Links im Sinnraum
Haben Sie das Recht zum Rat? (Daily Dueck 45)
„Warum lüftest du nicht am Morgen? Wie oft habe ich es gesagt! Hallo? Hörst du mich? Bin ich Luft? Du ignorierst mich, ja? Ich mache das Fenster auf. Du machst es gleich wieder zu, wenn ich rausgehe, oder? Darf ich dir noch einen Rat geben, welche Socken du anziehen solltest? Warum schaust du immer so leidend? Früher warst du wenigstens aufbrausend. Du wirst schlapp.“
Besonders Menschen mit Exekutionssucht werfen guten Rat und Empfehlungen wie Konfetti um sich herum, und die Menschen haben diese wie Regen zu ertragen. Zum Glück für sie selbst werden sie oft Chefs, Lehrer, Väter oder so ähnlich und können dasselbe nun als mehr verbindliche Anordnung ausstoßen.
Für mein Gefühl habe ich zu viele Ratschläge als Kind bekommen und mich irgendwie aus der Angelegenheit zurückgezogen – ich habe versucht, autark zu werden. Und noch als Erwachsener hörte sich das „zu Hause“ so an: „Du siehst gut im Anzug aus, aber er ist etwas zu hell. Dunkel macht feiner, das muss ich dir einmal sagen. Ich will es nur gesagt haben, Kind. Ich weiß, du nimmst keine Ratschläge von mir an, was ich nicht verstehen kann, denn meine Ratschläge sind nur lieb gemeint. Du nimmst doch auch Ratschläge von deiner Frau an, die ist wohl ausschlaggebend, ja? Was hat das mit der Sache an sich zu tun, wer den Rat gibt? Du hast wohl Angst, dass deine Frau was anderes sagt, wenn du auf mich hörst und dunkler gehst? Ist es das, ja? Ich will doch nur, dass ich dich schick finden kann.“
Kennen Sie solche Kommunikationskatastrophen? Schweigen.
Im Autohaus: „Warum wollen Sie unbedingt die kleine Version? Bei Ihrer Stellung. Schauen Sie hier die Luxuslimousine in Goldlack mit Internet in den Rücksitzen. Plappplappplapppapperlapapp….“
Im Unternehmen: „Sagen Sie einmal, können wir einmal darüber reden, ob Sie die Programmierfehler nicht schneller finden können? Wenn Sie zum Beispiel schneller programmieren, steigt der Gewinn. Ich habe Sie beobachtet. Sie tippen beim Programmieren nicht schnell. Ich habe es mit der Sekretärin verglichen, ein enormer Unterschied. Deshalb habe ich Sie zu einem traditionellen Schreibmaschinenlehrgang angemeldet, der sonst ziemlich leer ist. Sie können ihn leicht an 20 Feierabenden ableisten und wir haben keinen Verlust beim Kurs. Ich tue da dem Ausbildungskollegen einen Gefallen, der die Plätze auslasten muss.“
Sie alle überfallen uns mit gut gemeinten Ratschlägen. Sind diese Ratschläge gut? Ich versuche einmal, Ihnen die verschiedenen Aspekte guten Rates aufzuzeigen. Danach schlage ich eine „Berech-nungsformel“ vor, an der Sie ein bisschen üben können, ohne dass die Formel jetzt ganz genau stimmen müsste. Es ist ein Gedankenexperiment! Was bestimmt also die „Güte“ oder die „Qualität“ eines Rates? Es hängt davon ab, wer ihn gibt und warum, was er damit will – und ob ich überhaupt Rat in dieser Sache mag. Etwas mehr in Listenform:
• Erwägenswert – „worth considering“: Ist der Rat in der Sache gut?
• Liebevoll – „take care“: Kümmert sich der Rat um mich selbst?
• Verändernd – „change“: Fordert mir der Rat eine Änderung meiner Einstellungen ab?
• Egoistisch – „self-oriented“: Ist der Ratgebende in der Sache potentiell selbst involviert? Will er etwas selbst?
• Mentorship: Ist der Ratgebende jemand, von dem ich „treuen“ Rat annehme?
• Willen zur Umsetzung – „execute“: Will ich überhaupt in dieser Sache etwas tun?
