Links im Sinnraum
Das Schweigen ist Schrei! (Daily Dueck 65)
„Cum tacent clamant.“ Übersetzt: Ihr Schweigen ist wie Schreien, wie eine Anklage. Dieser berühmte Satz ist von Cicero. Es gibt heute eine Menge Schweigen. Das ist mehr wie Verzweiflung, aus Angst nicht anders als schweigen zu können. Oder das, wovon die Rede ist, liegt so fern, dass nur noch geschwiegen werden kann. Die aber reden, wissen das lieber nicht.
Wenn die Nachricht zu schrecklich ist, fürchten wir, als Bote gelyncht zu werden. Dann ist Schweigen für uns wie Gold. Wenn wir etwas befehlen wollen, was für andere schwer zu schlucken ist, sind wir mit dem Schlucken der Kröten ganz zufrieden. Die Gewalt, die wir übten, traf auf keine Gegengewalt. Immerhin.
Heute ist es oft die Zeit, dass Mitarbeiter entlassen werden sollen oder geplant ist, ihren Lohn zu senken. Mindestens aber sollen sie mehr arbeiten und auch gehorsamer sein. Da werden dann Reden gehalten, die diese Absichten als geniale Strategie tarnen und mit Begeisterung verkünden. „Das einzig Beständige ist der Wandel. Er ist gut per se, was immer sich wie wohin wandelt. Jeder, der etwas ändert, ist der Held der neuen Zeit, würdig Manager mit Optionen zu sein. Viele, ja viele, fürchten den Wandel, denn sie sind voller Angst und zeigen sich als Schwächlinge, kaum gerüstet für die doch wechselvolle Zukunft. Sie zittern bei der Ahnung, dass der Wandel auch kleinere Nachteile bringen kann, um die sie sich selbstsüchtig kleinkrämerisch den ganzen Tag sorgen anstatt zu arbeiten. Natürlich werden wir Mitarbeiter entlassen, aber wer anständig arbeitet, hat nichts zu fürchten. Wir entlassen nicht alle gleichzeitig, sondern nur nach und nach. Wir stellen fest, dass nach jeder Entlassung die Arbeit dennoch von den übrigen getan werden kann. Oh, wie faul sind Sie alle, Sie verdienen kaum den Namen Mitarbeiter. Was soll es sonst bedeuten, dass die Arbeit stets von weniger Menschen getan wird? Sie hängen sich wahrscheinlich auch heute und nicht morgen wirklich rein, wir werden noch einschneidendere Maßnahmen nötig haben.“
Cum tacent clamant. Aber es ist das Schweigen der Lämmer.
Und die Arbeit wird schon lange nicht mehr getan. Die Kunden werden kaum noch betreut und verlieren das Vertrauen. Der Service funktioniert nicht mehr gut, die Kunden beschweren sich. Die Zeitungen berichten jeden Tag, wie zum Beispiel Banken oder Call-Center die Kunden verprellen oder „vertriebsstark“ unter Druck setzen, ohne sich um den Kunden selbst zu kümmern. Unnötige Versicherungen werden aufgeschwatzt, Handyverträge angedreht. Schummelpackungen enthalten nun weniger.
Das wussten die Mitarbeiter schon immer. Die Bankmitarbeiter haben sich nun schon 15 Jahre die Reden ihrer Chefs von den Vertriebsoffensiven angehört und bitter geschwiegen. Sie rufen heute Kunden zu Hause belästigend an und spüren, wie das Vertrauen zerrinnt. Sie werden kurzfristig mehr verkaufen, ein-, zweimal noch bei den Kunden. Der Chef wird sie dafür loben und sie werden wieder schweigen. Wenn die Kunden verschwinden, werden sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Nicht gleich jetzt alle, nur nach und nach. „Wir haben uns überlegt, wegen der Synergien die schlecht frequentierten Zweigstellen zu noch weniger frequentierten Großzweigstellen zusammenzulegen. Wir sind in einer Notlage, weil die Kunden für den tollen Service nicht zahlen wollen. Die Kunden sind gnadenlos.“
„Wir wollen die beste Firma mit den besten Mitarbeitern und den besten Produkten und den zufriedensten Kunden und dem besten Image und dem höchsten Gewinn und der größten Begeisterung der Mitarbeiter sein!“
Und Sie? Sie schweigen. Das, was Sie denken, ist zu weit weg von dem, was gesagt wird. Keinen Zweck etwas zu sagen. Alles annähernd Wahre ist verglichen mit dem Gesagten schon sehr destruktiv und läuft ins offene Messer.
