Links im Sinnraum
„Papa, kann eine Bank ethisch sein?“ (Daily Dueck 77, Oktober 2008)
Warum sind denn so viele Unternehmen in die Wirren verwickelt, die den Finanzmarkt erschüttern und das Jahr 2008 in die Nähe von 1929 rücken? Wir haben zuerst nur geglaubt, es seien einzelne schwarze Schafe. Dann aber gingen uns die Augen über. Hey, Leute, Sie verstehen die Mathematik von Gut und Böse nicht! Es ist gar nicht so einfach, gut zu sein. Es kann sogar umbringen.
„Eine Bank kann ethisch sein, mein Sohn. Aber sie muss das
aushalten können. Stell dir vor, die Immobilienpreise steigen
wie verrückt. Ein Haus, das heute 300.000 Euro kostet, wird in
wenigen Jahren – so spekulieren alle – 400.000 Euro wert
sein. Vor zwei Jahren war das Haus noch 200.000 Euro wert. Ein Sparer
hat 50.000 Euro auf der Bank und möchte von der Bank 250.000
Euro Kredit bekommen.
Da schüttelt der Bankberater der ethischen Bank den Kopf und
rechnet vor, dass ein Sechstel Eigenkapital unseriös wäre.
Normal wäre ein Drittel. Außerdem seien die Hauspreise
sehr hoch und könnten jetzt sogar fallen. Wenn die Bank 250.000
Euro Hypothek gäbe und der Hauspreis auf 240.000 Euro wieder
zurückfalle, müssen eventuell zwangsversteigert werden.
Dann hätten die Bank und der Hausbesitzer gemeinsam einen erheblichen
Schaden.
Der Sparer argumentiert: Das weiß ich. Ich habe es mir ausgerechnet.
Ich müsste eigentlich ein Drittel Eigenkapital haben, also 100.000
Euro. Ich muss also noch 50.000 Euro ansparen. Dazu brauche ich zwei
oder drei Jahre. Dann aber kostet das Haus 400.000 Euro und ich müsste
133.000 Euro Eigenkapital haben. Verstehen Sie? Die Häuserpreise
steigen schneller als ich sparen kann. Deshalb muss ich den Kredit
jetzt sofort haben. Jetzt oder nie.
Der ethische Bankberater antwortet: Da alle annehmen, dass die Preise
sehr schnell steigen, wollen alle jetzt sofort kaufen, weil sie sonst
fürchten, nie mehr ein Haus zubekommen. Wenn aber alle jetzt
sofort kaufen, steigen die Preise unseriös hoch an. Danach haben
alle ein Haus gekauft und dann will keiner mehr eines. Deshalb fallen
die Preise bald wieder. Ich muss Ihnen also raten, jetzt nicht zu
gierig zu sein. Gier führt in den Untergang. Davor bewahre ich
Sie und verweigere Ihnen den Kredit. Sparen Sie in Ruhe weiter. Sie
haben in drei Jahren 100.000 Euro gespart und bekommen das Haus für
250.000 Euro. Dann ist alles gut.
Der Sparer schreit: Ich will jetzt! Das hier ist meine Hausbank und
muss Kredit geben!
Der ethische Bankberater schüttelt den Kopf. Nein, ich schütze
Sie vor Ihnen selbst.
Da rennt der Kunde davon und bekommt einen Kredit von einer unethischen
Bank. Verstehst Du das?“
„Papa, ja, da hat der Berater recht. Aber er hat mit seiner
Ethik den Kunden ja nicht gerettet, sondern nur in die Arme des Bösen
getrieben. Das ist nicht gut. Das Ethische hat ja jetzt nichts genützt,
oder?“ – „Nein, mein Sohn, nichts. Die ethische
Bank verliert jetzt alle Kunden, die nach Krediten fragen. Die laufen
ärgerlich in der Stadt herum und klagen die ethische Bank an,
die nur an ihre Sicherheit denkt und damit nur an sich selbst. Sie
schreien: Diese Bank ist egoistisch und geht für uns treue Stammkunden
keinerlei Risiko ein, nicht das klitzekleinste! Diese Bank ist böse.
Sie handelt unethisch. Wer bei ihr die Verbindung unterhält bekommt
keinerlei Hilfe und niemals ein Haus. Sie horten ihr Geld, diese fetten
ekligen Pfeffersäcke.“ – „Aber Papa! Da sehen
sie es alle jetzt falsch herum!“ – „Ja, richtig!
