Links im Sinnraum
Die Banken verbaseln alles (Daily Dueck 67, Juni 2008)
Die so genannten Basel II Regeln verlangen von Banken, dass sie die Risiken vermeiden und managen. Tatsächlich aber werden die Risiken erhöht. Das sehen wir ja jetzt. Die Banken haben das Geld nicht sorgsam gehütet, sondern verbaselt. Wie geht das? Ich versuche, Ihnen eine Idee von Risikomanagement zu geben.
Wenn man einen Kredit vergibt, kann es sein, dass der nicht zurückgezahlt
wird. Das ist das Risiko der Bank. Sie muss für diesen Fall gewappnet
sein. Deshalb wäre es klug, wenn sie Geld zurücklegen würde,
so viel, wie es dem eingegangenen Risiko entspräche. Sie deckt
dann etwaige Verluste mit ihrem Eigenkapital ab.
Auf der anderen Seite haben sich die Banken eingeredet, sie müssten
die Eigenkapitalrendite so irre hoch steigern wie es die Citi-Bank
manchmal geschafft hat. Sie wurde als Vorbild gesehen (das ist diese
selbe Bank, die neulich in Risiken erstickte!). Sie erinnern sich
vielleicht, als die Deutsche Bank ebenfalls mehr als 25 Prozent wollte
und dies auch schaffte?
Es ist ganz leicht, die Eigenkapitalrendite zu erhöhen. Die meisten
von Ihnen denken, dass macht man dadurch, indem man mehr Gewinn erzielt.
Naiv! Rendite ist Gewinn pro Kapital. Sie können die Rendite
auch erhöhen, wenn Sie das Eigenkapital senken. Eine gute Idee
wäre es, sich alles Geld, was man Kunden als Kredit verleiht,
selbst bei anderen Banken zu leihen und GAR KEIN Eigenkapital zurückzulegen.
Stellen Sie sich vor, eine Großbank hat 1 Euro Eigenkapital
und macht einen Gewinn von 100 Euro im Jahr. Dann ist die Eigenkapitalrendite
gleich 10.000 Prozent (Der Gewinn ist das Hundertfache des Kapitals!).
Man muss also das Eigenkapital senken, dann ergibt sich die Rendite
von ganz allein und schwupps hat der Vorstand sein Ziel erfüllt
und bekommt einige Millionen Bonus. Hey, man muss nur höhere
Risiken in Kauf nehmen, am besten alles riskieren!
Frage: Wer, bitte, hat denn jetzt eigentlich das Risiko, wenn die Großbank nur 1 Euro Eigenkapital hat? Antwort: Die Aktionäre. Wenn die Bank Kreditausfälle nicht decken kann, weil das Eigenkapital nicht ausreicht, sind die Aktien wertlos. Die Bank wird dann wohl für 1 Euro verkauft und gehört dann anderen Aktionären. Denken Sie einen Augenblick genüsslich nach: Genau diejenige Strategie, die die Eigenkapitalrendite himmelhoch schießen lässt, verwandelt in Wirklichkeit so etwas wie Risiko in Geld. Man verbessert die Kennzahlen durch maßloses Riskieren. Wir schließen logisch einwandfrei: Diese Art von Management ruiniert die Aktionäre. Diese Art von Management aber hat sich ja gerade in den Dienst des Shareholder-Values gestellt!! Das Management treibt das Risiko hoch, zeigt bessere Zahlen vor, bekommt einen Bonus und die Aktionäre jubeln, denn sie kaufen jetzt noch Aktien dazu und der Kurs steigt. So geht die Produktion von Shareholder-Value ohne viel Arbeit. Man muss das Risiko hochfahren, aber so, dass die Leute an der Börse und vor allem die dummen Aktionäre es nicht merken. Kein Problem, sie verstehen ja nichts von Risiko und lassen sich die Aktien hochjubeln und jubeln dabei mit.
