Links im Sinnraum
Keiner will gut drauf sein! (Daily Dueck 17)
Im Fernsehen! Da war ich jetzt das erste Mal. Mein IBM-Arbeitskollege nebenan arbeitete gerade in Dubai, schaltete dort im Hotel die Deutsche Welle ein und sah seinen Schreibtisch in Mannheim – und mich! Wie langweilig! Aber für mich war es aufregend. Besonders das deutsche Wesen drum herum.
Es fing damit an, dass Elke Opielka von der Deutschen Welle alle
möglichen Drehszenen in Berlin sekundös plante. Sie musste
für jede Zehntelsekunde Kamera-auf-die-Straße-halten eine
Drehgenehmigung einholen. Das fand ich komisch und sagte lieber vorher
dem Empfang in IBM, es werde das Fernsehen vorbeikommen. Oh, das ist
verboten! Ich musste eine Drehgenehmigung einholen. Ich wurde von
der Gebäudeverwaltungsfirma befragt. „Stört es die
Mitarbeiter?“ Ich nickte. „Natürlich.“ Sie
zogen die Augenbrauen hoch, da verstand ich, dass es bei Fragebogen
nicht um die Wahrheit, sondern um die Einhaltung von Vorschriften
geht. Man muss antworten: „Ich vertraue Ihnen. Füllen Sie
es so aus, dass Ja herauskommt.“ Ich fragte alarmiert alle,
ob sie gerne ins Fernsehen wollen. „Huh, nein!“ Sie wollten
lieber fliehen. Andrea Winkler, meine Assistentin, schien es wenigstens
nicht arg schlimm zu finden, sie sieht im Film dann auch echt gut
aus – wie immer.
Gedreht wurde in Berlin und in Mannheim im Abstand einer Woche. Ich
musste mir genau merken, wie ich gekleidet war, damit ich im Film
immer gleich aussehe. (Als Mathematiker beschloss ich natürlich
sofort, einfach die Woche dazwischen das gleiche zu tragen, dann gibt
es kein Problem.) Nur die Haare sind in Mannheim länger! Die
meisten Szenen aus Berlin sind gar nicht in den Film hineingekommen.
Ich sollte dort einige Fragen zur Universität beantworten. Wir
hatten eine Genehmigung, in der Mensa der Humboldt-Uni zu drehen.
Vor dem Gebäude wurde ich gefilmt, wie ich die Uni betrat. Da
fing es schon an. Sie schauten mich an wie einen Aussätzigen.
Es war fast unangenehm, normal zu bleiben. Ich hörte erst noch
unbekümmert das Wort „Einstweilige Verfügung“.
Lustig, dachte ich noch zuerst, zweimal in einer halben Minute so
eine seltene Wendung im Freien zu hören! Dann betraten wir die
Uni, um nach links 30 Meter zur Mensa zu gehen. Nach ungefähr
zehn Metern hinter der Eingangstür eilte eine ältere Dame
heran, die sich etwas besorgt-aufgeregt als Beamtin mit Hausvollmachten
vorstellte und nach der Genehmigung fragte. „Okay, nur in der
Mensa, die ist für die Uni extraterritorial (?), sonst NIRGENDWO.“
Wollten wir ja gar nicht. In der Mensa wurde es finster. Alle schauten
grimmig verstohlen. Ich war schon ganz nervös. Gleich an der
Tür stürmten zwei Studenten mit Essen-Tabletts aggressiv
heran und forderten drohend, jede Kamera von ihnen abzuhalten. Ich
rechnete nach, wie viel Schmerzensgeld es wohl vor Gericht kosten
könnte, wenn wir einmal in die Menge filmen würden…
Wenig später eine Szene im Café Einstein, dessen Besitzer
uns ganz freundlich den zum Filmen zweitschönsten Tisch freigehalten
hatte. Am allerschönsten Nebentisch saß ein alleiniger
Herr, den wir um einen kurzen Tausch baten. Er wurde sehr ärgerlich
und wollte mit dem Fernsehen nichts zu tun haben…
Dabei war das Fernsehteam so nett! Keine Ahnung, was die Leute haben. Das Fernsehteam zuckte daran gewöhnt die Achseln. Sie sagten, sie würden immer und überall so behandelt – und ich dachte, alle Menschen wollten wie ich einmal ins Fernsehen, manche doch schon allein deshalb, um einmal ihre Verdauungsprobleme zu besprechen oder ihre Ahnungslosigkeit vor Wahlen zu demonstrieren. Das Böse in den Blicken machte mich doch als armer Interviewter ganz mulmig! Wenn ich jetzt noch plötzlich geistig verwirrt etwas Merkwürdiges über Computer sage, dachte ich, dann freut sich meine Firma zusätzlich nicht. Ich darf nie in die Kamera schauen! Ich soll ganz natürlich erscheinen, wie ich immer zu jeder Zeit bin! Und gleichzeitig über jeden Tadel erhaben reden, wie soll das zusammenpassen? Ich habe die bei Männern häufig anzutreffende Gabe, über jedes Thema länger als zwei Stunden reden zu wollen. Ich habe es trotzdem für die Deutsche Welle diszipliniert geschafft, jedes Mal in zwei Minuten das Wichtige wenigstens andeutungsweise auszudrücken. Sie nickten immer, fanden mein Gesagtes ganz toll und baten, ich solle dasselbe in 17 Sekunden wiederholen, ohne an Schärfe und Tiefe der Argumentation einzubüßen – das wäre optimal. Ich war erst ganz verwirrt – aber jetzt hätte ich fast Lust, ein paar Tage gefilmt zu werden: vielleicht lerne ich dann ganz schnell Politik?
