Siegen wollen! Aber nicht siegen müssen! (Daily Dueck 39)

Das Fußball-Magazin RUND interviewte mich für die Ausgabe vom 23. Mai 2007. Es ging auch darum, warum Schalke nicht Meister werden kann und Bayern dieses Jahr nicht Meister wird. Da antwortete ich spontan mit „Wollen ohne Müssen“. Das wusste ich vorher gar nicht so genau. Es hatte ja keiner gefragt.

Viele Stars sagen, dass das Erringen der Goldmedaille oder des ersten Chartplatzes ungeheuer viel leichter sei als das „Obenbleiben“. Wer nämlich oben ist, den wollen die Fans immer oben sehen. Wer schon oben ist, verliert zu viel, wenn er verliert: Fans, Werbeverträge, die Aussichten auf eine goldene Zukunft. Er schmeckt die Wankelmütigkeit von Fortuna, er erfährt Glück und Pech.
Wer sich heraufarbeitet, hat nicht viel zu verlieren. Er hat alles noch vor sich: die Fans, die Werbeverträge, eine goldene Zukunft. Die Aufsteiger haben oft einen ganz ungebrochenen Siegeswillen und kennen nicht den stechenden Schmerz, entthront zu werden. Der Wille ist im Aufstieg sehr, sehr viel.

Viele bekommen schon im Aufstieg Höhenangst. Schalke, glaube ich. Die Erwartung der Fans in ihrem Taumel der Freude steigt viel schneller als die reale Aussicht auf eine Meisterschaft. Jetzt bloß keine Niederlage! Da weinen die Fans bestimmt wieder wie damals beim 1:1 in Hamburg in der Nach-spielzeit. Nur nicht wieder die Fans weinen sehen! Fürchtet sich Schalke vor neuen Tränen? Verlieren sie beim „wir wollen nicht bitter enttäuschen“ den Siegeswillen?
Immer, in der Nähe der Spitze, wollen die Fans die Meisterschaft – die Schalker Fans allemal. Sie bauen aus inniger Liebe Druck auf, der den Willen ablenkt. Die Schalker müssen plötzlich siegen, wo sie vorher nur wollten. Und irgendwie sind sie überfordert, siegen zu müssen. Am Freitag haben sie gegen Bochum verloren. Sie können nicht siegen müssen. Die Zeitungen titeln tags darauf prompt: „Nervenflattern auf Schalke.“

Bayern muss nicht nur siegen, Bayern muss unbedingt immer siegen. Schon ein Nicht-Champions-League-Platz wird als Desaster deklariert. Bayern ist schon sehr lange oben und kann mit dem Druck inzwischen gut leben. Es scheint nun zu lange gewesen zu sein. Das Denkmal wankt. Es ist nicht das Siegenmüssen, dass sie bedrückt. Es fehlt nach so vielem Siegen das Siegenwollen. „Ein Jahr ohne Titel ist ja auch einmal drin.“

Sieger müssen siegen wollen und nicht zu viel daran Schaden nehmen, wenn sie angeblich siegen müssen. Kinder, deren Eltern sie beim Turnier siegen sehen wollen, leiden und wollen nicht richtig. Mitarbeiter, die wie Trommelfeuer vom Manager angefeuert werden, die Gewinne zu holen, leiden ebenfalls. Ein Wollen von außen, das innen nicht geteilt wird, verdirbt das Wollen von innen. „Uns fehlte die innere Ruhe. Wir fanden nicht zum Spiel. Es fehlte der Funke.“ Bei Aufsteigern, die plötzlich in der Arena über sich hinauswachsen, will das Publikum nicht von außen, sondern ist mit dem Aufsteiger eins. Es verstärkt den Willen innen bis zur Unendlichkeit.

Eltern, sind Sie eins mit dem wollenden Kind oder machen Sie ihm nur Höhenangst?
Manager, sind Sie eins mit dem Mitarbeiter oder machen Sie nur Außendruck?
Verstärken Sie oder hemmen Sie?
Verliert Schalke, weil sich die Fans unendlich mehr nach Meisterschaft sehnen als die Spieler?
Verliert das Kind, weil es die liebenden Eltern nicht weinen sehen mag?
Verliert das Unternehmen, weil die Manager den Gewinn von außen wollen, nicht von innen?

Willensverstärker sollten wir alle sein, nicht Angstdruckerzeuger.
Da graut es mir, Manager. Es graut mir, Eltern.
Und um Schalke will ich wirklich weinen, wenn sie es wieder nicht schaffen. Denn die Überfans hemmen so hemmungslos lieb, dass es wahrlich zum Weinen ist.

Gunter Dueck

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