Links im Sinnraum
Who morphed my cheese? Über Leute, die nur Käse machen (Daily Dueck 185, Februar 2013)
Bei Keynotes in großen Unternehmen frage ich öfter, ob das dortige Management nicht auch ab 1998 gezwungen wurde, die berühmte Business-Parabel von Spencer Johnson zu verinnerlichen. Sie heißt: „Who moved my cheese?“ Ich habe so ein Buch damals sehr offensichtlich absichtlich geschenkt bekommen und es gleich voller Zorn in den Shredder geworfen. Ich ahnte immer, dass es dazu verführt, die Dinge zu einfach zu sehen. Es erfüllt aber eine oft erhobene Forderung des Managements: „Keep it simple and stupid.“ – Das tut das Buch auch. „Well done.“
Sie können eine Kurzfassung des Buches in der Wikipedia finden.
Ganz kurz hier: Zwei Mäuse leben in einem Labyrinth und fressen
darin an einer lieben, immer gewohnten Stelle ihren Käse, von
dem es einen ganzen Berg voll gibt. Eines Tages ist der Käse
alle. „Alle, alle!“ Da jammern sie und weinen, besonders
die eine Maus! Die andere aber zeigt sich couragierter und schlägt
vor, im (gefahrvollen) Labyrinth nach neuem Käse zu suchen. Es
entspinnt sich ein lehrreicher Dialog zwischen der angstvollen Maus,
die nur rumweint, und der unternehmerischen Maus, die Mut hat, aus
der „Komfortzone auszubrechen“ und „nach neuen Wegen“
zu suchen. Parallel dazu läuft eine zweite Geschichte zwischen
zwei Menschen, die ihre Arbeit verlieren… Na, die Mäuse
finden am Ende der Parabel einen neuen Berg Käse und alles ist
gut.
Seitdem alle das Buch gelesen haben, wird allgemein „Verlasst
endlich eure Komfortzone, ihr Faulpelze!“ gepredigt. „Sucht
neuen Käse! Und wenn ihr welchen gefunden habt, ruft nur kurz
an. Fresst ihn nicht, sondern sucht gleich wieder neuen. Keine Komfortzone!
Nie mehr!“
Warum hatte ich so ein unangenehmes Gefühl beim Lesen? Weil
es dazu führte, dass nun jede Telekom in jedem Land der Welt
eine neue Tochter gründete oder kaufte, also mehr Käse auftrieb.
Autofirmen bauten viel mehr Modelle. Banken eröffneten Zweigstellen
überall, Schlecker-Drogerien verbreiteten sich über Osteuropa,
Produktion wurde nach China verlagert, Verlage schluckten die kleineren,
Buchhandelsketten breiteten sich aus. Das Käsesuchen wurde zu
einer Strategie des übertriebenen „Mehr vom Gleichen“,
ach, das ist oft ein normaler Ausbruch der Neurose in der Psychologie…
Watzlawick…
Heute lesen wir oft, dass Banken ihre ausländischen Tochtergesellschaften
verkaufen, dass der Media-Markt in China aufgibt, dass Telekoms ihre
Schulden senken, indem sie ihre Weltpläne begraben. Sie haben
eben überall im Weltlabyrinth nach Käse gesucht und gesucht,
am besten auf Kredit und mehr, als sie verdauen konnten.
Können wir uns nicht bitte-bitte eine Stufe subtiler dies fragen? „Who morphed my cheese?“
Irgendwie, um in der Parabel zu bleiben, ist der Käse, den man früher machte, nicht mehr das, was die Welt will. Sie will gar keine Papierbücher mehr, sondern eBooks, keine Festnetzleitungen mehr, sondern Glasfaser und LTE, keine Bankfilialen, sondern Finanzportale, keine Handys, sondern Smartphones, keine Desktops, sondern Tablets, keine Kodak-Filme, sondern Digicams, keine komplexe Software, sondern Apps etc. etc.
Ich setze die Mäuseparabel fort: Die Mäuse sausen durch
das Labyrinth und suchen Käse. Sie finden und finden und finden
keinen Käse mehr und erlahmen deprimiert. Sie fühlen sich
gleichzeitig mehr und mehr durch den penetranten Geruch von gebratenem
Frühstücksbacon gestört, der überall herumliegt.
Den Mäusen wird übel – überall Bacon, kein Cheese.
„Bacon stinkt ganz entsetzlich, außerdem ist er warm –
pfui, warm! Er ist sehr salzig, man muss hinterher den ganzen Amazon
austrinken und hinterher noch mit Heilwasser goorgeln. Ach, wäre
hier doch ein Zauberberg von Höhlenkäse, und wir könnten
einfach ‚Samsung, Samsung öffne dich!‘ rufen, aber
so muss man vor dem Gestank dieses Neuen die Windows schließen.“
Ab und zu bleiben sie schaudernd vor den überhand nehmenden Baconbergen
stehen. Da sehen sie einige fremde Mäuse Speck fressen, ohne
dass denen übel würde. Die Fremden rufen ihnen zu:
Bacon, das neue Manna der Erde!
Bacon kam über die Welt!
Alles Gute zu Bacon werde,
Genug mit Käse gequält!
„Käse wird siegen! Bacon ist eine Eintagsfliege!“, rufen die Käsemäuse, aber die Speckmäuse erwidern, dass Bacon die Long Term Evolution von Käse sei…
„Who has morphed my cheese?“
Diese Frage wird nicht gestellt. Darunter werden wir alle leiden.
Da machen viel zu viele noch Analogkäse, während sich andere
schon auf den virtuellen Schinken klopfen.