Psychozid oder die Kränkungen rund um Bewerbungen (Daily Dueck 179, November 2012)

Absagen schmerzen ungemein. Das weiß jeder, aber warum nimmt man so wenig Rücksicht auf die drohenden Seelenverletzungen? Warum verletzt man in Bewerbungsgesprächen fast noch absichtlich und begeht damit einen Psychozid (bewusst schadende psychologische Einflussnahme), um mehr aus dem Bewerber herauszubekommen?

Ich habe viele Jahre in der Bundesjury der Studienstiftung des deutschen Volkes mitgewirkt. Ich habe außerdem selbst Assessments und langwierige Ernennungsprozeduren als Bewerber hinter mir, da waren auch herbe Enttäuschungen dabei, sage ich Ihnen! Viele andere Manageranwärter und Begabtenstiftungsanwärter haben mir Feedback gegeben, wie sie sich nach Absagen fühlen. Ich habe oft Studenten getröstet, die einfach vollkommen verzweifelten (meist habe ich ihnen dann mit einer Kritik Ihrer Unterlagen helfen können).

Im letzten Monat geschah in meiner Umgebung zweimal dies: Eine Frau (in beiden Fällen) gefiel dem neuen Arbeitgeber offenbar ganz gut, es deutete sich eine Einstellung an. Daraufhin gab es noch ein letztes entscheidendes Gespräch mit einem Höhergestellten. Der lehnte lässig im dunklen Anzug fast liegend im Ledersessel zurück, kaute ein bisschen an der Brille und stellte Fragen der Art: „Na, Sie wollen hier arbeiten? Was qualifiziert Sie denn Ihrer Meinung nach dazu besonders? Verstehen Sie eigentlich, dass wir mit Ihnen ein ganz schönes Risiko eingehen? Sie wissen, dass Sie unser Vertrauen rechtfertigen müssen, wenn wir in Sie investieren? Warum meinen Sie, die beste aller Bewerberinnen zu sein?“
Beide Frauen fühlten sich so sehr erniedrigt, dass sie glatt und entschieden absagten. Sie waren hochempört. Ich versuchte, ihnen zu sagen, dass da ein Boss den Willkommensgruß mit einem Stressinterview verwechselt haben könnte. Damit sei er nicht entschuldigt, aber die Situation sei vielleicht besser erklärt. „Nein, Arroganz ist es! Nie werde ich in der Nähe eines solchen A….loches arbeiten!“

Viele Personalgespräche haben Stressinterviewelemente. Drei wichtig dreinblickende Personen mit Notizblöcken prüfen biertiefernst, sie starren auf den Bewerber, lassen lange Pausen, um ihn zu zermürben. Dann kommen wieder schnelle Fragen im Stakkato. Persönliche Fragen können darunter sein, ganz unverschämte oder solche, die in Verlegenheit bringen. „Wie viele Kinder wünschen Sie sich? Wann denn? Sie müssen das nicht beantworten. Sie können einfach sagen, dass Sie sich dazu nicht äußern. Wir nehmen das hin.“ – „Was war im letzten Monat Ihr größter Erfolg, und warum glauben Sie, dass das so toll war?“ – „Haben Sie sich auf andere Stellen beworben? Auf wie viele?“ – „Wenn wir Ihnen befehlen, eine für Sie niedrige Arbeit auszuführen, wie reagieren Sie?“ – „Als Manager müssen Sie bereit sein, jede beliebige (unangenehme) Position auszufüllen, die wir Ihnen geben, egal welche! Führungskräfte zucken nicht zurück. Niemals. Sind Sie bereit?“

Uiih, die letztere Frage ist mir einmal gestellt worden. Ich sagte tapfer, dass ich ganz sicher nur Positionen ausfüllen würde, die ich mit Begeisterung annehmen könnte. Und ich betonte, dass ich wüsste, dass ich jetzt vielleicht gleich gehen müsste, aber ich hätte dazu meine eigene Meinung. Ich könnte ja gegebenenfalls meinen Managerstatus wieder aufgeben oder auch kündigen. Das gab eine lebhafte Diskussion rund um Loyalität und Disziplin! Ich blieb standhaft… Aber danach war ich total erschöpft, sehr irritiert und auch gekränkt. Immerhin bin ich nach dem Stressinterview zu einem Assessment geschickt worden, das war dann noch viel härter zu ertragen – auch das habe ich bestanden, aber im Innern habe ich mich lange danach seelisch gekrümmt. Nur ein Bruchteil der Leute in einem solchen Stress-Assessment wird eingestellt oder zum Manager befördert, die anderen gehen seelisch lange am Stock. Ich kenne viele schwach gebrochene Seelen, die etwa das Stipendium nicht bekamen und von seltsamen unfairen Fragen der Interviewer berichten. Ich kenne viele Managementaspiranten, die mit der Ablehnung nicht fertig werden konnten.
Ich war in so vielen Jurys! Ich habe dabei das Gefühl, dass die Entscheidungen an sich in der Regel gut waren. Die Entscheidungen waren nicht ungerecht – gar nicht! Aber die Abgelehnten, oft auch die Akzeptierten bekommen einen Seelenschaden durch die Art ihrer Behandlung.

