Links im Sinnraum
Denkstimmen für den Protest ohne Radikalismuszwang! (Daily Dueck 21)
Denkstimmen! Das war wieder so eine Schnapsidee von mir. Bei IBM dürfen wir nämlich auch negative Stimmen abgeben. Da dachte ich – das könnte auch für unsere Demokratie eine gute Idee sein, einmal friedlich solide zu protestieren anstatt immer gleich radikal werden zu müssen.
Jetzt, im Sommer, wählen die 300 Mitglieder der IBM Academy of Technology immer so viele neue Mitglieder, dass wieder die Sollstärke von 300 erreicht wird, die dieses Gremium der IBM hat. Es soll die IBM in Fragen der strategischen Ausrichtung, der technologischen Qualität und der Innovation voranbringen. Wählen ist da harte Arbeit. Ich muss etwa 90 Vorschläge und Lebensläufe durchlesen und kann dann mit Ja, Nein oder Enthaltung stimmen. Wenn ich mit Nein stimme, wird dem Kandidaten eine Stimme abgezogen. Das mache ich aber nur selten. Wenn ein Kandidat so schlecht ist, dass es mich durchzuckt, ihn zu bestrafen – dann wird er wohl ohnehin nicht gewählt. Was soll’s also. Es hat also nur Sinn, wenn ich mir aus verschiedenen Gründen denken könnte, er hätte eine Chance – aber ich will partout nicht.
Da dachte ich an unsere Demokratie! Stellen Sie sich vor, wir könnten
auch Nein-Stimmen abgeben! Die würden wir dann als Denkzettel
verwenden. Deshalb nenne ich sie jetzt einmal Denkstimmen. Ha, wenn
ich eine Partei wähle und sie mich dann enttäuscht, kann
ich sie endlich einmal richtig bestrafen! Der Staat zahlt ja pro Stimme
eine gewisse Summe an Wahlkampfkostenerstattung. Ich schlage vor,
dass ab jetzt die Parteien nur Geld für den Stimmensaldo bekommen,
nicht einfach für alle Ja-Stimmen. Wenn ich also eine Nein-Stimme
abgebe, bekommt die Partei auch Geld abgezogen. In der letzten Zeit
habe ich gemerkt (Sie auch?), glaube ich, dass Geld das einzige ist,
was sie da oben echt kratzt. Die Macht ist ihnen wohl nicht so wichtig,
sonst würden sie besser regieren. Nein, sie wollen nur Stimmen!
Ich sehe deshalb die Chance, dass sie endlich auf mich reagieren,
wenn ich ihnen eine Nein-Stimme reinwürgen kann. Sie würden
vor Angst schlottern, dass jetzt alle resignierten Nichtwähler,
die Intellektuellen, die Rentner, die Studenten und die Klinikärzte
sich zur Urne aufmachen und sie negativ beurteilen! Dann sind sie
pleite! Sie würden vor Angst wieder regieren! Wir könnten
uns auch zusammentun und alle radikalen Parteien abwählen. Sie
haben dann ein Minussaldo an Stimmen. Geht das? Hmmh. Ja. Es ginge.
Und dann?
Ja! Ich habe es! Sie müssen uns dann das Geld für den Minussaldo
einzahlen! Da würden Sie vor Schreck nicht mehr radikal sein
wollen und Kreide fressen.
Die Parteien buhlen heute nur um die unverdrossenen Pflichtbürger,
die noch grummelnd mit folgenden Worten wählen gehen: „Eigentlich
finde ich keine einzige Partei gut. Nur die Grünen, wenn die
Leute im Schnitt dreißig Jahre jünger aussähen, nicht
nur ihre neuen Frauen. Ist deswegen egal, was ich wähle. Aber
es ist meine Pflicht, zwischen den Übeln das kleinere zu bestimmen.
Okay, ich mache ein Kreuz vor der Brust nach der Wahl.“
So geht es nicht weiter! Aber mit der Nein-Stimme hätten wir
alle eine Chance, es ihnen einmal richtig zu zeigen. Wir können
jetzt die schlechteste Partei wählen und mit einem Nein abstrafen.
Ist das nicht eine tolle Idee? Die Politiker müssten jetzt anstreben, in einem ganz naiven Sinne echt gut zu sein! Nicht mehr nur die beste von den schlechten Parteien! Die Regierung muss Hochleistung bringen, weil wir uns an ihr eher rächen als an einer lahmen Opposition! Je länger ich schreibe, umso begeisterter werde ich. Die Denkstimme könnte die Menschheit retten! Sogar Amerika – da wird schön was im Busch sein, wenn es Denkstimmen gibt! Wenn wir die Denkstimmen auch bei Einzelkandidaten einführen, werden alle Machtekel abgewählt! Es gibt wieder klare Mehrheiten für … ja … für glatte durchschnittliche Menschen? Oh je, könnte das passieren? Ich denke …
Ach, das glaub ich nicht! Menschen wie Beckenbauer würden gewählt! In meinem Buch Wild Duck habe ich schon 1999 angeregt, ihn zum Bundespräsidenten zu wählen. Das lesen Sie wohl nicht? Dann hätte man beim letzten Mal keine Verlegenheit gekannt. Schriebe BILD etwa wieder, weil die Redakteure die nötige Bildung nicht haben: „Wer ist Franz?“ Nein, sie würden schreiben: „Wir sind Kaiser!“ Sehen Sie? Und jetzt, nach der WM, da haben Sie doch endlich klar bestätigt bekommen, dass ich die ganze Zeit weiß, was gut für Deutschland ist?
Die Denkstimme!