Heartstormings statt Brainstormings! (Daily Dueck 83, Februar 2009)

Leider muss ich so viele Brainstorming-Meetings miterleben. Es ist grauenvoll. Kreativität ist nämlich harte Arbeit bei sehnendem Herz! Und eben nicht so etwas Eigenartiges, was wir da normalerweise in größeren Gruppen anstellen. Das haben uns Psychologen und Managementberater eingebrockt, die mit der Moderation von solchen Selbsthilfegruppensitzungen schön Geld verdienen, ohne je selbst eine Idee haben zu müssen. Sie berechnen all den Unsinn, der uns selbst einfällt. An den glauben wir ja eher – ja, ich verstehe diesen Punkt auch.

Ideen kommen heran, wenn sich das Herz etwas vom Gehirn erwünscht. Wenn sich das Herz sehnt nach einem Ziel, wenn es am Meer steht und in die Weite will, wenn es vor dem Berg die Augen erhebt und den Pfad nach oben sucht. – Wenn es auf Entdeckungsreise ist oder ein Problem lösen will. Wenn die Begeisterung flammt und uns weiter und höher hinaus tragen will. Das Suchen nach Ideen ist wie ein Abenteuer zu etwas Aufregendem hin. Ideen selbst sind wie Erwachen des Herzens und Licht überall.

In der SZ vom 16. Januar 2009 werden neue wissenschaftliche Erkenntnisse ausgebreitet. Brainstorming bringt gar nicht viel! So heißt es da. Ja, was ist denn nun wissenschaftlich? Was stimmt denn nun? Hü oder Hott? Und bei aller widersprüchlicher Wissenschaftlichkeit – ich kann doch selbst sehen, wie jämmerlich wenig herauskommt! Das sehen übrigens so ziemlich alle, aber sie wissen nur zu gut, dass dieses elend Wenige besser als nichts ist. „Sehen Sie, wir beschäftigen uns sonst nur mit dem Tagesgeschäft. Da ist es so wohltuend gesund, auch einmal an das Wichtige zu denken, wenigstens für ein Stündchen. Wir können natürlich nicht in einer Stunde die großen Ideen erzeugen und auch nichts auf den Grund durchdenken, aber es ist besser als nichts.“

Und so verfangen wir uns in Brainstormings. Wir treffen uns in einem Meeting und bekommen eine simpel klingende Aufgabe, die titanisch schwer zu bewältigen ist. Meist eine dieser Art: „Welche neuen Produkte fallen uns ein?“ Entsetzlich. Keiner ist auf solch ein Problem vorbereitet, obwohl wir alle wissen, dass es DAS Problem sein könnte. Kaum jemand von uns hat Ahnung von Neuerungsdurchsetzen oder erfolgreicher Innovation, alle haben aber eine feste Stammtischmeinung, die sie sich bei Misserfolgen gebildet haben. Keiner will etwas vorschlagen, was den eigenen Bereich schädigt. Es ist aus Eigennutzsicht plötzlich gar nicht mehr klar, ob man überhaupt neue Produkte braucht, es genügt oft, die alten etwas besser zu machen – neue Farbe, neues Logo! Das Management aber drängt auf Geschwindigkeit und Neuheiten. „Wir müssen besser werden. Wir müssen Mitarbeiter freisetzen. Helfen Sie uns, es mit der Hälfte von Ihnen zu schaffen.“ Die Moderatoren eines Brainstormings tun höflich so, als wären die erforderlichen Antworten schon a priori im Hirn, wie auf einer Festplatte gespeichert. Die Antworten müssen nur durch Scannen unserer Hirndaten entdeckt werden. Nicht durch harte Denkarbeit erdacht – nein! Sie sind angeblich alle schon da. Wenn in einem Einzelgehirn nichts zu finden ist – macht nichts! Brainstorming wird ja als Massenveranstaltung abgehalten, irgendein Hirn wird doch etwas zur Sache beitragen können. Wenn keinem etwas einfällt, verrät der Moderator, welche Ideen derjenige hat, der seine Rechnung bezahlt. Am besten wäre es, allen fiele ganz von selbst begeistert ein, wozu sie der Chef sonst zwingen müsste. Seine Idee ist ja auch nicht von ihm, sondern sie wurde ihm in einem früheren Brainstorming selbst von einem höheren Moderator aufgezwungen.

