Die Osteridee - Verraten Sie sie? (Daily Dueck 37)

Sie erschien eines Tages über dem Kaffeeautomaten – es mochte gegen Ostern gewesen sein. Über dem wohligen Dampfe einiger Kaffeetassen und Pappbecher bildete sie sich ganz undeutlich über den Köpfen der hitzig Diskutierenden: Es war die Idee.

Sie hatten zusammen eine Idee, wie sie die Firma retten könnten, wie sie ihr zur Auferstehung verhelfen würden. Die Idee erwärmte sie wie der Kaffee. Die Stimmen schwirrten. „Man könnte, man sollte, man müsste, dann wäre und hätte man.“
Peter erglühte besonders und war ganz berauscht – und die Idee besetzte ihn so ganz und gar, dass es hinfort „Peters Idee“ war, die aber eigentlich ihnen allen plötzlich erschienen war. Sie lachten und freuten sich. Da aber war die Pause zu Ende und sie zerstreuten sich in alle Winde. Peter rief sie auf zusammenzubleiben und alle Jünger der Idee zu werden. „Wartet! Wir schaffen das! Die Idee schafft das!“ Aber die anderen waren ungeduldig zur Arbeit zu kommen und murrten im Fortgehen. „Man wird Anstoß nehmen und sich ärgern, denn die Idee ist zu stark und zu ungewöhnlich!“

Peter blieb mit der Idee zurück. „Du bist meine Idee, nie werde ich an dir Anstoß nehmen! Wenn sich auch alle an dir ärgerten, so will ich doch nimmermehr von dir lassen!“ Die Idee aber war traurig, denn sie war schon etlichen erschienen, und sie kannte die Zukunft aus ihrer Erfahrung. Und sie wusste: „Wahrlich, ich sage dir – bis der Chef heute auch nur einmal die Brauen gehoben hat, wirst du mich dreimal verleugnen.“

Als sich am Nachmittag die Abteilung zu einem Meeting traf, in dem sie in einem wöchentlichen Statusritual die Versagensliturgie ihres Bereiches feierlich mit einem vielfachen traurigen „Wo stehen wir?“ begingen, fragte der Chef – so wie es am Ende immer üblich war, ob jemand eine Rettung sehen könnte. Da blickten sie verstohlen auf Peter – aber der schwieg seltsam furchtsam. Der Chef merkte wohl, dass über ihnen allen so etwas wie eine unsichtbare Wolke stand.
„War da nicht vorhin was?“, fragte ein Mitarbeiter und schaute Peter an. Der schüttelte den Kopf, weil er noch unsicher war. „Wirklich nicht?“, mischte sich eine Kollegin ein. „Ich…“, sagte Peter, „es ist zu früh, ich weiß nicht.“ – Der Chef ward ungeduldig und fuhr Peter fast an: „Was haben Sie zu sa-gen?“ Und Peter war nun ganz sicher sehr unsicher und antwortete fest: „Nichts.“ Da hob der Chef die Augenbrauen. Das sah Peters Herz und es krampfte sich zusammen, er sah über dem Tisch die schwebende Idee, stürzte hinaus und weinte bitterlich.
Und der Tag, an dem er die Idee dreimal verraten hatte, grub sich tief in ihn ein. Er beschloss, für die Idee von Pontius bis Pilatus zu gehen, er beschloss, drei Briefe an die Pharisäer zu schreiben … an die Bedenkenträger vielleicht auch zwei weitere, und noch mehr an die Zweifler, die Todakzeptanden und die nörgelnden Gesternanbeter …

Das ist meine kleine Geschichte zu Ostern. Sie ist ganz einfach und völlig durchsichtig klar. Sie kennen sie bestimmt, ohne sie sie gelesen zu haben. Sie kennen ihr Ende nach wenigen Worten. Sie ist glasklar.

Erinnern Sie sich an die Geschichte mit den Flöhen (DD36), die sich fürchten, bei zu hohen Sprüngen an eine Glasplatte zu prallen? Erinnern Sie sich an meine Frage, wo denn Ihre Glasplatte ist? Wie hoch sie gelegt wurde? Gibt es überhaupt eine Glasplatte? Ist sie so glasklar, dass sie nicht gesehen werden kann? Haben Sie schon einmal für Ihre Ideen wirklich mehr als dreimal Prügel bezogen, bevor Sie sie verraten haben? (Nicht ab und zu einmal für eine Idee einen Hieb – nein, ich meine, sehr oft Prügel für die gleiche Idee!) Ist die Glasplatte in Ihnen schon von Ihren Lehrern und Eltern eingezogen worden? Zertrümmern Sie sie. Es fühlt sich zu Ostern an wie der Beginn eines neuen Lebens. Das wird mehr Schmerzen bringen und mehr Glück, wie neues Leben eben so ist.

Meine Firma hat eine andere übernommen, wo die gefühlte Glasplatte deutlich tiefer zu hängen schien – und die „Neuen“ bei IBM waren ausgelassen froh, nun höher springen zu dürfen. Sie waren frei! Freiheit ist Dürfen. Das erhellte ihre Herzen, und sie schrieben es mir. Nun müssen sie nur noch höher springen, aber sie trauen sich nicht so recht. Die Glassplitter früherer Versuche stecken im Herzen und lassen verzagen. Hey! Los! Wir schaffen das! Freiheit ist Dürfen. Aber das Tun ist Leben.

Gunter Dueck

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