Links im Sinnraum
Spoiled by Rewards: Qualität oder „Achievement“? (Daily Dueck 87, März 2009)
Ordentlich und gut arbeiten oder vor allem schnell? Verschiedene Zeiten haben ihre Prioritäten. „Schnell? Ja, gut, aber bitte perfekt!“, hieß es früher. Und heute: „Hauptsache schnell und viel, so dass die Zahlen stimmen. Was nicht moniert wird, ist gut genug.“ Der rechtschaffene und meisterstolze Mensch in uns will gute Arbeit abliefern. Punkt. Der Homo Oeconomicus in uns will viel erreichen und verdienen. Es gibt noch andere Personen in uns – aber bei der Arbeit treffen sich oft diese zwei. Welche dominiert in Ihnen?
Die Kindergärtnerin entschuldigt sich bei den kleinen Kindern,
dass sie sie eine halbe Stunde allein lassen muss. „Kinder,
seid so nett und malt jeder Bilder für mich. Ich freu mich arg,
wenn ihr das tut.“ Da malen sie voller Hingabe und vergessen
die Zeit. Als die Erzieherin zurückkehrt, zeigen sie stolz die
Bilder und werden geherzt.
Die Kindergärtnerin kündigt den kleinen Kindern an, dass
sie sie eine halbe Stunde allein lassen muss. „Kinder, ich muss
euch allein lassen. Damit ihr keinen Unsinn treibt, möchte ich,
dass ihr Bilder malt. Damit ihr das auch wirklich tut, gebe ich euch
für jedes schöne Bild einen Euro.“ Da fangen sie schnell
an zu malen. Wie viele Euro könnten sie verdienen? Sie diskutieren,
wann wohl ein Bild schön wäre. Wofür gibt es einen
Euro? Wenn sie selbst das Bild schön finden oder die Erzieherin?
Wie viel Geld hat sie denn? Wie wird sie entscheiden? Die Kinder malen
schnell, weil die Zeit knapp ist und besprechen immer wieder dabei,
wie der Maßstab wäre; sie vergleichen die Bilder. Als die
Erzieherin kommt, erwarten sie bang ihr Urteil.
Beispiele wie diese finden Sie im Klassiker „Punished by Rewards: The Trouble With Gold Stars, Incentive Plans, As, Praise, and Other Bribes“ von Alfie Kohn, von dem es noch das Buch „No competition“ gibt. Was Sie vielleicht erstaunen mag: Die Kinder des ersten Versuches malen in etwa genau so viele Bilder wie die Kinder im zweiten Versuch, aber schönere!
Im ersten Experiment versuchen Kinder, die Schönheit nach ihrem
IQL (Internal Quality Level) zu beurteilen, im zweiten nach ihrem
IAL (Internal Achievement Level). Die Sichtweise ist anders. Man kann
die Bilder schön im naiven Sinne malen oder an Bezahlungskriterien
messen, die eventuell nicht einmal ganz klar sind.
(In den vorhergehenden DDs habe ich über den IQL geschrieben,
was viele von Ihnen missverstanden haben. Ich habe zu wenig Resonanz
erzeugen können, was ich mit „naiv von außen gesehen
gute Arbeit“ meine. Ich hoffe, es wird hier klarer?)
In der Art der Kinder und Bilder finden wir uns im Alltag wieder.
Eine Bankberatung kann naiv gesehen gut sein – aus der Sicht
des Kunden, der beraten wurde. Aber eine gute Beratung mag wenig Profit
bringen („Bundesanleihe sind sicherer als unsere Haussparbriefe,
bringen genauso viel Zinsen und können jederzeit an der Börse
verkauft werden, was mit unseren Briefen nicht geht.“). Sie
stellt dann für den Homo Oeconomicus oder den Chef oder die Bank
kein Achievement dar. In diesem Fall ist gute Arbeit sehr verschieden
von Arbeitsleistung.
Soll der Zahnarzt gut arbeiten oder schnell? Soll der Handwerker genau
die Erwartungen erfüllen oder lieber mit seiner Kunst glänzende
Augen erzeugen? Soll der Schüler versuchen, gut Englisch zu lernen
oder soll er 15 Punkte im Abi anstreben? Soll der Student die Wissenschaft
aufsaugen oder Bewerbungsaktenoptimierung betreiben?
Wer im naiven Sinne gute Arbeit abliefert, erfreut den Kunden und
erfüllt sich mit Stolz. Wer effizient viel schafft, erfreut den
Chef und bekommt gutes Geld und Lob, was ihn selbst sehr freut. Wir
alle können uns zweifach freuen: Über das Ergebnis der Arbeit
im eigentlichen Sinne oder über das Erreichen von quantitativen
Zielen. Die eine Freude ist wie stille innere Zufriedenheit, die andere
wie lauter Triumph bei einem Sieg.
