Innovation durch einen Prozess – geht das? (Daily Dueck 94, Juli 2009)

Innovationen bringen angeblich das große Geld. Hinter dem sind natürlich alle her. Innovation wird oft mit Goldsuchen verglichen. Goldsucher graben, schürfen und sieben in Flussbetten. Ihr Zustand wird meist mit dem Wort fieberhaft beschreiben. Sie warten auf das große Glück. Die Idee modernen Managements ist es nun, dieses Glück in einer systematischen Art und Weise durch einen Brezelback-Geschäftsprozess zu erzeugen. Ich fürchte, genau diese Idee verhindert Innovation.

Ich sehe mit Sorge, dass viele Unternehmen einen „Ziel führenden“ Prozess zum „systematischen Generieren“ von Innovation „etablieren“. Der sieht bei allen Unternehmen verdächtig gleich aus. Er steht wahrscheinlich schon in zu vielen Büchern drin.

1. Viele Ideen generieren
2. Gute Ideen abernten und weiterentwickeln
3. Ideen evaluieren
4. Die besten Ideen ausarbeiten und im Unternehmen für sie werben
5. Die allerbesten Ideen umsetzen

Rein theoretisch sieht das so aus: Zuerst werden die Mitarbeiter gefragt, welche Ideen sie haben. Das erzeugt sehr viele. Die werden nun geordnet und sortiert. Viele Ideen sind ja ähnlich und werden zu Clustern zusammengefasst. Diese werden dann als ganzer Komplex behandelt. Die schlechten Ideen werden ausgeschieden, die guten länger besprochen und auf ihr „Potential“ hin bewertet: Was kostet die Umsetzung? Wie schnell geht das? Wie schnell kommt ein Gewinn heraus? Wie hoch ist das Risiko eines Flops?
Die Ideen, die hier gut bestehen, werden in Hochglanzpräsentationen ausgearbeitet, mit denen man im Unternehmen um „Funding“ sucht. Wenn das Geld für die Umsetzung gegeben wird, geht es sofort los!

