Role-Underload – würdigen Sie Menschen! (Daily Dueck 52)

Viele unter uns haben keine richtige Rolle gefunden, sie werden für Aushilfsarbeiten herumgeschubst und ganz sicher nicht gewürdigt oder beachtet. In ihnen stürmt es. „Wozu bin ich da?“

Es gibt gerade ein Buch der Autoren Philippe Rothlin und Peter R. Werder in den Bestsellerlisten. Es heißt Diagnose Boreout – Warum Unterforderung im Job krank macht. Das habe ich noch nicht gelesen. Es scheint um ein Krankwerden von Menschen zu gehen, die im Büro sitzen und nichts zu tun haben, worauf sie müde werden oder Arbeit vortäuschen oder im Internet surfen.

Das meine ich eigentlich nicht mit Role Underload. Bei IBM sitzt zum Beispiel niemand herum und hätte nichts zu tun. Glaub ich nicht! Aber ich kenne doch einige, die schwer darunter leiden, keine irgendwie wichtige Rolle einzunehmen. „Ich wäre so gerne einmal Projektleiter!“

Sehen Sie auch diese Menschen um sich, die subjektiv nichts haben, dem sie sich mit Herzblut widmen könnten? Lehrer werden zum Beispiel mitleidig angeschaut. „Armes Schwein mit diesen Kindern, aber dafür musst du auch kaum arbeiten und kriegst ein tolles Gehalt und keine Strafe, wenn du keine Ahnung hast.“ Viele Sekretärinnen, besonders solche in einem Pool mit vielen Chefs, fühlen sich herumgeschubst und träumen von einer tragenden Rolle bei einem guten Exec. Hausmeister und Empfangspersonal fühlen sich oft einfach nur benutzt. Hausfrauen leiden viele Jahre, weil die Familie ihre Rolle nicht würdigt. Sie schuften lieber noch irgendwo halbtags, weil sie dort draußen „jemand sind“. Sogar hoch bezahlte Linienmanager leiden, wenn sie vergleichsweise unwichtige Firmenbereiche leiten, die unter Umständen sogar noch im Regen stehen.

Wie reagieren die Menschen? Sie ächzen unter Unwichtigkeitsdepressionen. „Ich bin nichts.“ Wenn Sie so jemanden kennen, können Sie gleich die Probe machen. Stellen Sie einmal die grausame Frage: „Was tust du Wichtiges?“ – Das tun Sie natürlich hoffentlich nicht, aber merken Sie, wie Sie in Erwartung des Zusammenzuckens des Befragten schon Gänsehaut bekommen?

Menschen ohne Herzblutrolle reagieren oft „wurstig“ und machen, was sie wollen. „Wenn es keiner würdigt, nehme ich es selbst auch nicht ernst.“ Andere verkümmern in ein Nichts zusammen und verkriechen sich. Sehr viele (die meisten?) bekommen eine Art Verfolgungswahn. Sie fürchten sich vor normalen Fragen wie: „Ist das fertig?“ – „Wie viele Vorgänge hatten Sie letzte Woche?“ – „Warum hat Tim eine Vier, stimmt was nicht?“ Solche normalen Fragen normaler Leute werden schnell in eine Botschaft umgedichtet. „Du bist nichts.“ Vor dieser Botschaft fliehen sie und leiden an Paranoia. Schreien hilft nichts! „Ich hüte die Familie!“ zum Beispiel wird beschwichtigend beantwortet: „Ich weiß, das ist eine wichtige Aufgabe, um die ich dich nicht beneide. Ich aber verdiene das Geld unter Stress, das ist schwer. Bitte heitere mich auf, wenn ich nach Hause komme.“

Was bedeutet das, unter einer subjektiv unwichtigen Rolle zu leiden und dann nach den Arbeitsergebnissen in ihr gefragt zu werden? Messen von Leistungen ist heute die Lieblingsbeschäftigung der Chefs! Und bei denen, die unter Role Underload leiden, kommt immer heraus: „Du bist nichts.“ Im guten Falle, wenn die Arbeit erledigt wurde, klopfen sie einem wie einem braven Pferd an den Hals und sagen „Good Job“, dazu gibt es ein Stück Zucker. Im schlechten Falle: „Du hast einen so easy Job und auch das klappt nicht.“ Ganze Menschengruppen werden so durch Leistungsmessungen zermahlen, weil ihre Rolle nicht gewürdigt wird.

Role Underload ist weitgehend eine innen gefühlte Problematik.
Kann man etwas dagegen tun?

Viele „Unwichtige“ unter uns vollbringen gleich nach ihrer Arbeit Großes. Sie sind in der Kirche, bei der Feuerwehr und in Vereinen tätig, bebauen einen Weinberg oder frönen einem Hobby. Dort kann das wundervolle Herzblut abfließen. Vor einigen Jahren sagte mir einmal ein Chef eines großen Konzerns: „Hier sitzen sie apathisch rum und warten, dass man ihnen Feuer macht. Anschließend gehen sie nach Hause und sind dort bewunderungswürdige Ortsvorsteher und Laienprediger oder Trainer. Wie kann ich es schaffen, dass es andersherum geht? Dass sie hier arbeiten und zu Hause schlafen?“ – Antwort: „Geben Sie ihnen eine würdige Rolle.“

Viele andere subjektiv „Unwichtige“ versuchen schon direkt bei der Arbeit, ihre Rollen aufzuwerten. Verachtete Controller werden zu gefürchteten Bedenkenträgern und Spargroschenhütern. „Das ist meine Rolle.“ Ungewürdigtes Vorzimmer- und Empfangspersonal erschwert Zugänge, prüft Berechtigungen, schiebt Termine weg. „Wenn ich nicht hier wäre, würde der ganze Laden zusammenbrechen.“ Ungewürdigte Bürokraten in der Verwaltung erfinden immer neue Regeln oder Prozesse, unter denen sie dann selbst ersticken – aber sie haben nun eine wichtige Rolle als Hüter eines selbst erfundenen Grals. Lehrer verschaffen sich durch Härten und Zensurendrohungen Respekt und laden Eltern hochnotpeinlich vor. Alle, die sich ungewürdigt fühlen, machen sich irgendwie wichtig. Das kann sehr destruktiv werden und in Ausübung negativer Macht münden, bis hin zur Schikane. Sie versuchen als subjektiv Unwichtige, den vermeintlich Wichtigen zu sich herabzuwürdigen.

Wir schnauben empört: „Die/der macht sich wichtig!“ – Dies ist unsere gefühlte Ohnmacht als Rache dafür, dass wir nicht würdigten.

Manager – spüren Sie, wie viel „upside potential“ Sie noch in Ihrer Company haben?

Gunter Dueck

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