Scheubletten für Überschwarze! (Daily Dueck 41)

Jeder ist der eigene Innenminister. Er muss in sich Ordnung schaffen. Dabei hilft unsere Regierung mit, so gut sie kann. So richtig unterstützen kann sie uns aber erst, wenn sie uns datenmäßig genau kennt, unsere Fingerabdrücke und Gerüche gespeichert hat und in unsere terroristischen Pläne eingeweiht ist. Wie man hört, experimentiert die Verwaltung mit einem neuen Selbstregulierungsverfahren.

Menschen sind bekanntlich Tiere, die ihre Tiernatur hinter kultiviertem Gehabe verstecken können. Die Regierung hat es nur dann mit ihnen leicht, wenn die Menschen diese Begabung wirklich nutzen und ihr Tier ganz und gar hinter einer Fassade verbergen. Der Mensch muss dazu besser noch einen Panzer ausbilden, der keine Anfechtungen von außen hineinlässt und keinen Lüsten nach außen in irgendeiner Form Raum gibt. Im Ideal wünscht und denkt sich der Mensch gar nichts mehr, dann ist der Panzer vollkommen.
Die Regierung prüft diesen Panzer (bei manchem leider noch eine Eihaut) immer wieder, damit sie sicher ist, es in ihrem schweren Verantwortungsbereich mit lauter idealen Menschen zu tun zu haben. Sie beobachtet die Reaktion des Panzers auf Anfechtungen und versucht aufzudecken, ob in den Menschen noch Tiermotive aktiv sind. Dazu kontrolliert sie die DNS und die Iris des Menschen und prüft seine Standhaftigkeit und seine Geduld bei Verwaltungsvorgängen, damit der Mensch zuerst ein dickes Fell ausbildet, was sich graduell zu dem besagten Idealpanzer verhärtet. Die meisten Menschen empfinden dieses gesunde Abhärten als Eingriff in ihre Freiheit! Freiheit kann nur doch nur das Tier in ihnen haben. Es kommt daher irrtümlich immer wieder zu unbedarfter Kritik an der Regierung, die uns doch nur in bester Weise versteuern will.

Jetzt soll den Bürgern neuerdings die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst zu panzern. Dazu gibt es einen innovativen Stromstoßgenerator für Bürger, der über jeden PC mit dem Internet verbunden werden kann. Erst werden die Lustzentren des Bürgerkörpers über zwei Elektroden an den PC angeschlossen. Dann darf der Bürger im Internet eine vorläufig kostenlose Software bedienen. Sie stellt ihm verschiedene „Vorstellungen“ zur Verfügung. Diese Vorstellungen muss der Bürger in der Folge nacheinander bewerten. Er kann zur Bewertung verschiedene Grade von schmerzhaften Stromschlägen für sich selbst auswählen oder eine von mehreren Erregungsstufen, die sich wie verzerrtes, irres Lachen im Körper äußern. Die Software wertet die Eingabedaten aus und kommentiert die Ergebnisse aus der Sicht der Regierung. „Brav, brav, Bürger!“, sagt die Software oder „Selbst unter konservativen Ansichten bis an die Grenze der Leidensfähigkeit gegangen.“ Am anderen Ende des Testergebnisspektrums wird angeboten, dem Bürger zeitnah die DNS auszutauschen, damit einer Einziehung zuvorgekommen werden kann.

Erste Testberichte konkretisieren diese allgemeine Beschreibung. Der Bürger sieht zum Beispiel das Wahlergebnis der Regierungsparteien bei der letzten Wahl. Er kann sich nun Schmerzen zufügen oder sich in verschiedenen Graden irre auflachen lassen. Was soll er tun? Er hat die freie Wahl. Die ersten Testopfer berichten, dass ihnen die Entscheidung nicht leicht fiel. Ein Opfer kommentierte: „Erst wollte ich über das Wahlergebnis lachen, aber dann merkte ich, dass dieses Lachen vom Tier in mir gewollt wird. Da verstand ich den Test und fügte mir einen schweren Stromschlag zu. Sicher ist sicher, dachte ich. Viel unsicherer war ich, als die nächste Übung mir einen Fernseher zeigte, der ein nicht-öffentliches Programm angeschaltet hatte. Ich habe mich wieder für einen moderaten Stromstoß entschieden. Dann zeigte man im Internet eine Frau im Minirock. Das ist ganz eindeutig zu entscheiden. Wenn ich jetzt privat unbekleidete Körper sehe, tut es mir schon weh. Huh, hat das beim Test wehgetan, obwohl es erst Stufe 5 von 10 war. Im Grunde ist es schwer zu sagen, welche Antworten die Regierung beim Test eigentlich will. Immer Stromschläge? Ich bin jetzt schon ganz schön abgehärtet. Ich merke schon, dass das Leben überwiegend sehr hart ist und eine hohe Disziplin verlangt, damit man es überhaupt aushält. Manchmal zeigen sie beim Test Oppositionspolitiker. Da schalte ich voll auf Erregung. Das ist ganz schön. Es fühlt sich so an, als wenn man die Sau raus lässt. Die Nippel werden schön durchblutet.“ Eine andere Person, die sogar bereit war, ihren realen Namen preiszugeben, was wir aber zu ihrem Schutz ablehnten: „Ich musste bei beim Test oft wie irre lachen, sogar schon ohne die Stimulation der Instrumente. Da unterbrach das Internet den Test und schlug mir zum Ausgleich für das mehrmalige irre Lustlachen einen massiven Strafstoß vor, damit ich wieder in eine so genannte Balance gerate. Ich hatte mir vorher einen Goldenen Lachschuss gesetzt, weil da eine gerade ganz freie Frau flüsterte, ich hätte einen Freistoß bei ihr, das war wie ein Golden Goal. Wenn man beim Bürgertest grundsätzlich immer auf Lust schaltet, ist er herrlich. Die total anonyme Auswertung am Schluss bestätigte auch noch meine deutsche Bürgernummer und attestierte mir ein extremes Ergebnis. Sie rieten mir aus dem Internet, den Test öfter zu wiederholen, damit ich mich steigern kann. Das tue ich natürlich. Sie bestätigten mir, dass es jeden Tag ganz neue Testvorstellungen im Internet gäbe, damit das Menschwerden von mir kontinuierlich betrieben werden könnte und wie das blühende Leben auch nicht langweilig würde. Ich habe mich tierisch gefreut.“