Am besten wäre es, beides zu haben.
Geht das? Und wenn ja, wie?
Denken Sie an die Kinder. Die ersteren malen genauso schnell, aber
schöner. Folgen Sie also Ihrem naiven gesunden Menschenverstand.
Liefern Sie das Gute. Wenn sie das aufrichtig tun, werden Sie wohl
Meister. Als Meister werden Sie besser und natürlich auch viel
schneller. VIEL schneller! Das wollen die meisten Menschen nicht akzeptieren.
Ist denn ein exzellenter Programmierer langsamer? Ein Frisörmeister?
Ein Zahnarzt? Ein Klempner?
Sie können beides haben, wenn Sie Ihren IQL erhöhen, das
ist der Level, an dem Sie Ihre Arbeit als naiv gut empfinden.
Aber wenn Sie zeitvergessen arbeiten und nicht auf das Achievement
achten, wird es Ihren Chef aufregen, weil der als Manager meist einer
derjenigen ist, der die Freude am Sieg höher schätzt als
die stille innere Zufriedenheit. Sein Ehrgeiz macht ihn kurzfristig.
Er will nicht beides haben – nur den Sieg. Den bekommt man aber
eigentlich eher dann, wenn man beides bekommt! Schauen Sie auf die
Kinder!
Und der alte Star wird gefragt, warum er so spät den Oscar bekam:
„Ich war zuerst Naturtalent und wurde auf Händen getragen.
Dann wollte ich mehr und mehr erreichen und habe zu viele Filme gedreht,
ich habe meinen Ehrgeiz gestillt. Irgendwann wurde ich wieder ruhiger.
Heute nehme ich Rollen an, die mich glücklich machen und mich
wachsen lassen.“
Die Kinder im zweiten Versuch schielen auf die Euros, die meisten Arbeitnehmer schielen auf die Augen des Chefs. Die Kinder wissen nicht, dass sie nur malen sollten. Sie aber wissen es jetzt. Und doch werden Sie morgen auf die Augen des Chefs schielen, weil Ihre subjektive Angst höher ist als alle objektive Erkenntnis. Und Ihr Unterbewusstes wird Sie sagen lassen: „Mein Chef wird böse, wenn ich nicht auf Achievement aus bin. In unserer Firma wird man bestraft, wenn man einfach nur gut ist. Er urteilt nach IAL, nicht nach IQL. Ich habe Kinder im Studium, ich kusche und mache meine Arbeit seit Jahren nicht mehr gut. Ach, wenn ich nur dürfte!“
Darf ich einmal brutal sein? Wenn Sie viele Jahre nur Achievement brachten, aber keine Qualität im engeren Sinne – ist dann die Annahme erlaubt, Sie KÖNNTEN gut arbeiten, wenn man Sie nur ließe? Das ist im Prinzip möglich, es gibt ja Beispiele. Aber ist es wahrscheinlich? Trifft es auf Sie zu? Verliert man denn nicht bei hastigem Arbeiten den Sinn für gute Arbeit ganz? Vergisst man denn nicht unter Stress das Weiterbilden und die Selbstmodernisierung? Gibt es ein Comeback? Was machen Sie, wenn Sie pensioniert oder arbeitslos werden?
Tun Sie bitte bloß immer gut, was Sie tun!
Sie bekommen dafür nicht die größten Gehaltserhöhungen,
das weiß ich selbst genau. Die Gehaltserhöhungen werden
nach IAL bemessen, nicht nach IQL. Aber hohe Qualität wird zwar
nicht stark belohnt, aber immerhin nicht verdammt. Faktisch gesehen
– und nach allem, was ich selbst so mitbekam – arbeiten
Sie im schlechtesten Falle die ganze Zeit für ein Monatsgehalt
weniger im Jahr. Sie haben zwar gut gearbeitet, aber im schlechtesten
Falle nicht genug Gewinn gemacht, weil das Gute („Kunde“)
und die Leistung („Chef“) zu weit auseinander lagen. Viel
schlimmer habe ich es nie gesehen. Nirgends! Das gute Arbeiten verbunden
mit der inneren Freiheit und den glücklichen Augen des Kunden
kostet also maximal vielleicht zehn Prozent Gehalt und die resignierte
schwache Missbilligung Ihres Chefs. Wenn Sie wählen müssten
– was wählen Sie?
Die meisten wählen Achievement. Sie hoffen auf andere Chefs
und bessere Zeiten. Spoiled by rewards. Was aber, wenn diese Zeiten
nicht kommen? Oder so spät, dass Sie fragen müssten: Wer
bin ich jetzt geworden?