Der Mensch als Googlekopfmaschine oder Smartbrain (Daily Dueck 163, April 2012)

Heute ist ja der erste April, da ist alles nicht so ernst gemeint. Ich habe gerade beim Googeln gelesen, dass es bald Festplatten im Gehirn geben soll, sodass die Menschen gleich mit dem gesamten Wissen der Menschheit vorinstalliert werden können. Das kann ja heiter werden! Wenn ich mir das vorstelle…

Es muss ein Aprilscherz sein, weil man doch heute privat gar keine Festplatten mehr braucht! Die sind alle im Netz oder in der „Cloud“. Wenn schon Zugang zum Wissen der Menschheit, dann würde ich gleich das ganze Internet im Kopf zuschalten. Das Web könnte sich nach und nach in mich einfühlen und auch alle anderen Inhalte im Netz speichern, die ich im Laufe der Zeit selber aus meinem Leben heraus bilde. Dann ist im Wesentlichen das ganze Gehirn bei Facebook. Nur noch der Körper ist lokal. Das ist die konsequente Weiterentwicklung der Gedanken Platons zum „Leib-Seele-Problem“, zu dem ich in der Wikipedia finde:
Der Kern der Philosophie des Geistes ist das Leib-Seele-Problem, das manchmal auch „Körper-Geist-Problem“ genannt wird. Es entsteht durch die Frage, wie sich die mentalen Zustände (o-der der Geist, das Bewusstsein, das Psychische, die Seele) zu den physischen Zuständen (oder dem Körper, dem Gehirn, dem Materiellen, dem Leib) verhalten. Handelt es sich hier um zwei verschiedene Substanzen? Oder sind das Mentale und das Physische letztlich eins? Dies sind die zentralen Fragen der Philosophie des Geistes. Jede Antwort wirft jedoch zahlreiche neue Fragen auf. Etwa: Sind wir in unserem Denken und Wollen frei? Könnten Computer auch einen Geist haben? Kann der Geist auch ohne den Körper existieren? Die Philosophie des Geistes ist daher mittlerweile ein enorm differenziertes Projekt.
Die Geisteswissenschaftler knobeln da noch überangestrengt („enorm differenziert“), trotzdem ist ihr Fortschritt über die Jahrhunderte minimal gewesen, ja, und die noch schwierigeren Fragen zum Computer sind in letzter Zeit glatt obendrauf dazugekommen. Jetzt müssen die überforderten Geisteswissenschaftler wohl die Philosophie ganz und gar aufgeben, weil neue Philosophie nun nicht mehr um Computer herumkommt, von denen Geisteswissenschaftler aber keine Ahnung haben (wollen). Wie üblich wird jetzt das Problem von der Naturwissenschaft konstruktiv gelöst. Der Googlekopfmensch oder die Googlekopfmaschine (das erinnert mich an eine Erfindung von IBM…) wird so konstruiert, dass der Geist (im Netz) und der Körper einfach technologisch getrennt werden. Die Frage, ob Computer einen Geist haben, ist damit ebenfalls positiv geklärt, und nebenbei auch, ob sie einen Körper haben können.