Die Bankenaufsicht passt aber auf! Sie will uns ja nicht in den Fängen solchen Treibens lassen. Deshalb hat sie Regeln aufgestellt, dass man Banken nicht einfach auf Kredit arbeiten lassen kann. Die so genannten Basel II Regeln verlangen, dass für jeden Kredit genug Eigenkapital da sein muss, sonst bekommt die Bank eine gelbe bis rote Karte. Das geht so: Sie und ich werden als Kunden in Bonitäts-klassen eingestuft. A sind die sehr guten, B die guten Kunden und dann gibt es noch C und D. Je nach Kundenklassen muss die Bank die Kredite mit so etwas wie acht oder zwölf oder fünfzehn Prozent Eigenkapital unterlegen. Bei guten Kunden muss sie weniger Eigenkapital unterlegen, bei schlechten Kunden viel. Sie hat deshalb eigentlich lieber nur gute Kunden!
Die Banken haben nun zum Teil große Softwarepakete, die die Risiken optimieren. Die Bank gibt nun gerade so viele Kredite aus, dass das vorhandene Eigenkapital ausreicht. Damit halten sich also die Banken an diese Regeln der Bankenaufsicht.
Gut, denken Sie? Na ja… Sehen Sie: Die Regeln der Bankenaufsicht setzen dem Risiko Grenzen, sie sind eigentlich wie ein Limit im Straßenverkehr. Und genau wie wir im Ort immer genau 50 vor den Radarfallen fahren, fahren die Banken ihr Geschäft genau an der Basel II Kante. Das ist eigentlich nicht so gedacht, oder? Dass man Risiken am oberen Limit fährt, weil die eigenen Aktionäre nix davon kapieren? Okay, erlaubt ist es jedenfalls, nur nicht gut.
Aber nun: Nehmen wir einmal an, in Amerika steigen die Immobilienpreise an. Denken wir uns einen armen Mini-Jobber aus Nebraska, der in einem geerbten Papphaus mit einem Wert von 100.000 Dollar lebt. Er hat darauf noch 30.000 Dollar Schulden. Hohes Risiko! Nun aber steigt der Marktwert des Hauses auf 150.000 Dollar an. Jetzt – so sagen die Regeln – ist das „Risiko“ niedriger geworden. (Es ist eigentlich nicht das langfristige Risiko kleiner geworden, eher erst die augenblickliche Gefahr, aber die Basel II Regeln schauen nur auf den augenblicklichen Stand – tja.). Und nun sieht die Bank, dass aus einem D-Kunden ein C-Kunde geworden ist. Da aber ALLE Häuserpreise steigen, werden nun ALLE Kunden in der Bonität höher gestuft, die ein Haus besitzen. Sie sind ja alle reicher geworden. Deshalb muss die Bank nicht mehr so viel Eigenkapital für die Kredite hinterlegt haben. Sie kann jetzt wieder viel mehr Kredite bei gleichem Eigenkapital ausgeben.
Was macht die Bank? Sie fragt den armen Mini-Jobber, ob auf das Haus mit dem neuen Wert von 150.000 Dollar nicht noch ein Autokredit aufgenommen werden kann. Dann hat sie wieder den Kreditrahmen ausgeschöpft. Sie gibt dem Kunden dabei gerade so viel Geld, dass er nicht wieder auf D abrutscht. Verstehen Sie? Man geht immer das höchstmögliche Risiko ein, was gerade erlaubt ist. Alles am Limit.
Nun steigen die Immobilienpreise in den USA bekanntlich immer rasant an. Die Risiken und Kredite werden immer mit dem jeweils höheren Limit hochgefahren. Alles schraubt sich höher und höher. Und höher!
Und nun frage ich Sie als potentiellen Laien: Was passiert, wenn
die Häuserpreise doch ganz ausnahmsweise einmal um 10 Prozent
fallen, was ja vorkommen soll?
Dann müssen die Banken die C-Kunden wieder auf D zurückstufen
und deshalb viel mehr Eigenkapital haben. Klar?
