„Ich zahle den Schaden selbst, ich bin systemirrelevant“ (Daily Dueck 95, August 2009)

Einem Alleinverdiener mit einem hohen Gehalt wird von Versicherungen dringend geraten, zu Gunsten der ganzen Familie eine Versicherung abzuschließen. Die Wahrscheinlichkeit eines völligen Bankrotts ist zwar so hoch wie bei allen anderen Verdienern auch, aber der Schaden für andere ist hier immens. Wenn der Alleinverdiener stirbt, kann es ihm eigentlich egal sein. Darf ihm das egal sein?

Solche Anhäufungen großer Risiken Einzelner für schwache Andere treffen wir auch in der Wirtschaft an. Das will ich hier deutlich machen.
Schauen wir zuerst auf das schon existierende Kartellamt. Es verhindert, dass Unternehmen eine Markt beherrschende Stellung erringen, weil das Risiko zu groß ist, dass sie ihre Position zur Ausbeutung anderer Wirtschaftssubjekte ausnutzen. Gegen dieses Ausbeuten kann man eine Monopolsteuer erheben oder keine Monopole zulassen. Monopole sind immer so etwas wie ein latenter Feind, gegen den etwas von der Gemeinschaft unternommen werden sollte. Das gehört schon zum Schulwissen.

Durch die Effizienzwirtschaft ist ein neuer Feind der Prosperität entstanden: das systemrelevante Unternehmen. Wir haben neuerdings gelernt oder besser erst einmal erfahren, dass bestimmte Unternehmen bei einem Bankrott so sehr großen Schaden anrichten können, dass sie unter Umständen zum Staatsbankrott führen können (siehe Island und Banken). Jetzt sind wir sehr zornig, dass wir am Ende die größten Übeltäter weich auffangen und aufpäppeln müssen. Warum gibt es aber nur ein Kartellamt und kein Amt gegen Systemgefährdung?

Die Systemrelevanz ist kein Schicksal oder eine unglückselige Entwicklung. Sie ist von den Unternehmen mindestens mittelbar angestrebt worden. Große Unternehmen gliedern möglichst viele Unternehmensteile aus, wie zum Beispiel Zulieferer und Dienstleister. Vieles lassen sie in Ostasien erledigen oder produzieren. Alle diese äußeren Teile werden in den Preisen hart gedrückt, so dass der Gewinn hauptsächlich im Kern des Unternehmens verbleibt, obwohl ihn ja alle Zulieferer gemeinsam mit dem Unternehmen erarbeiten. Das Kernunternehmen nimmt den Zulieferern im Umfeld den Gewinn weg, so wie ein Handwerksmeister den Gewinn von den Gesellen zu gutem Teil abschöpft. Das ist an sich nicht illegitim, bringt aber Probleme mit sich, wenn das Kernunternehmen nur noch einen winzigen Prozentsatz von allem ausmacht. Dann wachsen die Risiken! Das ist aber gewollt! Je kleiner der Prozentanteil des Kernunternehmens, desto besser ist die Rentabilitäts- oder Abschöpfungsquote. Ein Handwerksmeister mit 1000 Gesellen ist reich, aber wehe, ihm selbst passiert etwas!
Die Automobilproduzenten träumten entsprechend, dass sie eigentlich nur noch alle Teile der Autos fertig zusammensetzen und vor allem verkaufen und Geld scheffeln würden. Sie strebten an, alle Produktion, alle Entwicklung und das Marketing in preisgedrückte Firmen hinaus zu geben und selbst nur noch an der Kasse zu sitzen. Ein solches Kernunternehmen verdient traumhafte Eigenkapitalrenditen – das Eigenkapital der Zulieferer verdient ja unfair wenig, daher klappt es so gut! Die Wirtschaft verdient also nicht durchgehend gut, sondern nur das Kernunternehmen, das quasi zum Alleinverdiener der großen Familie werden wollte.
Wenn aber der Kern stirbt, ist es ihm selbst egal – er ist tot. Und die anderen haben den Schaden, weil sie zugunsten des Kernunternehmens so wenig verdient haben und nun sofort alle krank werden und sterben. Was kann man tun? Das Kernunternehmen mit Staatsgeldern retten.
Bei den Banken ist man ähnlich verfahren. Banken dürfen nur so viel Geschäft machen, wie sie das Risiko decken können. Dafür gibt es Gesetze. Da haben sie diese Risiken an unwissende Kunden ausgelagert und die Bankarbeit der Transaktionen an Zulieferer gegeben.
Das Ziel ist es immer, eine strategische Zentralposition in einem Netzwerk einzunehmen und die Gewinne des ganzen Netzwerks abzuschöpfen, ohne selbst die Risiken des Ganzen tragen zu müssen. Sehen Sie es so: Wenn in einem normalen Unternehmen eine Abteilung herbe Verluste einfährt, weil sie einen großen Fehler zu verantworten hat, dann gehen in der Regel die Gewinne so einiger anderer Abteilungen dafür drauf. Wenn aber ein Zulieferer einen großen Verlust macht, ist es sein ganz eigenes Pech. Das Kernunternehmen hat also keine Probleme bei Verlusten bei Zulieferern. Es nimmt sich einfach einen anderen. Fremde Fehler und Risiken kosten also das Kernunternehmen nichts – andere haben das Risiko.

Das einzige große Problem entsteht, wenn das Kernunternehmen, das nach seiner Strategie nur noch an der Kasse sitzt, selbst einen massiven Fehler begeht oder wenn wegen eines Konjunkturproblems plötzlich kein Kunde mehr an der Kasse erscheint.
Dann stirbt das Kernunternehmen und hinterlässt eine riesige Familie in bitterem Elend.

Systemrelevanz ist also nicht nur eine Folge von Größe (die uns so teure systemrelevante IKB ist ganz klein), sondern besonders eine Folge eines Effizienzstrebens auf Kosten von anderen, typischerweise Schwachen oder Unwissenden (z.B. Zertifikatskäufern). Ist eine solche Unfairness erlaubt?

Könnten wir nicht die Gewinnkonzentration auf die Zentralpositionen in Firmennetzwerken als eine Art anderes Monopol begreifen?
Ein Monopol nimmt aus einer Machtposition heraus unfair hohe Preise von den Kunden.
Ein Kernunternehmen aber zahlt aus einer Einkaufsmachtposition heraus unfair wenig an seine Zulieferer. Ist das nicht dasselbe „in Grün“?

Ich wünsche mir ein neues Amt! Oder für das Kartellamt eine Kompetenzausweitung auf den Kampf gegen die Gemeinschaftsfeinde der neuen Generation!

Gunter Dueck

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