Im welchem Alter bauen wir denn die Netzwelten in den Menschen ein? Gleich dem Säugling? Das muss doch schrecklich sein, wenn er die ganze Entwicklungspsychologie schon im ferngelenkten Kopf hat, wenn er also schon weiß, dass er später arbeiten, Spinat essen und Jägerzäune imprägnieren muss. Oder bekommt der Säugling nur ein minimales Betriebssystem, das alle paar Tage upgegraded wird? Dazu muss aber die Telekom endlich doch einmal volles Internet in Waldhilsbach anbieten. Waldhilsbach wird dieses Jahre 700 Jahre alt, so lange warten wir schon. Wer bestimmt denn, was im Kindhirn wann zugelassen wird? Reich-Ranicki? Kostet das etwas? Sollen wir den Piraten und Christian Wulff nachgeben, die immer alles umsonst haben wollen?
Dürfen Menschen ein eigenes privates Wissen bilden, oder muss es gleich vom Internet als Allgemeingut abgesaugt werden? Die Prinzipien des Knowledge-Managements propagieren ja das altruistische Sharing allen Wissens. Dürfen private Anbieter proprietäre Gehirne mit Werbung anbieten und sich gegenseitig innovativ Konkurrenz machen, damit sich der Mensch in toto schneller weiterentwickelt? Werden die Kirchen auf Sondergoogleköpfen bestehen, die dafür lebenslang Kirchensteuer zahlen müssen? Wird es gegen Aufpreis Design-Religionen geben oder blaublütige Kunstköpfe mit elitärer Gesinnung? Lassen wir uns von Parteien und Arbeitgebern überreden, Hirn-Addons zu benutzen? Was passiert am Flughafen beim Einwandern in die USA? Wie oft muss ein Gehirn gewaschen werden? Muss es weiß sein (ein Persil-Scherz)? Bekommt man eine Garantie? Kann man es umtauschen?

Persönlichkeitsentwicklung kann als Fernwartung betrieben werden. Traurige Erlebnisse werden gelöscht, Versagensängste in Erfolgsstolz verdreht – alles eine Frage des Geldes. Wer sich private Hirnfernwartung leisten kann, wird sich glücklich programmieren lassen. Im Fußballstadion kann man das Hirn im Fußballstadium betreiben, bei langweiliger Arbeit dimmen, es lässt sich beim Fernsehen mit dem dort angebotenen Niveau synchronisieren. Ich schaue das tausendste Mal hochgespannt „Die Zeugin der Anklage“, weil sich das Hirn nicht mehr an den Schluss erinnert, bei Liebesfilmen vergesse ich identifizierend, wie ich selbst wirklich bin, und ich schluchze. Bei den neuen Möglichkeiten der Fern-Demokratie noch mehr.
Solange das Internet nicht ausfällt, ist mein Kopf unsterblich. Er kann ja in immer neue Körper rein. Vielleicht sogar in Spatzen, die ja das sprichwörtlich kleinste Spatzenhirn haben – ein Netzchip aber geht immer! Meine Kinder müssen dann keine Erbschaftssteuer zahlen – ach, habe ich überhaupt Kinder? Sind die mir ähnlich? Wie geht es technisch, dass sie dasselbe denken wie meine Frau und ich gleichzeitig, was ich ja selbst nicht schaffe? Welche Smartbrains empfiehlt meine hirnintegrierte Werbung, die auf mein Konto sehen kann und weiß, was meine Frau wünscht?

Der größte Luxus der Reichen wird wohl darin bestehen, dann doch wieder Geisteswissenschaftler anzuheuern, die mit den neuen technologischen Mittel eine neue Synthese von Geist, Seele und Leib herzustellen versuchen, weil das einen enormen Lustvorteil bringen könnte. Können das die Geisteswissenschaftler? Bisher sind sie dafür zuständig, die bisher erkannten allereinfachsten 5 Prozent des Weltgeistes enthüllt zu haben, aber: Werden sie einen 100 Prozent lustvoll-integrierten Prototypen erzeugen können? Können sie überhaupt von einer 100 Prozent „kritischen Denk- und Arbeitsweise“ auf 100 Prozent Arbeit umschalten müssen? Von „Kritik der reinen Vernunft“ auf „Konstrukt der praktischen Vernunft“? Oh, das wird seeehr teuer werden und wird den Nachteil der Sterblichkeit haben. Netzköpfe können ja in neue Körper geklont werden, aber voll im Körper integrierte Programme müssen wohl im Doppelpack vergehen. Das wäre das größte Gut – einer solchen Welt auch einmal Tschüss sagen zu können. Mit Leib und Seele den Geist aufgeben!

Gunter Dueck

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