Links im Sinnraum
Wegelagerer im Hotelzimmer (Daily Dueck 25)
Unten an der Rezeption regeln sie, ob der Veranstaltertarif oder der von IBM günstiger ist. Selbst wenn der IBM-Tarif höher ist, sollte ich eventuell lieber etwas mehr zahlen, weil ich bei der Abrechnung hinterher schwören muss, die als billigst angenommene IBM-Rate bezahlt zu haben. Sonst gibt es einen Ausnahmegenehmigungsprozess, der viel mehr als die Differenz kostet. 90 Euro soll meine Rate sein. Oben im Zimmer steht ganz bestimmt der offizielle Zimmerpreis, vielleicht 450 Euro. Wehe, wenn sich spät am Abend hierhin jemand ins Hotel verirrt – ganz ohne IBM-Ausweis. Dem werden sie wohl das schreckliche Preisschild zeigen. „Kann ich bitte einen Abdruck Ihrer Kreditkarte haben, damit sie nicht ohne Bezahlung abhauen können?“
Ich weise mich schüchtern als Treuekunde mit meiner Hotelsupervorteilskarte aus, für die ich wie versprochen angeblich noch ein paar Miles & More bekommen soll. Der feine Herr an der Rezeption seufzt mich mitleidig an. „Das auch noch zum Spottfirmentarif hinzu?“ Ich zucke zusammen. „Oh, ich dachte, da steht eigentlich, ich als Gast…“ Sofort springen sie herbei. Für mich (vielleicht nur für mich) ganz aufdringlich wollen sie meinen kleinen Koffer ins Zimmer rollen – sie erwarten einen Euro dafür. 50 Cent, Augenbrauen. 2 Euro, ein Lächeln. 1 Euro, gleichgültig routiniertes Selbstverständnis.
Im Zimmer muss ich noch etwas arbeiten. Internet? Gibt es! „Bitte
gehen Sie zur Rezeption und zahlen Sie für eine Surfstunde so
viel wie für den häuslichen DSL-Anschluss pro Monat. Sie
müssen eventuell nur den Computer neu installieren.“ Das
Telefon blinkt rot. Ich habe eine Nachricht. „Hallo, hier ist
Ihre Telefonanlage, ich bin immer für Sie da. Eine Einheit kostet
nur 40 Cent.“
Ich weiß seit Jahren nicht mehr, was eine Einheit ist. Früher
kostete eine Einheit einen bestimmten Betrag, für den man unterschiedlich
viele Sekunden morgens, mittags oder abends telefonieren konnte. Heute
rechnen alle Telefongesellschaften pro Minute oder Sekunde ab. Was
kann eine „Einheit“ sein? Mir fällt die letzte Reiseleiterin
in Kalifornien ein, die die Hoteltelefonanlagen mit dem Wort „offener
Raub“ erklärte. Ich lasse das alles lieber, nehme mein
Handy und schalte den Computer mit dem langsamen GPRS ein. Auf dem
Schreibtisch steht eine Flasche schön zimmerwarmes Mineralwasser.
Sie hat eine ringförmige Botschaft um den Hals. „Trink
mich für 4,50 Euro.“ Bei REWE kostet ein Kasten Klosterquelle
3,49.
Jemand klopft. „Hier soll etwas kaputt sein.“ Ich rate auf blauen Dunst hin, es sei der Duschkopf. Er sagt, der sei sowieso bei allen Hotels und allen Zimmern kaputt, es sei diesmal etwas anderes. Er werkelt kurz und meint, es ginge so nicht.
Die Minibar daneben sieht aus wie ein Gefängnis für Fläschchen.
In lauter Glaszellen stehen höllisch überteuerte Kleingetränke
in Minisondergrößen. „Bloße Entnahme führt
zur automatischen Zimmerrechnungsbelastung.“ Es sieht nicht
einladend aus, sondern eher drohend. Nebenan ist eine Tankstelle,
denke ich. Überhaupt ist es laut im Zimmer. Ach ja, der Fernseher
läuft. „Willkommen, Günther Dück“ begrüßt
er mich herzlich. Ich kann für 19,50 Euro ununterbrochen Orgien
anschauen, die neutral auf einer Extrarechnung verbucht werden. Zur
Auswahl steht daneben ein harmloser Schneewittchenfilm. Der dient
dazu, dass ich an der Rezeption nicht rot werde, wenn sie mir Schneewittchen
auf die Rechnung setzen. „Schneewittchen oder Rosenrot –
alles ein Preis!“
Auf dem Nachttisch steht ein Papierreiter, der mir das Bestellen von
Pizza empfiehlt. Ein Heft zeigt gesponsorte Stadtwerbung. Wenn ich
ausgehen sollen wollte, sei ein Safe für meinen Laptop bereit.
Der Safe kostet nur ein paar Euro pro Tag und ist für einen normalen
Laptop zu klein. Sie denken wohl, ich bin mit Schmuck behängt.
Es klopft. Sie wollen die Minibar auffüllen. „Es fehlt nichts, das sehen Sie doch am automatischen Computersystem.“ Sie sagt, das würde nur zum Abrechnen benutzt, nicht zum Auffüllen.
Auf dem Fernseher dankt mir „Janina“ vom Zimmerservice
für meinen Aufenthalt und deutet an, dass sie von mir leben wird,
wenn ich ihr etwas hinterlasse. Daneben stehen die Gebühren für
den Fall, dass ich die Playstation benutze. Im Bad bieten sie Rosenblüten
und Champagner für ein prickelndes Bad mit meiner Gefährtin
für 100 Euro an.
Ein Schild an der Wand warnt mich:
„Heißes Duschen kann zum Auslösen des Rauchmelders führen, weil dieser billige hier oft Dampf mit Rauch verwechselt. Wenn das passiert, müssen Sie für alle entstehenden Kosten aufkommen.“
Ich will doch nur schnell Mails beantworten und schlafen! Ich schalte den Fernseher wieder an, der mit einem Menu startet und Orgien empfiehlt. Ich finde die Nachrichten nicht. Ich sinke aufs Bett, ein Stück Schokolade rutscht runter. Da liegt ein Fragebogen, ich soll ankreuzen, ob ich mich zu Hause fühle und schon eine Hotelsupervorteilskarte mit Meilen für Treuekunden habe, die ich ohne Mucks bekomme, wenn ich auf Gold zu 50 Euro im Jahr upgrade.
Ich schlafe mitten in diesem Supermarkt ein. Nebenan dröhnt ein Fernseher mit Stöhnen.
Am Morgen brüllen sie sich fremdsprachige Befehle auf dem Flur zu. Sie klopfen um halb acht. „Roomservice! Schon ausgecheckt? Oh, sorry, ich verstehe, ich komme erst in ein paar Minuten wieder.“
Ich überlege, ob ich zum Aufstehen mehr als einen Kaffee möchte. Das Frühstück soll 18 Euro kosten. Das zahlt eigentlich IBM. Ich finde es aber nicht okay. So viel! Dieser Preis stört mein Rechtsempfinden. Wenn ich aufstehe, muss ich erst noch herausfinden, wie die Dusche funktioniert. Ich bin aus Gewohnheit sicher, dass sie einen Vorhang haben, der die Fliesen flutet …
„Auschecken? Günther Dück? 90 Euro, sonst noch etwas?
Erdnüsse? Einen weißen Bademantel mitgenommen? Oder ein
Handtuch geworfen?“ – „Nein, gar nichts.“
– „Auch keine Garage?“ – „Nein.“
– „Oh schade. Haben Sie sich wie zu Hause gefühlt?“
– „Es gibt kein besseres Hotel als dieses.“