Der Profit der Anerkennung und mein Hass auf Hobby-Statistiker (Daily Dueck 98, August 2009)

Mitarbeiter klagen fast unisono über mangelnde Anerkennung für ihre Arbeit. Es gibt nur noch Geld, und das auch nur unwillig. Warum lobt uns keiner? Das würde nichts kosten. Aber die Manager schweigen fast wie eisern. Der Management-Guru Reinhard Sprenger rief auf, Mitarbeiter für Ver-dienste zu würdigen, aber eine wissenschaftliche Studie widerspricht ihm diametral und „zeigt“, dass sich Anerkennung für Unternehmen nicht auszahlt. Ich habe fast eine Stunde vor mich her geschimpft, nachdem ich das alles im Handelsblatt las.

Normale menschliche Erfahrung zeigt, dass Anerkennung die Stimmung im Menschen hebt. Wir gehen nicht so unwillig gedrückt zur stressigen Arbeit, sondern wir freuen uns, heute etwas zu bewirken. Dieses Gefühl der eigenen Wirksamkeit ist ganz körperlich spürbar und strömt als Energie pulsend durch unsere Adern.

Nun aber kommt die Wissenschaft!
Wie können wir eigentlich feststellen, ob sich ein Mitarbeiter durch ein Lob motiviert fühlt? Sollen wir Versuchsratten oder Testpersonen loben und schauen, ob sie besser arbeiten? Was ist überhaupt besser? Wie misst man das im Labor? Diese Studie wird natürlich von Doktoranden durchgeführt, deshalb muss sie unbedingt wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, also methodisch sauber sein. Da haben zum Beispiel gesunde Urteile über „besser fühlen“ keinen Platz. Alles muss objektiviert messbar sein. Wie definiert ein kleiner Doktorand, was Motivation ist? Darf er das? Wie sehr oder lange muss man Menschen loben, damit sie arbeiten – wie lange darf aber die Studie dauern? Darf sie Geld kosten? Das sind die wichtigen Fragen auf der Suche nach der Wahrheit.

Eine Studie hat nun in einem Call-Center gemessen, wie gut die Mitarbeiter „performten“. Das ist einfach, weil der Computer im Hintergrund ohnehin alles misst. Man hat dann den Besten der Belegschaft zum Mitarbeiter des Monats gemacht, ihm dabei ein paar hundert Euro überreicht und geschaut, ob er danach besser arbeitet. Das wurde vom Computer gemessen. Man kann die Mehrleistung ebenso einfach berechnen. Nun schaut man, ob die geldwerte Mehrleistung des Mitarbeiters höher liegt als der Geldbeitrag, den man ihm schenkt…
Das Ergebnis: Belohnte Mitarbeiter arbeiten für ein paar Wochen schwach besser, danach wieder wie vorher. Ohne Wissenschaft spekuliert man, dass die Belohnung für eine Weile zu einer innerlichen Verpflichtung führt. Außerdem kam heraus, dass normalerweise schlechte Mitarbeiter länger und viel besser nach einer Belohnung arbeiten, bis sie wieder in den gewohnten Trott fallen (Der Profit der Belohnung ist also bei schlechten Mitarbeitern viel höher! Was empfiehlt die Wissenschaft?). Im Ganzen zeigen aber die Ergebnisse, dass sich Geldpreise für gutes Arbeiten nicht in Profit verwandeln – wenn überhaupt lohnen sich nur Geldpreise für schlechte Mitarbeiter.

Darüber habe ich mich so geärgert! Warum? Ich fange einmal andersherum an: Glauben Sie, dass ein Nobelpreisträger vom Tage seiner Auszeichnung an besser arbeitet als jemals vorher? Dass ein frischer Oscarpreisträger nun besser spielt? Dass ein Olympiasieger sich noch mehr anstrengt? Alle Sieger sagen, dass es sagenhaft schwer ist, oben zu bleiben, weil die Energie dafür immer aufrechterhalten werden muss. Der Weg nach oben aber BIS zum Sieg ist die reine Freude des Aufstiegs! Da pulsiert eben diese frohlockende Energie in uns. Deshalb ist es klar, dass die irgendwann KOMMENDE Ehre die Energie hochfährt, nicht die, die gerade eben vergeben wurde – die peitscht nicht weiter auf, die erwärmt nur, erleichtert die Seele und heilt auch ein paar Verletzungen und Wunden, die der Aufstieg gekostet hat. Viele, die fast nach oben kamen, aber nicht ganz – viele also, die etwa für Oscars nominiert wurden, aber keinen bekamen, trugen diese Wunden weiter und waren um den Lohn gebracht (Studien sagen, dass die Lebenserwartung der nur Nominierten fünf Jahre kleiner ist als die der Oscar-Preisträger.).

