Links im Sinnraum
Die Rede sind Sie! (Daily Dueck 58)
Konferenzbesucher müssen so viele Reden erdulden. Viele Werbebotschaften, Wahl Gewinnendes, Flaches, langweilige Firmenvorstellungen und auch ganz unverständlich Technisches. Zuhören aber ist Pflicht, weil der Konferenzbesuch so teuer war. In uns weht die Sehnsucht nach jemandem, der etwas zu sagen hat, und wie!
Ich habe hier an dieser Stelle in anderen DDs überzeichnete Beispielreden vorgestellt. Ich habe mich hinterher gefragt, warum die Reden meistens so schlecht sind – wo auch immer.
Aber warum? Ich glaube, es ist wieder der Unterschied zwischen dem
Wollen und Müssen. Wir haben immer reden MÜSSEN. Wir mussten
Referate halten, vor denen wir Angst hatten. In der Oberstufe wie
auch auf der Universität kam es nur darauf an, wie uns der Lehrer
bewertete – das Publikum war Staffage. Reden halten war wie
eine Prüfung. Wir wurden immer nur numerisch bewertet, nie freundschaftlich
gecoacht. Nie war Dieter Bohlen da und hat einmal reinen Wein eingeschenkt.
Die Zuhörer litten. Studentische Seminarteilnehmer halten mühsam
die Augen auf, bis sie selbst mit Reden dran sind, danach kommen sie
nicht mehr zum grausamen Spiel. Die Themen sind in der Schule und
der Universität immer VORGESCHRIEBEN. Nie möchte jemand
von uns, dass wir über etwas sprechen, was uns interessiert oder
auf dem Herzen liegt.
Wäre es nicht viel einfacher, Menschen erst einmal Reden halten
zu lassen über etwas, was sie lieben und was sie mit anderen
teilen WOLLEN?
„Inspiriere die Zuhörer, stecke sie mit deiner Begeisterung an. Errege ihre Phantasie, erfülle ihre Herzen, erhelle ihren Geist, sprich aus ihrer Seele und reize ihre Sinne.“
Das hat etwas mit Widerhall im Zuhörer zu tun. Haben wir uns je damit befassen sollen? Sind unsere Lehrer und Professoren so? Wenn je ein(e) solche(r) daher kommt, hat er/sie schon das Zeug, unser Vorbild zu sein, so sehr lechzen wir nach dem Erfülltsein.
Wenn Sie zu einer Rede auf die Bühne kommen, schauen die Menschen voller Erwartung. Nach Sekunden wissen sie, ob Sie nun gleich Herzen vibrieren lassen oder mit Provokationen Neuronenstürme erzeugen. Sie wissen, ob es Ihnen ernst ist, ob Sie die Zuhörer wahrnehmen, was Sie mit Ihrer Rede beabsichtigen. In den Lehrbüchern heißt es dann erstaunt, dass die Zuhörer nur auf Körpersprache (zu 90%) und fast nicht auf den sachlichen Inhalt (nur 10%) reagieren. Manche sagen dann, es sei ja fast egal, was gesagt würde, nur in welcher Körpersprache – und dann leisten sich alle noch einen sündhaft teuren Kurs in Körpersprache und anderer Manipulation.
Ich denke doch, gute Reden sind eine Einheit von Inhalt, Rednerpersönlichkeit und Publikum. Alles andere stört oder ärgert. Wenn der Redner reden muss – verloren. „Ich lese die Rede vor, die mir die Ministerin mitgegeben hat, weil sie leider verhindert ist – sie wäre echt toll, zu so einem unwichtigen Event zu kommen. Das soll ich Ihnen sagen. Ich selbst habe nichts zu sagen, inhaltlich nicht und auch nicht im Sinne der Macht.“ Wenn der Redner nichts vom Publikum will – verloren. „Ich vertrete die Firma XY und zeige Ihnen nacheinander die Behauptungen unserer Prospekte, die ich auswendig gelernt habe.“ Wenn der Redner gar nicht reden will – eine Katastrophe. „Ich will unsere Reorganisation vorstellen, wie sie unwiderruflich beschlossen ist. Bitte prügeln Sie mich nicht, ich kann nichts dafür. Ich verkünde nur, aber mit der Sache habe ich nichts zu tun. Bitte hören Sie sich objektiv die Sache an und lassen Sie Ihre Emotionen nicht hier heraus. Unser Chairman appelliert an Ihre Professionalität. Er bittet, berechtigte Kritik schriftlich zusammen mit Ihren Entlassungspapieren einzureichen.“ Wenn der Redner eine durchsichtige Absicht verfolgt – wir hassen ihn. „Wir lieben Kunden und Mitarbeiter, Qualität und Sinn. Wir stehen für Exzellenz und müssen daher alle Menschen entlassen, die nicht mithalten. Dadurch werden wir servicefreundlicher und menschlicher.“
Diese Katastrophen spüren die Zuhörer sofort, wenn Sie auf die Bühne kommen. Jetzt gleich und die ganze Zeit sehen sie es. Ja, man sieht es an Ihrer Haltung, an Ihrem Körper, an Ihrer Stimme. Sind Sie glaubwürdig, aufrichtig, authentisch? Sieht man Ihnen den Ernst Ihrer Versprechen an, die Sie auch halten? Schwanken Sie, sind Sie unsicher? Haben Sie Angst? Sind Sie nervös? Wollen Sie nur heil davon kommen, etwas trickreich verkaufen, vor uns angeben, uns etwas vorlügen oder unterjubeln? Wollen Sie beschönigen, Erfolg herbeireden oder verführen? Wurden Sie nur geschickt geschickt?
Das Publikum merkt, ob Sie etwas auf dem Herzen haben, über das Sie ZU UNS reden WOLLEN, oder ob etwas Fremdes Sie antreibt, so dass Sie vor uns reden MÜSSEN.
Dagegen sind die „Wie“-Probleme gar nicht so schlimm, finde ich. Wer etwas zu sagen hat, muss nicht unbedingt begnadet vortragen. Wir verzeihen den Mangel an Talent, wenn die Gesamtbotschaft stimmt. Uns rührt das Authentische auch einfach so an. Wir verstehen groben, lauten Willen sehr gut. Wir schätzen klare Ansagen. Wir respektieren Ernst und Überzeugung. Wir vertrauen auf in Ihnen gefühlte Kompetenz.
Es ist nur indirekt Ihr Körper oder dessen Sprache, worauf wir
achten.
Die Rede sind Sie.
Ein Schauspieler mag den Hamlet perfekt spielen, das ist seine Rolle.
Als Redner aber müssen Sie Hamlet sein. Hamlet hat keinen Rhetorikkurs
belegt. To be or not to be ...