oder Litaneien jeder Art aus.
• Rennitentalin gibt Kraft und räumt alle Mägen auf.
• Virtualin gibt dem Menschen den unbeirrbaren Glauben an eigene Wunderkräfte.
• Permamental stärkt die geistige Anwesenheit in Meetings.
• Cephalagra löst Kopfschmerzen bei schon kleinsten Regelverstößen aus.
• Babel-Talg-Einreibungen mit Salbader-Honig um die Bartzone herum lösen die Zunge.
• Re-Minder fährt das Gehirn neu hoch.
• Sparma-Frequent parsed Liebesfreude in bekömmliche Dosen.
• Servus Servilis entspannt den Geist bei niederen Arbeiten. Gibt es auch als Feuchttuch.

Auch Werbung fiel mir dazu ein: „Trink Schläfenfeuer-Likör, oh träger Meister!“ Das war jetzt ein Spezialkalauer, weil ich in der Nähe von Braunschweig geboren bin.

So ähnlich haben wir ganz früher über die Klimaveränderung gelächelt, über das Internet und aufwändige Ganzkörperoperationen von Transanimalisten. Jetzt aber wird es noch ernster. Kann man demnächst noch ein überdurchschnittliches Master-Examen ohne Neuro-Enhancer bestehen? Müssen wir nicht vorher lernen, unter solchen Medikamenten überzüchtet an Langweiligem zu arbeiten? Und ich als Philosoph und Platon-Bewunderer – werde ich das Predigen aufgeben und Ethikpillen ausgeben? Via Grata – der erwünschte, willkommene Weg …

Ach angenommen, wir könnten Ethikpillen herstellen, die den Menschen für vier Stunden gut sein lassen! Wer würde sie kaufen? Die Guten wollen es ja immer selbst schaffen, ganz bio, wie eine ungespritzte Zitrone beim Gutsein lächeln – wie die Tugend selbst – und die Bösen versuchen es nicht einmal mit Viagrata, das ist sicher. Die Bösen wollen natürlich nicht, dass Pillen ihrer Persönlichkeit schaden. Wir müssen daher bezweifeln, dass es eine Nachfrage nach Ethikpillen geben wird. Außerdem müssten moralisch gesehen Ethikpillen billig sein, wenn uns das Gutsein teuer ist. Ich glaube deshalb, für Ethikpillen ist kein Markt.
Aber die Menschen, die sich von der Medizin nicht einfach nur Gesundheit erhoffen, sondern eine Leistungssteigerung – die werden alle Summen zahlen, soweit sie im Verhältnis zum erhofften Gewinn stehen. Sie werden sich teuerste Pillen kaufen, die sie in die Klasse der ein, zwei Prozent Spitzenverdiener katapultieren, worauf dann alle anderen Mitarbeiter sich etwas billigere Pillen kaufen müssen, um wenigstens mental das Vorauseilen der Leistungsturbos ertragen zu können. Und so wie die Leistungssportler ihren dopinggeschüttelten Körper mittelfristig der Verrottung opfern, damit er kurze Zeit Werbeaufträge absahnt, so werden sich die Großen Geister der näheren Zukunft ebenfalls den Körper ruinieren. Ein Nobelpreis reicht schon – und es ist ausgesorgt, dafür sind die Redehonorare hoch genug, der Körper kann den Nebenwirkungen geopfert werden.

Sie sagten uns, dass Dynamit gut zu Sprengungen unter Tage tauge. Das stimmt! Dynamit, das segensreiche, ermöglicht erst unsere Rohstoffversorgung und den Tunnelbau. Und man wird uns auch Viagrata, die Ethikpille, zu friedlichen Zwecken designen, damit der Mensch endlich durch seine eigene Anstrengung gut werden könne. Damit wird das Hintertürchen zu den Leistungssteigerern geöffnet.

Viagrata, die Ethikpille wird als Logo ein Feigenblatt auf der N2-Packung tragen und damit allen nachfolgenden tatsächlichen Ungeist verdecken.

Ich erinnere mich, ich war schon einmal vor acht Jahren so, so böse darüber. In dem Buch Beta-Inside Galaxie steht die garstige Geschichte von damals. Wollen Sie es sich einmal übel werden lassen? Sie handelt von einem Genie der D-Generation, was gerade durch viel bessere neuro-enhancte Vertreter der E-Generation abgelöst wird, ohne dass irgendjemand dem D-Genie etwas davon zu sagen wagt. Denn das D-Genie hält sich noch für die Krone der Schöpfung. Das Copy-Right hat der Springer-Verlag, ich zitiere hier nur den Anfang als Ende dieses DD.


Das Ende der D-Generation

Das D-Genie grübelt.
„Nach dieser Operation habe ich fünf Beine. Ich kann ihren Sinn nicht erkennen. Ich will sofort meinen Biologen sprechen. Hallo! – Hallo!“
Stille.
„Es rührt sich nichts. So geht es schon seit Wochen. Ich habe praktisch nur noch Schmerzen. Alles tut weh. Besonders aber die Behandlung, die ich erfahre. Mein Körper ist ohnehin schon sehr weich, ich liege durch und werde immer fetter. Alles eine Wunde. Seit ich eine Plastikhaut als Bauchdecke habe, sehe ich sehr klar, was in mir passiert, wenn ich es einmal schaffe, meinen dicken Mistkopf so weit zu heben. Die Organe sind alle deformiert, auch die neu eingepflanzten. Sie geben sich seit einiger Zeit nicht mehr viel Mühe, meinen Korpus zu stabilisieren. Ich habe noch Glück, weil ich wenigstens einen Top-Arm habe, dem nichts fehlt, andere sehen da vorne wie ein Tyrannosaurus aus, mit so vertrockneten Fühlern statt Armen. Ich klage ja nicht, denn ich sehe ja, wie schlecht es andere haben. Aber sie sollen sich um mich kümmern. Ich habe wieder erstklassige Ideen, aber es heißt immer: Der Herr Extraktor hat so viel zu tun, er kann sich nicht beliebig für mich freischaufeln. Ich brauche inzwischen schon mehrere Tage, um ihm alle meine neuen Erkenntnisse zu übergeben, so viel Neues weiß ich schon wieder! Ich wundere mich, warum sie nicht direkt gierig sind zu hören, was ich an Neuem habe. Ich weiß jetzt, wie alle die Schwierigkeiten beseitigt werden können. Sie werden mir dankbar sein! Sie werden sich so sehr freuen!“ – „Hallo!“ – …

Hallo? Sehen Sie, was auf uns zukommt, wenn wir nur leistungsfähig sein wollen und sonst nichts?

Gunter Dueck

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