Das ist die Theorie. Nun wird der Prozess eingeführt. Es wird um Ideen gebeten. Leider hat kaum jemand welche herumliegen und niemand hat Zeit, extra welche auszudenken. Das höhere Management mahnt. Leider hat niemand Zeit. Nun wird jeder Abteilung befohlen, Ideen abzugeben. Unwillig kommen nun sehr viele, die aber unter Zwang entstehen. Unter Druck kommen simple Ideen wie: „Markt in den Osten ausdehnen“ oder „Produkte etwas veredeln und als Premium zum doppelten Preis verkaufen“. Die meisten ehrlichen Ideen von Mitarbeitern aber sind ganz unbrauchbar, weil sie zu radikal erscheinen, das Geschäftsfeld der Firma verlassen wollen oder normale ökonomische Realitäten übersehen. Es liegt daran, dass Mitarbeiter nach den Ideen nur gefragt werden – man gibt aber keine Lehrgänge vorher, was gute Ideen von schlechten unterscheidet. Das wäre soooo wichtig! (Sehen Sie ab und an einmal diese Sendung im Fernsehen, wo Leute in ein paar Sekunden neue Ideen vorstellen? Die meisten Ideen sind vollkommen absurd, weil sie nur in sich selbst verliebt sind, aber gar nicht fragen, wer das braucht und wie viel wer dafür bezahlen würde etc.)
Im Endeffekt sammelt man nun massenhaft Ideen bedenklichster Qualität ein und findet nur sehr wenige, die sich weiterverfolgen lassen. Die Mitarbeiter bekommen kein Feedback und glauben spätestens jetzt, dass diese jährliche Übung doch nichts bringt. Immer mehr nehmen sich vor, nie mehr auf Aufrufe zu Ideen zu antworten. Die mehr offensichtlichen Ideen sind meist mehrfach genannt worden und liegen deshalb als Cluster vor, also nicht als die Idee eines Einzelnen. Das erscheint im Management immer als gutes Zeichen, weil es ja darüber Konsens zu geben scheint. Leider werden Cluster-Ideen schon zu allgemein und verlieren Kontur. Aus „produziere eine Premium-Version aus Produkt X“ (was unter Umständen eine sehr gute Idee sein kann) wird sehr schnell „produziere alles in Premium“ (was in der Regel eine Idee ist, die nie umgesetzt wird, aber sehr gut klingt).
Die Ideen werden nun OHNE die Erfinder in Management-Meetings evaluiert. Hier schlagen die Kriterien des Tagesgeschäftes zu. Geht es schnell? Geht es sofort? Ist allen ohne lange Recherche oder Einarbeitung klar, dass es Geld bringt? In dieser Sitzung herrscht so ein bisschen das Fieberhafte der Goldsucher! Wo liegen die Nuggets einfach so herum? Bei der Evaluation gewinnen vor allem Ideen, die dieses Fieber mit sich bringen und die schnelle Chance zu geben versprechen.
Sie werden in Hochglanzfolien aufbereitet. Ideen, die umgesetzt werden sollen, müssen finanziert werden. Naiv gesehen wäre es gut, man hätte einen großen Topf dafür, aus dem das Geld genommen würde, so wie es die Regierungen oft tun. Es hat sich gezeigt, dass dann einzelne ganz schlaue Manager Projekte, die viel Geld kosten oder gar gerade auf Grund laufen, als „hyperinnovativ“ hinstellen, sie bei der Evaluation glatt durchwinken und dann das Geld zur Umsetzung oder zur Rettung bekommen. In dieser Weise müssen sie das Projekt nicht selbst bezahlen oder sie kommen aus schlechten Projekten ohne Verlust heraus. (So versickern viele Gelder der Regierungsprogramme.) Es hat sich daher nicht bewährt, einen „Topf“ zu haben. Man fordert stattdessen meist, dass die Bereichsleiter des Unternehmens aus ihrem Gewinn die Idee finanzieren. Das tun sie nach der Theorie nämlich nur, wenn die Idee gut ist. Damit hat man eine vermeintliche Sicherheit, dass nur gute Ideen finanziert werden. Da die Bereichsleiter aber unter Druck stehen, den geforderten hohen Quartalsgewinn auszuweisen, lehnen sie im Prinzip alle Ideen zur Sicherheit erst einmal ab. Das führt zu gigantischen Verzögerungen. Aber im Bereichsleitermeeting wird irgendwann befohlen, dass es jetzt Innovationen geben MUSS, weil sonst der ganze Prozess nichts gebracht hat und es deshalb gar keine Innovationen gibt. Daran würde ja die Firma sterben!
Nun werden Innovationen von ganz oben erzwungen. Da haben die Bereichsleiter wieder die rettende Idee, Projekte in ihrem Bereich, die sowieso schon laufen, als neue innovative Projekte auszugeben, die sie nun als „Innovation fördern“. Diese Projekte werden nach oben gemeldet, wo man sie zählt und den Fortschritt misst. Dieser Fortschritt ist in der Regel sehr gut, weil die Projekte ja nicht innovativ waren, sondern eher normal. Normale Projekte floppen ja nicht so oft. Das führt zu dem Irrtum im ganzen Unternehmen, dass sich Innovation in fast jedem Einzelprojekt lohnt und fast nie zu Totalausfällen führt. Das Unternehmen bekommt mit der Zeit ganz unrealistische Vorstellungen über die Erfolgsaussichten einzelner Innovationen. Außerdem glaubt es, dass der Prozess, die Innovationen planmäßig zu erzeugen, ein gigantischer Erfolg ist.

Faktisch ist aber nicht passiert!

Und jetzt frage ich Sie: Wo spüren Sie in dieser Alltagsnormalität eines Unternehmenprozesses den Hauch von Wagnis, Entrepreneurship oder Fieber? Wer hat leuchtende Augen? Was ist eine richtige Innovation? Wer will überhaupt wirklich sehnlich eine Innovation?

Innovation geht so nicht – aber wie dann?

(Fortsetzung folgt)

 

Gunter Dueck

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