Die Behörden zeigten sich außerordentlich befriedigt. Sie attestierten den Bürgern im Ganzen eine bemerkenswert hohe Schmerzresistenz und unerbittliche Stoa. Medizinische Untersuchungen der Testkörper zeigten oft schwarze Verfärbungen bzw. schwere Verbrennungen des Körpers an den Elektroden. „Well done.“, freuten sich Behörden über diesen so genannten Zustand schwarzer Bürger. Viele Körper erwiesen sich als vorwiegend lustdurchblutet und sehr rot. Der Zustand dieser roten Bürger wird von den Behörden als „raw“ oder „rare“ bezeichnet. Alles deute darauf hin – so die Behörden – dass diese Menschen innen noch immer ursprüngliches Blut haben und ihnen die Ansichten der Regierung noch nicht in ebendieses Blut übergegangen sind.

„Wir sehen ganz verschiedenartige Menschenbaustellen. Die einen sind die Schwarzen, die sind well done. Die anderen die Roten, die zu viele eigene Bedürfnisse haben und sich selbst kaum bestrafen wollen. Die rufen ohnehin immer nach dem Staat. Wir werden sie jetzt auch betreuen und gehörig unter Strom setzen. Wir haben nicht selten braune Körper, die extrem zu beiden Seiten neigen. Die sollten bewusster wählen, denken wir, damit sie als Braune eher Schwarze oder meinetwegen Rote werden. Es gibt gelbe Körper von Menschen, die im Grunde zu wurstig mit den Fragen umgehen und zu nichts eine Meinung haben. Sie scheinen zu allem skeptisch zu sein. Es sind nicht viele – kaum gefährlich, sie hängen sich im Notfall an jede Meinung der Regierung an. Eine andere Gruppe schien sich gar nicht entscheiden zu können. Selbst beim Anblick einer zackigen Militärparade oder eines Tiertransportes konnten sie weder darüber irre lachen noch sich irre Schmerzen zufügen. Wir glauben, die sind so apathisch, dass sie vielleicht gar kein Tier in sich haben. Vielleicht sind sie innen drin eine seltene Grünpflanze? Können die nicht einmal über Deutschland irre lachen oder Schmerzen empfinden? Wozu sind sie dann Bürger, wenn sie innerlich so wenig mitmachen? Sie verstehen den Sinn des Ganzen nicht, glauben wir. Wir müssen die Kommunikation verbessern. Wir müssen allen noch erklären, dass mit den Daten nichts geschieht, wenn die Ergebnisse gut sind. Dabei scheinen von den Daten her manche besonders Schwarze zu weit gegangen zu sein. Sie leiden zu viel – ja, das war erst unvorstellbar bei diesem doch sehr grausamen Tiertest, jedenfalls ab Stufe vier. Wir haben deshalb für extreme Selbstquäler eine physiologische Behandlung mit Scheubletten vorgesehen. Die kann man sich an die Brust heften, vor die Stirn nageln oder als Einlage tragen.“

Wie schätzen die Behörden die zukünftige Akzeptanz aller Bürger ein? „Wir sind sehr optimistisch, besonders weil fast alle Schwarzen möchten, dass nun ebenfalls alle anderen Menschen beim Test schwarz werden. Das verlangt schon der Imperativ von Kant. Alle Philosophie will das! Buddha und Jesus wollen den sündigen Leib abstrafen und schon Sokrates erklärte zur ersten Menschenpflicht: Erbrenne dich selbst.“ Von Sokrates ist auch: „Ich schwarz, dass ich nichts weiß.“

Gunter Dueck

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