Business Dysmorphic Disorder (Daily Dueck 19)

Es gibt eine Krankheit, die man mit BDD abkürzt: Body Dysmorphic Disorder. Menschen, die daran leiden, halten ohne logische Grundlage ihren Körper für defekt. Ihnen gefällt gewissermaßen die eige-ne Nase nicht. Das macht sie verrückt. Und ich dachte, es gibt vielleicht noch eine Verrücktheit, die noch keiner erkannt hat: Ich nenne sie hier ebenfalls BDD, ich meine damit aber Business Dysmorphic Disorder.

Menschen mit BDD leiden unter vorgestellten Defekten am Körper oder sie übertreiben einen minimalen Defekt maßlos, so dass sie gegen ihn wie gegen das Unheil der Welt kämpfen. Ein Leberfleck ent-stellt sie schon vollkommen, so dass sie sich von allen verlacht und verachtet vorkommen. Ihre Nase ist schief, der Bart zu schütter, die Frisur misslungen! Die schlaffen Oberarmmuskeln verbieten jedes T-Shirt-Tragen! Viele finden, dass sie irgendwie nicht gut riechen. Die häufigsten Symptome sind:

• Sich immerzu in allem betrachten, was spiegelt
• Oder lieber ganz vermeiden, in irgendeinen Spiegel zu schauen
• Ununterbrochen heimlich messen, wie es um den Defekt steht
• Den vermeintlichen Defekt ununterbrochen befühlen oder betasten
• Andere unentwegt um positives Feedback bitten („Deine hässliche Nase ist schön!“)
• Exzessiv gepflegt aussehen, um negativem Feedback zuvorzukommen
• Den angeblichen Defekt kaschieren (z.B. durch seidene Maßanzüge oder Make-up)
• Situationen meiden, in denen der Defekt gesehen werden kann.

Viele zehn Prozent besonders der Frauen finden sich nicht okay. Das ist toll, auch wenn Pink sich gerade in ihrem neuen Video darüber auskotzt! Da muss man den BDDs nur schlechten Geruch, Falten, zu kleinen oder zu großen Busen, ein gebärfähiges Becken oder eine merkwürdige Frisur einreden und schon sind sie in ihrer aufkeimenden Krankheit hinterher, sich mit Parfüms und Operationen zu heilen! Sie kaufen Kräuter und Abführmittel, lassen sich liften und befüllen, kleiden sich beliebig gut, damit man ihnen nichts anhaben kann! Natürlich macht das alles noch kränker und elender, aber die Industrie verdient prächtig daran!
Einige zehn Prozent der Männer beginnen sich um ihren Körper zu sorgen. Das ist toll! Sie sind jetzt fast genauso auf dem Radar der Industrie wie Frauen schon immer. Sie werden magnetisch von Fitness-Studios angezogen, die heute oft ein großer Umschlagplatz von Amateur-Doping-Mitteln sind. Blitzmuskeltraining! Sie wissen, wie viel Viagra kostet. Ein kleines Tattoo, wer hat denn keines? Ein Drama, sich gekonnt zum Bewerbungsgespräch anzuziehen! Ein Drama, im Meeting nicht müde zu werden! Männer schlucken Konzentrationskapseln und Koffein im roten Bereich, damit sie stark wie Ochsen sind.

Das Wundervolle an dieser Krankheit BDD ist, dass sie dem Kranken nicht erkennbar gemacht werden kann. Wenn man ihm sagt: „Sie sind krank mit ihrer angeblich ach so schiefen Nase.“ Dann sagen sie: „Ich bin kerngesund, nur die Nase ist schief. Es ist ein physisches Unglück, kein psychisches. Sehen Sie das denn nicht? Gefällt Ihnen denn meine Nase? Na? Sie ist nie und nimmer so schön wie die von Naomi! Fünf Operationen sind bisher umsonst bei mir verpufft!“ – „Ich bin kerngesund, nur die Arbeit verlangt zu viel. Ich muss in langen Sitzungen fit sein und darf nie durch eine schreckliche Krawatte auffallen. Ich bleiche mir als Topmanager die Zähne, weil ich sie oft zeigen muss.“ Es gibt einige Top-Models und viele junge Berater, die an BDD leiden. Bei ihnen heißt es Schönheitswahn, was bei normalen Menschen nur verrückt ist. Männer dürfen noch nicht einmal zugeben, dass sie ein Problem haben …