Und die ethische Bank verliert ihren guten Ruf und geht pleite.“
„Und die andere gehen dann an den faulen Krediten pleite, oder?
Papa, das ist schrecklich, alle gehen pleite, aber die Guten sterben
zuerst, dann erst die Bösen.“
„Ach, nein, Sohn, die unethischen Banken sind so viele, die
muss man retten, weil sonst die Gesellschaft gefährdet ist.“
„Dann sterben nur die Guten?“ – „So ist es.“
„Papa, das kann nicht sein, oder?“ – „Schau dir doch einmal den Radsport an. Stell dir vor, da ist ein ethischer Radfahrer, der gar nicht dopt. Nicht bis an die Grenzwerte aller Substanzen – einfach gar nicht. Was passiert mit dem?“ – „Er kann nicht mithalten. Oh, das stimmt. Er ist wie eine ethische Bank, Papa. Oder?“ – „Er wird seinen Beruf aufgeben. Die anderen nehmen Substanzen bis an alle Grenzwerte. Oft auch mehr. Sie spekulieren darauf, dass das Radrennen ja nicht als Ganzes untergehen darf. Deshalb sind sie nicht so streng, wenn alle dopen.“ – „Wenn die Bösen allein übergeblieben sind, hat es ja keinen Sinn mehr, einzelne zu bestrafen, oder? Aber, Papa, das kann doch nicht sein!“
„Beim Radsport muss die Aufsicht immer stärker und stärker Dopingproben nehmen und immer genauer untersuchen. Das ist das einzige Mittel. Man muss Polizei und Kontrolle auffahren. Das haben sie bei den Banken irgendwie nicht gemacht.“ – „Warum nicht, Papa?“ – „Bei den Banken waren die Kontrollen nicht so stark, weil man ihnen Vertrauen geschenkt hat. Banken waren der Inbegriff für Vertrauen und Sicherheit. Früher war das bei Radfahrern auch so. Niemand hat je gedacht, dass Eddy Merckx gedopt wäre, oder Rudi Altig. Das war genauso unwahrscheinlich wie wenn eine Staatsbank spekuliert. Man muss jetzt die Dopingkontrollen auch bei den Banken einführen.“
„Papa? Wäre es nicht besser, alles würde wie früher, als alle noch gut waren?“ – „Ach ja, schön wäre das! Die Radfahrer gehen bis an die Grenzwerte und werden dann später Sportinvaliden. Da es alle tun, gibt es keinen Vorteil. Nur den Nachteil, dass sie krank werden. Sie müssten alle gleichzeitig aufhören.“ – „Und das tun sie nicht. Das verstehe ich. Einer macht es heimlich weiter und besiegt die anderen. Was machen wir da? Warum waren die Leute früher gut?“ – „Sie haben sich geschämt, wenn sie unethisch oder gierig waren.“ – „Heute schämt sich keiner, Papa. Was machen wir denn nun?“
„Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Alle vertrauen und haben
keine Polizei. Oder alle suchen ihren Vorteil auch gegen andere und
müssen dauernd kontrolliert werden. Irgendwie schwappt es hin
und her. Gute Zeiten, schlechte Zeiten.“ – „Papa,
wir sind jetzt selbst wieder ab sofort ethisch und zeigen allen anderen,
dass wir ein Vorbild sind. Ich will ethisch sein und beim Bösen
nicht mitmachen.“ – „Aber du siehst an der ethischen
Bank, dass sie damit pleite geht?“ – „Sagst du mir
als Vater, ich soll böse sein?“ – „Ach Kind,
nicht böse, nur realistisch. Ich will doch nur dein Bestes. Die
Zeiten, mein Kind, die Zeiten. Das Gute ist nur gut, wenn es in der
Mehrheit ist. Und das ist es heute nicht.“ – „Wir
überzeugen alle!“ – „Ach Kind, das geht nur
im Kino. Dort besiegt das Gute das Bösen durch nur-gute Methoden,
damit es immer rein gut bleibt. Sonst wird der Film nicht wirklich
schön, nur realistisch. In Wirklichkeit muss das Gute irgendwann
auch das Messer ziehen und kämpferisch und unduldsam werden.“
„Dann ist das Gute nicht mehr gut. Wie aber wird alles gut,
wenn das Gute nicht mehr gut bleibt?“
„Hilfe! Ich weiß es nicht! Ich meine nur, dass das Gute
einmal wirklich böse werden müsste!“