"Vertraue mir oder ich hau dich um!" (Daily Dueck 32)

Diesen Satz habe ich vor einiger Zeit gehört. Ich krauste damals die Stirn und fand die Botschaft befremdend. Neulich aber war in einem großen Unternehmen davon die Rede, dass sich alle Mitarbeiter – verdammt nochmal – legal einwandfrei benehmen sollten, denn davon hänge das Vertrauen ins Unternehmen ab. Was denken die denn alle, dachte ich, was Vertrauen ist?

Damals, das war so: Ein Management-Team traf sich am Wochenende, um die gegenseitigen Beziehungen zu verbessern. Jeder Manager sollte auflisten, welchen Kollegen er vertraute und welchen nicht. Danach wollten alle Manager mit jedem einzelnen derjenigen ihrer Kollegen ein Gespräch führen, mit dem (noch) keine Vertrauensbeziehung bestand. Einer der Manager bekam also seine eigene moderat kleine Liste an Kollegen, mit denen ein Gespräch zu führen war und platzte los: „Die vertrauen mir nicht! Das ist ein Ding! Das werden wir mal sehen …!“

Und jetzt wieder: Wieso vertraue ich einem Unternehmen, dessen Mitarbeiter sich legal einwandfrei benehmen? Dass sie unbestechlich sind und nichts in den Zahlen manipulieren, ist doch ein Fall für das Gesetzbuch, nicht für eine Vertrauensfrage? Wenn mir eine Bank eine teure Kreditausfallversicherung anhängt, so ist das legal, aber nicht das, was ich von jemandem erwarte, dem ich vertraue – oder? Die Bank sagt doch damit, dass sie mir nicht vertraut oder mich ausbeutet?!

Deshalb habe ich im Duden nachgeschaut, was Vertrauen eigentlich wirklich bedeutet. Ich kann meine inneren Grübeleien über das Verständnis des Wortes Vertrauen wohl nicht besser beenden. Auf meinem Computer habe ich den vollen Duden con tutto installiert, also das ganze 10bändige Wörterbuch der deutschen Sprache. Dort heißt es:

Vertrauen: festes Überzeugtsein von der Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit einer Person, Sache.

Aha! Dann haben die alle Recht – und nur ich bin ganz ahnungslos! Der wütende Manager war nämlich ohne jeden Zweifel die Zuverlässigkeit in Person! Er konnte also mit jedem Recht der Welt von jedem anderen Menschen ausdrücklich verlangen, dass man ihm vertraut! Und wer ihm nicht vertraute, musste in der Tat blind, dumm oder böswillig sein. Aha! Und ich muss dann jedem Unternehmen vertrauen, weil es sich immer anständig benimmt! Denn es ist zuverlässig und damit gut. Die Definition aus dem Duden erscheint also „einseitig“. Wer unzweifelhaft zuverlässig ist, hat Anspruch auf Vertrauen, ohne Ansehen, wer der Vertrauende ist?

Was bedeutet denn dann: „Wir beide vertrauen uns.“? Ist da neben der Zuverlässigkeit nicht auch so etwas wie Liebe und gegenseitige Wertschätzung inbegriffen? Bedeutet Vertrauen nicht auch: „Wir haben keine Geheimnisse voreinander.“? Oder besser: „Es gibt keinen Grund oder Nachteil, uns gegenseitig etwas zu verheimlichen.“ Ich mag dann den anderen. Ich vertraue darauf, dass er „Geheimes“ nicht für sich ausnutzt, dass das Erfahren von vorher Geheimen aus meinem Leben seine Wertschätzung für mich nicht mindert. Vertrauen hat mit „Vertrautsein“ zu tun. Dieses Vertrautsein kann auch Verständnis für dauernde konsequente Unzuverlässigkeit einschließen („Er kommt immer zu spät von der Arbeit. So ist er.“), die ja auch wieder in anderem Sinne Zuverlässigkeit ist. Vertrauen hat mit Verantwortung für das Anvertraute zu tun. Meine Bank weiß sehr viel über mich – und ich würde mir wünschen, sie ginge treuhänderisch mit dem anvertrauten Wissen um, sie würde also für mich sorgen, dass es meinem Vermögen wohl erginge. Was aber, sie nutzt die Daten zuverlässig dazu, mir Werbung zu schicken? Was aber, die Bank nennt das, was ich ihr an Daten über mich anvertraut habe, ihren „Marketingdatenschatz“? Worum kümmert sie sich dann? Zuverlässig um sich selbst?

Vertrauen muss doch auch Sorge, Zuneigung und Verantwortungsübernahme für das Anvertraute einschließen? Damit das Anvertraute in treuen Händen liegt?! Es heißt doch „zu treuen Händen“, nicht zu „zuverlässigen Händen“. Im Sinne der Dudendefinition könnte ich also einem Computer vertrauen. Ja, das könnte ich. So wie meinem Auto, dass es bei Frost anspringt. „Auto, auf dich ist Verlass.“

Vertrauen ist mehr Gefühl – nicht nur Fakt. Ja! Genau! Und da fällt mir ein, dass es eine männliche und eine weibliche Vorstellung von Vertrauen geben könnte – und ich hatte immer die weibliche! Und es ist ja fast klar, welche von den beiden dann im Duden steht: die männliche. Und weil die im Duden steht, ist sie im Arbeitsleben maßgebend. Und dort heißt Kundenvertrauen nur, dass der Kunde sich drauf verlassen kann, dass alles ordentlich nach Vertrag zugeht. Mitarbeitervertrauen bedeutet dann, dass der Arbeitgeber sich genau an die Kündigungsvorschriften hält. Usw. usw. Der männliche Ver-trauensbegriff verlangt gar nicht so viel. Einfach nur Zuverlässigkeit. Was ist dann Gottvertrauen?

Gunter Dueck

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