Cum tacent clamant. Aber es ist das Schweigen der Lämmer.
Merken denn Ihre Manager, dass Sie schreien, wenn Sie schweigen? Ich höre es oft so: „Ich hatte einen mächtigen Bammel, den Mitarbeitern diese schwere Kost zu vermitteln. Aber sie haben alles geschluckt. Wir haben sie gezwungen, auf Bewertungsbögen anzukreuzen, wie gut die Reden ankamen. Meine war 2.6 im Schnitt. Das ist mäßig, ja, aber ich kann nicht mehr erwarten. Ich habe meinen Job getan. Es war nicht zu erwarten, dass sie mich küssen, wenn ich die Einschnitte ankündige. Es ist mein Job, so zu reden. Er ist sehr hart, besonders in solchen Momenten. Mein Job erfordert, dass es mir egal ist, was sie über mich denken. Ich darf mich nicht emotional auf das einlassen, was ich sage. Dann wittern sie auch meine Angst. Ich rede und rede. Ich will nichts anderes hören müssen. Ich höre von oben schon genug, nämlich, dass es noch nicht genug ist – und das gebe ich weiter. Ich hoffe, dass sie es dennoch schaffen, was ich wollen soll, dann bin ich aus dem Schneider.“
Überall Schweigen.
„Ihr seid auf der Hauptschule und werdet wohl bald arbeitslos. Es wäre besser, ihr lernt ein paar Sprachen und passt auf, damit etwas aus euch wird. Ich fordere euch auf, zu tun, was ich sage, denn das ist das einzige, was euch rettet. Begeisterung für Mathematik und Deutsch rettet. Liebe zu Jahreszahlen und Niederschlagsmengen. Ich bin nur Lehrer und kann euch keine Zukunft geben, denn es gibt längst schon keine mehr für alle. Wer eine Zukunft haben will, muss sie sich selbst durch Interesse und Lernfreude zu erschaffen beginnen. Meckert nicht mit dem unsinnigen Schulstoff, für den kann ich nichts, egal, was ihr über mich denkt. Es ist mein Job. Der Lehrplan ist wie er ist. Er ist die Eintrittskarte für die, die mich hier in Ruhe meinen Unterricht machen lassen.“
Irgendwie glauben die da oben fest entschlossen wider eigenes Wissen,
dass schweigend Schreiende immer noch gut arbeiten. Deshalb können
Sie so lange schreiend schweigen, wie Sie wollen. Das ändert
nichts. Dabei gäbe es Situationen, in denen Wandel ganz angebracht
wäre.
Wer aber wirklich schreien will, muss sich überlegen, wer es
hören soll. Der eigene Chef, das Fernsehen oder unsere Politiker?
„Ich wollte ihn anschreien, aber ich weiß, dass es ihm noch schlechter als mir geht. Ich arbeite ja noch die meiste Zeit relativ konstruktiv wenn auch überlastet, aber als Manager bekommt er wirklich ganztags Strom. Er tut mir leid. Er ist verzweifelt, aber als Manager darf er das viel, viel weniger zeigen als ich kleines Licht unten. Was wäre also gewonnen, wenn ich ihm zeige, wie er ist, denn er weiß es ja?“
Was tun wir also, wenn die gefühlte Wahrheit schon zu weit weg ist, dass sie hilfreich sein könnte? Wenn Wahrheit mehr schmerzen würde als das Verbleiben im Trug? Wenn Rückkehr mehr leiden ließe als das Weitergehen?!
Macbeth ächzt: „Ich steck so tief / im Blut, dass, sollte ich nicht weiter waten, /der Rückweg ebenso ermüdend wär’.“
Also weiter schweigend schreien? Ich sage:
Schweigen ist der letzte Schrei.
Ihr letzter. Des Lammes letzter.
Alle zurück, schrei ich! Hören Sie? Und dieser Wandel ist meinetwegen so schrecklich wie der, der Sie zum Schweigen gebracht hat. Denn Sie müssen nun selbst kämpfen. Ja. Na, und? Los!