Brainstorming! Legen wir also die Stirn in Falten! Pflügen wir das Hirn um! Da redet der Erste schon los, der Moderator moderiert ihn erfolglos Die anderen versuchen verzweifelt, auch einmal zu Wort zu kommen. Das Zu-Wort-kommen-Müssen blockiert jede weitere Hirntätigkeit für längere Zeit. Alle plappern was anderes und unsere Idee passt längst nicht mehr in die Diskussion, wenn wir mal dran sind, etwas zu sagen. Es wird vor den Augen des Chefs gebuhlt und um Glanz gekämpft. Die Mehrheit findet schnell ein gruppentaugliches Banalthema: „Wir sind gut, aber es hat keiner gemerkt, weil wir zu stark arbeiteten und leider nicht unsere irren Erfolge adäquat kommunizierten. Wir müssen besser prahlen als andere!“ Ach je, und wirklich gute Ideen brauchen zu viel Erklärung und Tiefe und werden deshalb sofort ausgegrenzt. Die echt Kreativen kommen nicht zu Wort oder werden gar nicht verstanden und verzweifeln. Komplexe Ideen werden niedergemacht. „Es muss leicht umsetzbar sein. Die Umsetzung soll schnell gehen und sofort Früchte tragen, dafür darf sie nichts kosten.“ Damit wird den Ideen Stress gemacht. Unter Stress aber verderben die Ideen. Unter Stress versiegt die Kreativität der Kreativen.

Unter Stress siegen Pseudo-Ideen wie: In den Köpfen muss sich etwas ändern! Wir müssen mehr Disziplin haben, mehr Speed! Verantwortung zeigen und Willen! Die PS auf die Straße bringen! Endlich „nur noch“ das umsetzen, was wir schon so oft beschlossen haben! Wir wissen ja, was wir tun müssen, es fehlt nur an der Umsetzung! Wir brauchen einen neuen Projektnamen, damit es wie eine brandneue Idee aussieht! Dann nur noch Leute, die es tun! Wir schauen in die Runde in die verlegenen Gesichter. Wenn Gesichter aufgezwungene Verantwortung oder drohende Sinnlosaktionen wahrnehmen, schauen sie weg wie von einem Bettler. Das darf nicht sein! Und deshalb müssen wir den fahlen Gesichtern Milestones, Measurements und Trackings verpassen, Ziele eben und Termine. Wir versprechen ihnen die dafür nötigen Mittel, die es aber faktisch nicht geben wird. Man muss KREATIV sein, um die Ziele herzaubern zu können.

Brainstormings führen in solcher Weise nicht zu Ideen oder Plänen, sondern zu Aktionismus und Folgefrust wegen der voraussehbaren Fehlschläge. Und ich stelle immer wieder die Gretchenfragen, hier an Sie: „Warum bereiten wir uns nicht vor? Warum arbeiten wir uns nicht vorher in die Problematik ein? Warum bringen wir nicht schon gute Ideen mit? Warum dürfen alle bei neuen Ideen mitmachen? Warum nicht nur die, die so etwas können und am besten ihre Fähigkeiten schon bewiesen haben? (Viele Kochlehrlinge verderben nicht nur den Brei, sie reden nur welchen.) Warum scheiden wir nicht schon vor dem Meeting unsinnige Ideen aus und reden nur über die, die es wert erscheinen?“

Ich weiß es ja: Brainstormings sind fast immer eine Inszenierung von festem Erfolgswillen für adrenalingeflutete Gehirne. Unsere Herzen werden ganz vergessen! Die Sehnsucht nach dem Besseren treibt uns doch! Das Herzblut bleibt nicht rational oberflächlich. Das Herz handelt und ist nicht aktionistisch. Haben Sie je ein aktionistisches Herz gesehen? Heartstormings sollten wir haben.

Und wenn da einer ist und ein Herz und sein Blut spenden will – dann, bitte, erschauern Sie bei anderen vor Respekt und lassen dieses Herz dann SEIN Lieblingsrezept kochen, nicht Ihres und nicht das Ihres Chefs … Kochen Sie nicht mit, aber helfen Sie, Gemüse zu putzen und den Tisch zu decken. „Enablement instead of tracking.“ Ein Herz braucht allenfalls Unterstützung, aber keinen Stress, es will ja ganz aus sich allein heraus.

Ja? Wirklich? Und wer hat jetzt die Kontrolle? Was, wenn es schief geht? So wird oft gefragt. Die Kontrolleure aber setzen nur aktionistisch Aktionen auf, bringen aber letztlich nichts hin. Und wenn jetzt ein Herz etwas Wirkliches tut, ist es schon weiter, als sie je kommen. Ist es zuviel verlangt, das zu würdigen? Ohne den Versuch einer Kontrolle? Wussten Sie, dass spontaner Beifall eine gute Kontrolle ist? Oder glänzende Augen?

Gunter Dueck

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