Role Overload – nichts geschieht richtig (Daily Dueck 51)

War das eine gute alte Zeit, als jeder noch seine Aufgabe hatte! Heute aber haben wir ganz viele Rollen, wie man so sagt. Jede dieser Rollen könnte ein Full-Time-Job sein, aber wir haben nur ein einziges Leben. Wie zerteilen wir uns also?

Zuerst kannten wir nur das funktionale Management, jeder hatte einen Platz in einer Hierarchie. Unser Boss war vor seiner Ernennung etwas Ähnliches wie wir, hatte von der Pike auf gelernt bzw. schon einmal selbst gearbeitet. Berater schwärmten aus und fanden heraus, dass viele mit ihrer Aufgabe nicht voll ausgelastet waren. „Keine Kunden an der Kasse! Ab zum Regaleinräumen!“ Wir bekamen mehrere Rollen. Wir begannen in lauter verschiedenen Projekten zu arbeiten, erhielten Nebenjobs in Task Forces, denen man Verbesserungen und Transformationen in der Firma zum Ziel gesetzt hatte.

Ein typischer Mitarbeiter ist nun Ehegatte, Elternteil, hat vier oder fünf Rollen im Betrieb, sitzt in drei Arbeitsgruppen zum Einsparen und zur Innovation. Er könnte noch Betriebsrat sein und Mitglied der Kindergarteninitiative. Und jetzt kommt das Problem: Im Grunde ist jeder Teiljob und jede Rolle ein Full-Time-Job, der viel Herzblut verlangt.
Im Prinzip also haben wir Arbeit für fünf bis zehn Leben! Aber wir haben nur Zeit für ein Leben.

Manche von uns versuchen das Problem durch Workaholismus zu lösen. Sie arbeiten statt 45 Stunden nun 70. Das aber hilft nicht bei Arbeit für sieben Leben! Das Role-Overload-Problem ist nicht durch Mehrarbeit lösbar!
Wir müssen konsequent unmäßige Anforderungen an uns ablehnen! Dazu haben wir keinen Mut. Deshalb beruhigen wir uns zum Teil mit unmäßiger und – wie gesagt – vollkommen sinnloser Mehrarbeit und versuchen, unsere Jobs zu priorisieren. Wir arbeiten dort, wo es uns persönlich etwas bringt, und dort, wo es brennt, und bestimmt, wo man uns Feuer unter dem Allerwertesten macht. Den Rest schieben wir weg. Wir erledigen das Nachrangige lasch, nur unter Zwang und ohne Herzblut – so gut es geht ganz nebenbei.

In jedem Projekt arbeiten jetzt so zehn Personen wie wir. Einige setzen hohe Priorität in das Projekt, die meisten eher nicht. An der Börse sagt man: „Wer’s eilig hat, muss bezahlen.“ Im Projektgeschäft: „Wem es wichtig ist, der soll es selbst abarbeiten.“ Deshalb arbeiten nun von zehn Leuten immer nur zwei oder drei mit, die anderen leisten kaum etwas Brauchbares und nehmen nur widerwillig und fast geistig abwesend an Telefonkonferenzen teil (und arbeiten dabei unsichtbar konzentriert an für sie Wichtigem). Projektleiter: „Hat jeder alles fertig, auch Sie?“ – „Ich? Es ging nicht, ich war völlig unter Wasser, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, ich habe es aber hier noch auf meiner To-Do-Liste stehen, keine Frage. Sorry for inconvenience, aber ich kann mich nicht zerreißen. Ich bin hier bestimmt derjenige, der am meisten arbeitet, aber ich kann nicht zaubern.“
Weil jeder Arbeit für sieben Leben hat und nur für eineinhalb Leben arbeitet, bringt immer nur ein Fünftel der Projektmitarbeiter Herzblut auf! (7 / 1.5 = 4.666) Für die anderen ist DIESES Projekt nicht wichtig.
Ein Fünftel ist zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Deshalb stottern die meisten Projekte erfolglos weiter. Die meisten scheitern mehr oder weniger ganz und gar. Schlimmer noch als das bloße Scheitern: Sie verschwenden unser Leben mit sinnlosen so genannten Arbeiten, hinter denen zu wenig Willen zum Gelingen steckt. Wir verderben in Halbherzigkeit.

Es gibt keine Rettung aus der Sinnlosigkeit, solange ganz schneidige Manager unentwegt mit geschwellter Brust tönen: „Wer sich zu wenig vornimmt, schafft auch zu wenig.“

Was kommt heraus? Wir haben für uns selbst seit einigen Jahren stillschweigend akzeptiert, dass wir Dinge schlecht tun, für die wir keine Zeit haben. „Sorry, ich war unter Wasser.“ Wir akzeptieren jeden Role Overload von unseren Chefs und liefern lausige, hastige Qualität ab.

(„Wir haben rasend eilig eine neue Strategie für unsere Company gezimmert. Wir brauchen sie dringend, weil der Aufsichtsrat kommt. Sachlich ist uns nichts eingefallen, dafür war keine Zeit. Wir haben dann „schnelleres Wachstum als der Markt“ als Mindestziel festgelegt, weil wir das noch nie geschafft haben. Das wird dem Aufsichtsrat imponieren.“ – „Ich habe endlich die Erlaubnis zu einem wichtigen Lehrgang bekommen, aber ich musste nebenbei noch meinen Job machen. Ich lief dauernd aus dem Kursprogramm raus und telefonierte. Ich habe deshalb nicht viel verstanden, aber ich be-komme das komplette Wissen auf CD mit. Ging nicht besser.“ – „Kind, ich kann nicht bei jedem Abiturball dabei sein, das verstehst du doch. Du machst doch auch schon seit Jahren Party-Hopping, weil du nichts wirklich schaffst.“)

Wer zu viele Rollen akzeptiert, erlaubt sich innerlich, bei Unwichtigem schlecht zu arbeiten.
Weil alle etwas anderes wichtig finden, bleibt nicht nur für einen jeden das eigene Unwichtige liegen, sondern praktisch alles.
Wir lassen uns treiben, wir werden getrieben. Wir arbeiten ab, was jetzt unbedingt sein muss. Das einzige, was am Ende geschafft ist, sind wir.

Und unser Boss sagt: „Die Komplexität lähmt uns.“ Es ist derselbe, der sich aus Grundsatz zu viel vornimmt. Siebenmal mehr, was den Misserfolg garantiert. Und der Boss sieht außerdem in Unkenntnis der Role-Overload-Problematik ganz naiv, dass immer nur ein Fünftel von uns im engeren Sinne mit Herzblut arbeitet. Deshalb kommt er zur Erkenntnis, dass wir im Mittel kaum etwas tun. Er merkt, dass wir uns dauernd mit Unterwassersein entschuldigen. Er schließt daraus mit oberflächlicher Logik: Er ist Boss von fast lauter Low Perfomern. Er versucht selbst vergeblich, durch persönliche Überarbeitung einiges zu retten. Unbewusst ist ihm glasklar, dass sie ihn weiter oben für einen Low Performer halten – aber das wäre nicht gerecht. Denn er kämpft wie ein heiliger Krieger.

Von allem ein bisschen. Nichts richtig.

Gunter Dueck

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