Diese Studie aber misst die Energien NACH der erbrachten Höchstleistung. Was sagen wir dazu? Papierkorb! Jahrelange Forschung im Blindflug? Ein ganzes Buch darüber im Irrtum? Warum merkt der Journalist vom Handelsblatt nichts? Warum denkt jemand ohne weiteres, ein paar Messungen widerlegen Reinhard Sprenger einfach so? Muss dieser offene Widerspruch nicht durch angestrengtes Nachdenken und Forschen aufgelöst werden – von dem, der ihn aufwirft? Darf man einfach etwas messen und als Wissenschaft unters Volk werfen, ohne sich mit den widersprüchlichen Fakten anderer zu befassen?

Tag für Tag rege ich mich über Fehldeutungen aus Statistiken auf. Nicht nur, dass jede Fehldeutung ja einige Jahresgehälter Doktorand gekostet hat – wir lesen es und es setzt sich als „Meme“ in uns fest! Jetzt ärgere ich mich gerade wieder: Das Handelsblatt berichtet, dass Akademiker nicht nach unten heiraten wollen. Die „Homogamie-Rate“ steigt. Man nahm die Daten vom Mikrozensus 1996 und 2007 und sah, dass 1997 47 Prozent der Abiturientinnen wieder Abiturienten heirateten und 2007 „schon“ 52 Prozent. Die Wissenschaftler sprechen folgerichtig von einem Beleg für eine „zunehmende Abschließungstendenz der Höherqualifizierten“. Aha.
Was passiert eigentlich wenn die bundesweite Abiturquote steigt, sagen wir, auf 100 Prozent? Dann heiraten doch nur noch Abiturienten, oder? Und es liegt kein Unwille vor, nach unten zu heiraten! Nun steigt aber doch die Abiturquote über die Zeit an! Sie liegt heute im Bundesdurchschnitt bei etwa 37 Prozent. In den Unistädten liegt sie sehr viel höher. Wenn man die Leute in der Statistik anschaut, die 1996 verheiratet waren oder heirateten, dann haben die viel früher Abitur gemacht – nicht erst 1996. Wie hoch war die Rate in dieser grauen Vorzeit? Dann: Wenn immer mehr Menschen studieren, treffen sich doch die Abiturienten immer mehr an der Uni – und da sind dann nur noch Abiturienten! Ich habe meine Frau da auch kennen gelernt. Bin ich jetzt gegen Heirat nach unten? In diesem Licht näheren Hinschauens: Was sagt uns die Änderung von 47 Prozent auf 52 Prozent? Nichts! Aber wir haben eine Überschrift: „Akademiker wollen nicht nach unten heiraten“. WOLLEN nicht! Kein Wort, dass sie auf der Uni sind und sich dort zwangsweise treffen. Im gleichen Artikel steht, dass 1997 etwa 83 Prozent Hauptschüler/Hauptschüler heirateten, 2007 nur noch 75 Prozent (die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau mit Hauptschulabschluss mit einem Hauptschüler verheiratet war). Aber das geht doch in die andere – erwünschte – Richtung???? Die Zahl 75 wird prompt bemäkelt: „Von einem Aufbrechen der Bildungshomogamie kann man also hier nicht sprechen.“

Im Grunde müsste ich neben den DDs jede Woche einen Verriss schreiben, wenn wieder einer Zahlen verdreht, die wir fast alle nicht lesen – wir merken uns nur die Überschriften und die verändern dadurch unsere Kultur.


Gunter Dueck

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