Die Abgelehnten quälen sich nach der Absage so: „Ich bin froh, dass ich nicht in diesem arroganten Sch…verein bin.“ – „Ich ärgere mich überhaupt nicht. Ganz und gar nicht. Ich will mich nicht ärgern, das sage ich mir so oft. Ich hätte da nicht hingepasst.“ – „Seitdem hasse ich die Manager. Alle. Weil ich nicht dazugehören darf.“ – „Sie waren alle gegen mich. Sie mochten mich nicht.“ – „Die Begründungen für die Ablehnung waren lächerlich und beleidigend, ich frage mich, warum Sie mich überhaupt durchgemangelt haben.“

Bei Beförderungen, Assessments, Stipendien oder dergleichen sind so über den Daumen ein Drittel der Bewerber erfolgreich. Und ich rechne nach: Man schickt drei Prozent der besten Studenten oder vielleicht zwanzig Prozent der besten Mitarbeiter zu solchen Prozeduren – und anschließend haben zwei Drittel der Allerbesten dann so erhebliches Seelenweh, dass sie die innere Bindung zu ihrer Organisation verlieren und immer wieder „hier möchte ich nicht mehr sein“ denken? Können wir es uns als Gemeinschaft leisten, zwei Drittel der jeweils Besten durch ein zu hartes Verfahren seelisch teilzuvernichten?
Man kümmert sich viel zu wenig oder gar nicht um Abgelehnte – die waren eben nicht gut genug! Ich kenne die Argumente: „Wir haben nur zwei Stunden Zeit, da müssen wir alles aus dem Bewerber herauskitzeln. So eine Lebensstelle ist ein Investment von mehreren hunderttausend Euro. Da müssen wir schon hart nachfragen.“ Ich wundere mich… bei Investitionen nahe der Millionengrenze will man mit einem zweistündigen Interview auskommen? Wo doch sonst ebenso lange über eine Taxirechnung gezetert wird? Andere Personaler sagen: „Das harte Anfassen ist doch nicht persönlich gemeint. Es muss auch dem Bewerber klar sein, dass es Teil eines Spiels ist.“ Der Personaler spielt aber nur mit dem Bewerber, aber der um sein Leben! Und es gehört zum Spiel eisern dazu, dass der Bewerber jeden Dreck schlucken und heiter-gelassen-souverän „spielen“ muss. Der Bewerber, so raten Personaler, soll unbedingt authentisch sein – der Personaler aber darf manipulieren und aus einer Machtposition heraus schalten und walten, wie er will. Ach Leute, das ist kein Spiel und sicher kein faires. Die Spielregeln harten Anfassens lassen uns fast zwingend unter Arroganzeindrücken aufheulen. Und last, but not least, ist das ganze Spiel wieder eines, bei dem Frauen mehr zu leiden haben als Männer – glaube ich wenigstens.

Können wir es uns leisten, immerfort zu kränken und tief zu irritieren, bloß weil wir „nur zwei Stunden für den Bewerber Zeit haben wollen“? Wird überhaupt verstanden, was in den Seelen geschieht? Sollten die Personaler und Prüfer nicht irgendwie emotional intelligent sein müssen? Warum können wir uns nicht zu Begründungen der Absagen verpflichten, die die Abgelehnten als halbwegs fair und verständlich akzeptieren können – sodass sie noch genauso hart sind, aber nicht seelisch versenken? Können wir Absagen nicht auch zu einem Moment konstruktiven Feedbacks und neuen Aufbruchs machen?

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(Anmerkung: Es ist ja nicht überall so hart, ich weiß. Es gibt auch viele nette Personaler. Und es ist schwer, jemanden abzulehnen, das gibt oft Eruptionen! Das kenne ich, ich habe mich immer bemüht, meine Absagen so nett es geht zu begründen – aber dann drohen oft wieder „juristische Schritte“ und dergleichen… Es ist das eine oder andere Mal eine Beschwerde gefolgt, weil ich meine Ablehnung begründet hatte (die Briefe kamen von Eltern oder Professoren). Das alles ist nicht so einfach! Aber alles in allem ist da im Durchschnitt ein Missstand, eine Misswirtschaft mit dem Seelischen. Ich glaube, diese Misswirtschaft ist schlimmer als alles rund um Burnout etc., deshalb hier mein Protest!)

Gunter Dueck

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