Über Großgeistigkeit, Dialoge, Stellungen und Positionen (Daily Dueck 177, Oktober 2012)

In dieser Woche diskutiere ich in Dossenheim („Kreidezeit“ – kommt im Internet!) mit Pädagogen und Didaktikern über die Bildungserfordernisse der neuen Zeit. Darauf freue ich mich. Das bringt mich weiter. Wir alle werden voneinander lernen. Hoffentlich ist kein stereotyper Amtsträger dabei, dann erläutert er nur vielmals eine Position, meist nicht einmal seine. Dialog ade! Über diesen Unterschied möchte ich jetzt einmal wettern.

Dialoge dienen dem Zweck, einer Wahrheit, einem gemeinsamen Verständnis oder dem besseren Erkennen des jeweils anderen vertiefend näherzukommen. Wertungen, Kulturverständnisse, Gefühle, latente Grundannahmen aller Seiten werden intensiv betrachtet. Solche Dialoge, wenn sie „gelingen“, werden „fruchtbar“ genannt.
Talkshows, in denen die Standpunkte aufeinanderprallen, sind nicht fruchtbar, nur bestenfalls kontrovers-emotional quotentreibend. Warum?

Meist wird kein fruchtbarer Dialog angestrebt, es werden Standpunkte erläutert. Die Mehrheit der Teilnehmer hat schon lange vor einem „Dialog“ eine Stellung eingenommen oder eine Position bezogen, die verteidigt werden soll oder mit deren Hilfe eine fremde Stellung oder Position angegriffen werden soll. Man fordert den DiskussionsGEGNER heraus und zieht sich bei drohender Niederlage auf Rückzugspositionen oder Minimalstandpunkte zurück. Das ganze Vokabular à la Stellungsbezug, Position, Provokation etc. passt ganz gut zu Infanteriekämpfen von verschanzten Truppen. Man „positioniert“ sich, lässt argumentative Bomben platzen, attackiert die andere Seite. Man blufft, irritiert den Feind und stärkt Koalitionären den Rücken.

Das ist wie Krieg! Vertreter der Kriegsparteien kämpfen auf Positionen, die sie die ihrigen nennen, die aber von den Oberen jeweils sorgsam erarbeitet werden. Amtsträger verteidigen grundsätzlich ihre Amtsführung, Interessenvertreter ihr Geld oder ihre Macht, IT-Firmen ihre Patente. Floskeln entwerten alles. „Lassen sie uns doch nicht alles schlechtreden. Das deutsche Bildungssystem war lange Zeit Vorbild für die Welt.“ – „Bei aller Kritik dürfen wir nicht vergessen, wo wir gestartet sind, nämlich fast von Null, weil uns erst neulich die Macht übertragen wurde. Seitdem sind die kleinen Fortschritte im vorgefundenen Saustall kaum noch zu zählen. Haben Sie Geduld bis nach unserer nächsten Wiederwahl.“ – „Oh, da sprechen Sie ein wichtiges Problem an, das macht uns schon lange Sorge. Wir planen schon seit einiger Zeit eine Kommissionsgründung dafür, so wie wir es bei jedem Problem als beste Lösung handha-ben. Leider sind wir alle gerade in vielen Kommissionen vollkommen verplant. Wir alle sind verplant, total! Wäre ja auch schlecht, wenn wir nicht verplant wären, dann würden wir ja nur herumsitzen. Gegen herumsitzen ist nichts zu sagen, aber bitte geordnet in Kommissionen und Meetings.“ – „Auch dieses Problem werden wir angehen, sehr energisch, aber es gibt natürlich Prioritäten und Abhängigkeiten.“

Wenn nun eine „gegnerische“ Seite absolut nur ihre schon lange bezogene und sorgsam befestigte Stellung verteidigen will, die andere „Seite“ aber einen fruchtbaren konstruktiven Dialog führen möchte – was dann? In einer solchen Lage habe ich mich in den ersten TV-Sendungen gefühlt. Ja, was dann? Im Grunde muss ich dann wohl den Wunsch nach Dialog („kooperative Welt“) fallenlassen und mitkämpfen („kompetitive Welt“)? Wozu? Wofür, wenn sich der Gegner gar nicht bewegen will? Will ich so etwas mitmachen?
Da fällt mir Brecht ein. Dem wird mental zugeschrieben: „Stell Dir vor es kommt Krieg und keiner geht hin – dann kommt der Krieg zu euch! Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen: Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will: Denn es wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“
Also zieh‘ ich auch immer ein bisschen mit in den Krieg, ja. Ich soll derzeit immer „gegen Spitzer“ und gegen den wie einen Kriegsruf wahrgenommenen Ausdruck der „Digitalen Demenz“ eine „Position“ beziehen. Und ich winde mich, der ich gerne einen fruchtbaren Dialog hätte. Ich will keine Position haben, in der ich mich verschanze. Ich will gemeinsam weiter…

Im Krieg, mindestens aber in den Heldenliedern, gibt es auch manchmal so etwas wie Großmütigkeit oder Großherzigkeit. Etwas, was mitten im Kampf noch die Prinzipien heilig lässt. So müsste es bei den Auseinandersetzungen dieser Tage auch Großgeistigkeit geben. Ja, die, obwohl sie nicht im Duden steht. Hiermit sei sie in die Welt gesetzt.

Gunter Dueck

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