Nun SIND aber die Immobilienpreise gefallen. Was ist passiert? Die Banken haben fast alle am Limit agiert und brauchten jetzt Eigenkapital. Es ist aber keins da, weil die Aktien in Panik fallen und keiner neu einsteigen will. (Deutsche Sparkassen gehören den Kommunen und die haben auch so eine Limitstrategie, stets kein Geld zu haben, was sie „fehlende Spielräume“ nennen; wenn sie nämlich Geld hätten, so hätten sie auch wieder Raum zum Spielen.) Die Kredite der C-Kunden werden nun zu Krediten von D-Kunden, sind also fauler geworden und damit weniger wert, wenn man sie loswerden oder verkaufen will. Alles fällt. Die Banken müssen SOFORT Eigenkapital aufnehmen, sonst sind sie jenseits des Limits und werden geschlossen. Das kann in wenigen Stunden oder Tagen gehen. Deshalb telefonieren sie alle nun hektisch mit Staatsfonds und Milliardären aus China, Indien und Arabien, damit die mal blitzschnell einige Milliarden einschießen. Die Banken verkaufen sich jetzt in Minuten an jeden, der will, wo sie sonst doch heilige unantastbare nationale Symbole gewesen waren. Bitte sehen Sie das Problem: Die Banken könnten die Verluste an sich schon tragen, aber sie DÜRFEN laut Gesetz nicht unterfinanziert arbeiten. Deshalb suchen sie Eigenkapital – die Verluste sind vergleichsweise egal, die zahlen ja die alten Aktionäre.
Wir sehen: Die Regeln zum Eindämmen von Risiken werden von Finanzinstituten
gar nicht als Richtlinien gesehen, die Gefahrenzonen aufzeigen. Nein,
sie benutzen die Regeln zum Ausreizen. Grüne Ampeln sind zum
Regeln des Verkehrs gedacht – nicht aber, dass alle Leute exakt
noch eine halbe Sekunde in Rot rein fahren, weil erst ab da die Strafen
einsetzen.
Wir sehen auch, dass die Regeln der Finanzmärkte zusammen mit
den Am-Limit-Strategien dazu führen, dass es nun bei jedem Immobilien-oder-was-weiß-ich-Umschwung
zu einer gigantischen Finanzkrise kommen MUSS.
Warum hat das niemand erkannt? Ich glaube, ich weiß es. Es gibt einen wahnsinnig tiefsinnigen Grundsatz der Volkswirtschaftslehre, der alle mit Blindheit oder Dummheit geschlagen hat: Er lautet: „Über die ganze Volkswirtschaft hinweg betrachtet gleichen sich Schwankungen gegeneinander aus. Mal verliert der eine, mal der andere. Die Risiken verteilen sich und ebnen sich im Großen ein.“ Mathematiker wissen, dass dies bei unabhängigen Ereignissen stimmt. Aber leider erhöht sich das Risiko von ÜBERHAUPT jedem Kredit eines Hausbesitzers, wenn die Immobilienpreise fallen. Nichts gleicht sich aus, wenn die Banken alle gleich handeln wie die Lemminge. Bei Lemmingen stirbt in guten Zeiten keiner und dann, ab und zu, sterben sie alle. Das hat die Volkswirtschaft nicht verstanden und die Finanzaufsicht nicht berücksichtigt. Wir verstehen es als Aktionäre nicht und geben gutgläubiges Geld für Zertifikate und wir zahlen als Steuerzahler die Zeche und nehmen dafür am besten einen Kredit auf! Ja, eigentlich verlieren wir überhaupt alle, außer ein paar Managern, die im me-gaschlimmsten Fall von der Abfindung leben müssen.
Merke: Gesetze sind Grenzen. Sie werden so weit gesteckt, dass nicht
bei jedem „Kleinmist“ die Polizei kommen muss. Das meiste
regeln wir selbst, nicht die Polizei. Brücken werden so gebaut,
dass wir auch mal ein bisschen gewichtiger drüber fahren können
als genau erlaubt. Fahrstühle stürzen uns nicht in den Tod,
wenn statt 12 Normpersonen noch ein Übergewicht dabei ist. Die
Grenzen geben uns noch Luft zum normalen Leben. Wir haben „Toleranzen“.
Die Ver-Basel-Grenzen aber werden wie Empfehlungen gesehen, immer
genau an der Grenze zu stehen, immer nur einen Nanometer neben der
Kriminalpolizei, immer ein Milligramm vor dem Absturz in den Tod.
So wird das Leben zu einem reinen Seiltanz über der Schlucht,
bei dem die besseren Menschen einen Fallschirm dabei haben und die
restlichen zu Präkariatsmasse zerschellen. Unten, wenn alle vom
Seil fallen, warten wir Hilfsbereiten und päppeln die mit Staatsgeldern
auf, die noch leben – die mit den Fallschirmen.