Da fiel mir sofort auf, dass die Leute während der Arbeit auch psychisch krank sind. Sie haben immer Angst, dass etwas mit ihrer Leistung nicht stimmt und dass der Chef ihre Nase nicht mag. Sie denken unaufhörlich darüber nach, wie sie den vermeintlichen Leistungsmangel beheben können. Sie wollen andauernd wissen, wie gut sie sind. „Deine durchschnittlichen Performance-Zahlen sind exzellent!“ Das wollen sie immerzu hören, aber sie bilden sich fest ein, schlecht zu sein. Sie messen andauernd heimlich, wie weit sie gekommen sind. Sie erschrecken, wenn ein Vorgesetzter die Zahlen sehen will. Sie kaschieren alles unter „Business Make-up“, also unter sorgsamer Datenpflege. Sie versuchen, ihre Abteilung exzessiv gut dastehen zu lassen, damit Fragen zur Leistung gar nicht aufkommen. Sie hüten sich vor Reviews und Prüfungen aller Art. Die Business Dysmorphic Kranken können nie erkennen, dass sie krank sind. „Meine Leistungen sind leider schlecht! Ich selbst bin kerngesund. Es ist ein physisches und faktisches Problem, kein psychisches. Es gibt in einer internationalen Abteilung unseres Unternehmens in Frankreich einen Vorarbeiter Namens Naomi, der bessere Zahlen hat. Das wird uns jeden Tag unter die Nase gehalten. Das tut weh, aber es ist schließlich ein unleugbares Faktum.“

Das ist Business Dysmorphic Disorder, denke ich.
Sie ist wahrscheinlich gewollt! So wie bestimmt vielfach die Body Dysmorphic Disorder auch. Man lästert über Falten oder Körpergeruch oder eben über schlechte Verkaufszahlen oder zu geringe Kun-denkontakte. „Du bist schlecht!“ heißt die zentrale Botschaft. Und dann beginnen sie alle zwanghaft, sich mit Wüstensandaloevera zu duschen oder Überstunden zu machen. Operationen oder Reorganisa-tionen in der Firma! Unentwegte Veränderungsversuche, die zu immer größer werdender Unzufriedenheit führen und dadurch enorme dunkle Verzweiflungsenergien erzeugen, die sich in Kaufräusche und Arbeitssucht entladen.

Wenn man BDD von außen in die Menschen senkt, setzen die Erkrankten große dunkle Energien frei, die genutzt werden können. Je mehr sie sich als Loser fühlen, umso besser schuften sie oder kaufen sie wie blöd! Und sie wissen nie, woher das alles kommt! Sie denken, das Problem wäre physisch oder objektiv da!

In Wahrheit ist nur die Macht physisch, die dieses Geringsein einredet. Sie erzeugt eine psychische Gegenreaktion im Menschen, sich voller Energie in den Dienst der Macht zu stellen. Das Hauptproblem der Macht ist, dass die deklarierten Loser nur dagegen ankämpfen sollen und nicht zu viel Zeit mit Jammern verplempern dürfen, damit sie effizient sind. Die BDDs sollen ja nur arbeiten und kaufen und nicht so lange vor dem Spiegel stehen. Einmal erkennen, dass man defekt ist, muss doch reichen?! Dann sollen sie malochen! Und nur ab und zu – wenn Weihnachten ist oder eine Firmenfeier, gibt man ihnen ein bisschen Hoffnung. Die ist ihr eigentlicher Lohn. Ab und zu ein gutes Wort. „Gar nicht so schlecht!“

„Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Bei BDDs wird die Seele ganz und gar nicht gesund, weder durch ein Wort Gottes noch durch ein Lob vom Chef oder vom Spiegel. Das Wort ist wie ein Funken neuer Hoffnung, die jetzt ein bisschen länger leben kann. Die Hoffnung stirbt bekanntlich viel später als der Mensch selbst. Sie ist seine verkaufte Seele.


Gunter Dueck

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