Links im Sinnraum
Das Glück im Stacheldraht (Daily Dueck 173, August 2012)
Wir träumen davon, steinreich zu sein. Dann könnten wir alles tun, was Steinreiche gewöhnlich oder angeblich so treiben. Die sehen wir im Fernsehen Champus trinken, jagen, yachten, kiffen, modelgrapschen und vor allem Geld auf den Kopf hauen. Sie leben in mehreren Traumhäusern und fahren farblich passende Autos, befehligen die Armen und dürfen rein alles. Im Urlaub in Südafrika lernte ich eine neue Variante des Reichenglücks kennen – das Glücksgefühl des Stacheldrahtes.
Stacheldraht ist in Johannesburg allgegenwärtig, ich habe noch
nie so viele verbarrikadierte Häuser Gutsituierter gesehen, die
wie Bollwerke verschanzt waren und zu einem guten Teil abschreckende
Werbeschilder trugen („Secured by Services and Technology of…).
Wundervolle Anwesen wie Gefängnisse von außen!
Nach einem Herumstreifen in den Reichenbezirken sollte die Rundreise
zum Kontrast kurz in einem Slum haltmachen. Wir fühlten uns unwohl,
ärmste Menschen so anzuschauen wie im Krüger-Nationalpark
die Tiere. Wir wurden aber von Sozialarbeitern des Kiptown Youth Projects
(KYP) in Johannesburg mit glänzenden Augen empfangen, sie führten
uns ansteckend fröhlich durch das ganze Elend, zeigten uns Hütten
von innen und dann stolz ein kleines, schmuckes Areal in der Mitte
von Kiptown, wo das Project Kindern zu essen gibt, Schulgelder mitfinanziert
und bei der Anschaffung der Schuluniformen hilft. Die Kinder hatten
glückliche, liebe Gesichter, solche Kids hätte man gerne
selbst! Sie führten für uns die Tänze auf, die sie
gerade für eine Chinareise einübten (China hatte eine Gruppe
von ihnen eingeladen – sie waren unendlich glücklich darüber).
Und natürlich haben wir alle finanziell unterstützend viele
KYP-T-Shirts gekauft.
Das wollte ich gar nicht im Kern erzählen, aber ich musste doch
den Kontext erklären! Ich habe ein paar Fotos gemacht, zum Beispiel
dieses:
Wie diese Hütte hatten alle (echt alle) einen Zaun mit aufgesetzten Stacheldraht ringsum. Ich stand etwas ratlos davor, da lachte der Sozialarbeiter und erklärte, dass natürlich absolut nichts aus den Hütten zu stehlen sei und auch nie etwas gestohlen würde. „Aber der Stacheldraht gibt uns das wundervolle Gefühl und das Selbstbewusstsein, dass wir so ähnlich wie die Reichen leben.“
Das schockte mich ein bisschen. Stacheldrahtglück?
Ist das nicht ein besonders krasser Fall von etwas, was in uns allen
vorgeht? Dass wir nicht nachdenken, was uns selbst glücklich
macht, sondern dass wir uns um Traumsymbole bemühen, die uns
wie Steinreiche fühlen lassen? Wir ziehen nur Marken an, wollen
nur abgerundete Smartphones, hungern uns dünn, quälfreuen
uns mit Highheels und Nagelstudio und erstrahlen, wenn wir einen Star
persönlich sehen. Die Symbolsucht ist immer die gleiche, ob es
nun um die Anzahl der Facebook-Friends geht oder um eben Zäune.
In all dem fühlen wir Glück, das nichts mit uns und nichts
mit Glück an sich zu tun hat. Wir trauen uns nicht, ganz selbst
glücklich zu sein, das ist schwerer und leichter zugleich. Es
ist schwer, die Symbolsucht abzulegen, die uns Fremdglück gibt.
Wer das Ablassen schaffen würde, könnte vielleicht ganz
leicht Eigenglück finden? Ist das so? Oder nur im Wort zum Sonntag?
Es fehlen die Erfahrungen in der Breite, denn wer wäre nicht
süchtig (gemacht worden)…