Links im Sinnraum
Die Vertrauensformel (Daily Dueck 44)
Im "must read" Buch The Trusted Advisor schlagen David Maister, Charles Green und Robert Galford eine Formel für Vertrauenswürdigkeit vor.
Vertrauenswürdigkeit =
(Glaubwürdigkeit plus Zuverlässigkeit plus Vertrautheit) / Selbstorientierung.
Ein interessanter Gedanke, nicht wahr? Im Duden, so hatte ich schon entrüstet in dem früheren Daily Dueck 32 zitiert, wird Vertrauen in etwa mit Zuverlässigkeit verwechselt und dabei wird so etwas wie Vertrautheit im Sinne der englischen „Intimacy“ völlig außer Acht gelassen. Diese Formel hier erhellt aber alles!
Angenommen, ich kaufe etwas bei einer Firma. Dann frage ich mich:
Glaubwürdigkeit: „Stimmt alles, was im Prospekt
steht?“
Zuverlässigkeit: „Liefern sie? Bieten sie Service?
Kann ich mich auf sie verlassen?“
Vertrautheit: „Kenne ich sie persönlich? Die Leute
dort? Verstehen die mich? Fühle ich mich wohl?“
Selbstorientierung: „Achten sie sehr auf ihren eigenen
Vorteil? Sind ihnen ihre Bilanzen wichtiger als ich?“
Sind heute die Firmen nach dieser Formel vertrauenswürdig? Glaube
ich den Firmen? Ja, doch. Kann ich mich auf sie verlassen? Ja, ungefähr.
Verstehen sie mich? Nicht wirklich. Bin ich ihnen wichtig? Nein. Ich
rechne zusammen: sind sie vertrauenswürdig? Eher nicht.
Wollen Firmen heute vertrauenswürdig sein? Streben sie an, dass
ich ihnen glauben kann? Ja, schon. Streben sie an, dass auf sie Verlass
ist? Ja, ungefähr. Versuchen sie, mich persönlich zu verstehen?
Nicht wirklich. Bin ich ihnen wichtiger als ihre Bilanz? Nein. Wollen
sie also im Sinne dieser Formel vertrauenswürdig sein? Eher nicht.
Die Firmen sind also, was sie sein wollen.
Ist das richtig so? In meinem Sinne als Kunde nicht. Ist es in deren
Sinne richtig? Ich glaube nicht. Warum versuchen sie nicht, wirklich
vertrauenswürdig zu sein? Ich vermute, sie kennen die Formel
nicht – und wie schlecht sie danach abschneiden.
Ich sehe mich bei allen Fachleuten und Beratern und Verkäufern um. Sind sie fähig, so wie sie sagen? Ich glaube schon – ja, doch. Kann ich mich auf sie verlassen? Ja … Habe ich ein herzliches, vertrautes Verhältnis zu ihnen? Ach, dafür ist praktisch keine Zeit, es sind auch immer andere da. Sie wechseln täglich oder alle paar Monate. Vertrautsein braucht viele Gespräche und gemeinsame Erlebnisse. Sind sie egoistisch? Ja, ganz sicher, es ist ein Zeichen der Zeit, dass wir alle so sein müssen oder sind.
Bin ich selbst vertrauenswürdig? Ich schaue in den Spiegel der Formel …
Prinzipiell ist die Formel ja klar, aber wir können ja einmal Zahlen einsetzen. Machen Sie mit? Wir bewerten die vier Größen der rechten Seite auf einer Skala von 1 bis 10, 10 ist „viel davon“. Nehmen wir ein Ehepaar, lange verheiratet (da fällt mir ein, bei mir sind es im August 2007 30 Jahre! Ach ja, und am 7.7.77 hatte ich Doktorprüfung …). Dann kommt zum Beispiel bei der Formel heraus:
8 + 6 + 10 geteilt durch 2 gleich 12.
Na gut. Jetzt nehme ich ein Ehepaar, das sich zankt, also etwa
6 + 4 + 2 geteilt durch 8 gleich 1.5.
Denken Sie sich kurz hinein. Probieren Sie, wie vertrauenswürdig Ihnen Ihr Arbeitgeber ist. Wie vertrauenswürdig mögen Sie von Ihrem Kunden aus gesehen wirken?
Spielen Sie ein bisschen herum, berechnen Sie die Beziehungen um
Sie herum und stellen Sie fest, dass wir uns alle wie schwach zerstrittene
Ehepaare miteinander verhalten oder wie egoistische Unbekannte, die
durch ihre beiden Firmenlogos den Anschein der Zuverlässigkeit
erworben haben. Die Glaubwürdigkeit haben wir „von der
Firma“, den Glauben in unsere Zuverlässigkeit auch. Vertrautheit
wird kaum noch angestrebt und das Gewinnstreben wird heute so selbstverständlich
zur Schau gestellt, dass der Quotient der Formel alle Werte vollständig
niederdrückt. Wer ist noch für wen richtig ver-trauenswürdig?