Ich versuche einmal eine ähnliche Formel wie die in DD44:
Qualität treuen Rates = (Worth + Care + Mentor + Willen) / (Change + Self-Orientation)
Bewerten Sie für eine Rechnung mit dieser Formel alle in ihr genannten Größen auf der rechten Seite von 1 bis 10 (10 ist hoch) und setzen Sie sie ein! Versuchen Sie sich einmal an den obigen Beispielen? Der Rat ist meistens bestenfalls erwägenswert. Er kümmert sich nicht oft um uns als Beratene, meist auch deshalb, weil man selbst gar nicht vom Ratgeber verstanden wird (fehlende „intimacy“ siehe DD44). „Du verstehst mich nicht, Mutti/Manager!“ – „Ich weiß, was das Beste für dich ist, Kind/Mitarbeiter!“ Der Rat verlangt oft einschneidende Verhaltensveränderungen, die leichtfertig oder ignorant gefordert werden (allein schon aus Unverständnis). „Und was wird dann mit mir?“, fragt der Beratene. Der Rat enthält offene Egoismen („Verkaufsargumente“) oder vermutete heimliche. „Warum rätst du mir das eigentlich?“ Wir vertrauen überhaupt nicht jedem, nur jemandem, der „treuen Rat“ gibt. Wenn wir den Ratgeber hassen, nehmen wir nicht einmal solchen Rat an, den wir selbst absolut für richtig halten. „Ich will keinen Doktor machen, einfach weil das meine Eltern so sehr wollen und dann damit dann angeben werden, als wäre es ihre eigene Leistung. Das gönne ich ihnen nicht und deshalb will ich keine Karriere machen.“ Oder: „Ihre Krawatte hängt in der Suppe, das schmeckt doch nicht gut, oder?“ – „Doch, sehr gut schmeckt das!“ Und zuletzt müssen wir für eine Lösung des Problems bereit sein oder den Willen zu einer Lösung haben.
Am unnötigsten sind Ratschläge, die zu viel Wandel fordern, deshalb könnte man in der Formel im Nenner auch ganz gut die Zahl „Change hoch 2“ einsetzen. Ratschläge, die sehr grundsätzlich verändernd sind, klingen so: „Nimm ab.“ – „Sei nicht so schüchtern.“ – „Sag auch mal nein.“ – „Denk’ auch mal an dich, Mutti!“ – „Seien Sie emotional intelligent.“ – „Motivieren Sie Ihre Mitarbeiter!“ – „Seien Sie kundenfreundlich!“ – „Zeigen Sie Leadership!“ – „Riskieren Sie einmal etwas, es kostet im schlimmsten Fall eine Gehaltserhöhung!“
Stellen Sie Ihre eigenen Ratschläge auf den Prüfstand. Überschlagen Sie den Wert der Formel. Und schauen Sie sich direkt beim Ratgeben um. Wenn Sie nämlich einen Rat geben, schauen Kinder und Mitarbeiter oft in bestimmter Weise unbestimmt drein. Dieser Blick bedeutet: Die von Ihnen Beratenen fragen sich im Bauch, ob der Rat ernst ist, also ein Befehl sein könnte. Erst dann reagieren sie meist ein bisschen. Wirklich ernst ist es erst bei der dritten Deadline oder bei Strafandrohung. Wenn es nur ein einfacher, stinknormaler Rat ist, wird er meistens ignoriert. Das liegt daran, dass ein Wille zur Ratannahme nicht vorhanden ist, der natürlich durch einen harten Befehl künstlich erzeugt werden kann.
Als schlecht empfundener Rat tropft ab wie Fernsehwerbung oder das Brabbeln der Powerpointclowns. „Sie müssen unser Produkt zwingend kaufen, weil Sie sonst den kommenden Globalisierungsdruck nicht aushalten.“ Eltern reden sich den Mund fusselig. Die Ratgebenden malen Teufel an die Wand, die sie „Druck“ oder „Pain Point“ nennen, weil Vernunft eh’ nicht angenommen wird. Überlebensdruck! „Du wirst in der Gosse landen!“ Haben Sie schon einmal einen Rat, der mit solch einer finalen Floskel verheiratet daherkam, wirklich umgesetzt? Hört ein Raucher auf, wenn er auf der Packung seinen baldigen Tod angezeigt bekommt? Was, fragen Sie, hilft denn überhaupt?
Treuer Rat von jemandem, der sich das Recht dazu erworben hat.
Sind Sie treuer Ratgeber für Ihre Kunden?
Für Ihre Familie?
Für Ihre Mitarbeiter oder Kollegen?
Oder sagen Sie oft selbst über andere „Sie hören nicht auf mich!“? Dann wenden Sie am besten die Formel oben an, und gleich wird’s besser.
Alles klar? Diese Ausführungen waren für die Menschen unter uns, die – von anderen aus gesehen – recht „ungeniert“ und unprofessionell Rat geben. Es kommt oft wie Niedermachen, Nörgeln, Ablassen, Ignoranz, Taktlosigkeit, Besserwissertum, Oberlehrerhaltung, Seelenvernichtung, ja – wie Hass oder Sadismus herüber. Wie oft krümmen Sie selbst sich unter Rat? Was glauben Sie, denken die anderen bei Ihrem Rat? Tja, und dann gibt es ganz andere Menschen, die niemals Rat geben, weil „sie anderen nicht zu nahe treten wollen“. Das sind die masochistischen stillen Brüter. Auch ein DD wert?