Und immer klarer wurde während der Aufnahmen, dass tiefe philosophische Gedanken so ganz und gar nicht zu visualisieren sind! Die sind leider im Hirn, was ja im Film auch besprochen wird. Unsere Erfindung des Cola-Automaten bei IBM, der den Preis nach Temperatur und Wochentag bestimmt, lässt sich dagegen an jeder Ecke verfilmen. Ich müsste meine ganze Trilogie in drei Sätzen ausdrücken können! Eine Philosophie in einer Maxime oder einem Imperativ! Ich müsste Schlagworte parat haben! Mich mit einem Ankhaba-Symbol aus meinem Vampirroman vor der Kamera outen! Etwas Drastisches sagen!
Ich selbst, als Ich, will eigentlich auch nicht gut drauf sein, fällt
mir als Philosoph da ein. Nur die Lehre will es.
Aber er fühlt sich doch gut drauf, spürt Gunter Dueck, das
Ich.
Das kam heraus (in Deutsch und Englisch mit Real Player oder geduldiger Download hier auf der Seite, dann geht auch der Media Player):
Vielleicht hat die ganze Sache ein Nachspiel? Ein Erfinder, Boris
Weigend, hat mir ja am Ende des Spots einen Kopfhörer aufgesetzt.
Er hat eine Software entwickelt, die digitale Musikfiles so umrechnet,
dass man sie im Kopfhörer wie Hyper-Super-Dolby-Surround anhört.
Ich weiß nicht, ob ich das jetzt exakt erkläre, aber das
Gesicht sieht beim Hören so aus wie meines in der Schlusseinstellung.
Jemand aus meiner Nähe vermutete über genau diesem Endblick
von mir, so schaue man nur in Gegenwart einer schönen Frau –
nein, es ist die Musik. Boris Weigend hat dafür schon eine Firma
gegründet, sie heißt 3ears. Ich habe ihm dann ein paar
kritische Kommentare oder „gute Ratschläge“ für
die Gründerphase mitgegeben, wir haben länger telefoniert
und dann kam heraus, dass seine Lebensgefährtin Margret Albers
(Managing Director der Stiftung Goldener Spatz) diplomierte Vampirexpertin
ist! Darf ich das so sagen? Ihre Diplomarbeit heißt jedenfalls
Formen der kognitiven Bedrohung in
post-modernen Horrorfilmen. Das klingt noch etwas wissenschaftlich,
aber so eine Diplomarbeit für Medienwissenschaften an der HFF
Babelsberg muss ja seriös klingen – es war auch die historisch
erste und als solche natürlich irre gut! (Muss ja sein –
die erste, aber bestimmt darf man sie nicht in Rot-Schwarz gebunden
abgeben, oder?) Und ihre Magisterarbeit in Anglistik heißt „Vampire
und Vampirismus in der Nordamerikanischen Literatur“. Da gibt
es also auch Blutsauger, ja? in Amerika?? Ich dachte eigentlich, Vampire
sind aus Irland, wo Bram Stoker lebte…das ist der, der Oscar
Wilde die Frau ausspannte, so dass dieser Irland verließ…Florence
hieß sie! Wilde? Eine Frau? Wirklich?? Oscar Fingal O'Flahertie
Wills Wilde – und eine Frau? Ich merke jetzt, ich schwimme doch
ein bisschen.
Oh je, und auf diese kümmerlichen Kenntnisse bekomme ich gleich
nach dem Erscheinen vom Ankhaba von M. A. im Gegenzug kritische Kommentare
und gute Ratschläge zu meiner neuen Unternehmung. Dankbar werde
ich sein und habe Angst. Hoffentlich ist sie nicht zu sehr entsetzt
über meine Neuerung, dass Vampire auch Hagebuttentee aus Schullandheimen
trinken können.