Das Unpro-Prinzip oder wie wir alle unfähig oder überbezahlt werden (Daily Dueck 161, März 2012)

Es gibt so wunderbar satirische Bücher wie das Peter-Prinzip und das Dilbert-Prinzip. Das Petersche sagt, dass Menschen so lange befördert werden, bis sie zum ersten Mal nicht mehr fähig sind, den neuen Job zu stemmen. Nach Dilbert versucht man, die Unfähigen dadurch zu entsorgen, dass man sie befördert, am besten ins Management, damit sie ja nicht arbeiten und somit Schaden anrichten! Da muss ich nachlegen: Ich behaupte, dass wir alle bald unfähig oder überbezahlt sein werden, wenn wir einfach nur tüchtig arbeiten.

Viele junge Leute, das habe ich auf Nachfrage bemerkt, kennen das Peter-Prinzip nicht! Es wurde erstmals 1969 im Buch The Peter Principle Laurence J. Peter und Raymond Hull fornu-liert. Original: „In a hierarchy every employee tends to rise to his level of incompetence.“ Oder auf Deutsch: „In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.“ Die Logik ist bestechend einfach. Wenn jemand in seinem Beruf gut arbeitet, wird er befördert. Wenn sie weiterhin gut arbeitet, wird sie wieder befördert. Wenn er nochmals gut arbeitet, wird er neuerlich befördert. So geht das weiter. Irgendwann aber kommt der Tag, wo sie oder er mit dem jetzt schon ziemlich verantwortungsvollen Job überfordert ist. Dann wird sie/er nicht mehr befördert, weil sie/er unfähig ist. Deshalb steigt die Anzahl der Unfähigen mindestens nach oben hin immer stärker an. In den hohen Positionen sind fast nur noch Unfähige, unten warten noch einige Fähige darauf, endlich in einen höheren Job befördert zu werden, den sie nicht ausfüllen können.

Darüber haben wir damals alle gelacht, als das Buch ein viel zitierter Bestseller war. Wir waren überrascht, wie gut diese witzige Theorie die Lebenswirklichkeit trifft. Warum eigentlich? Die Antwort: Es gibt viele Beförderungen, die in eine Stelle führen, in der andere persönliche bzw. charakterliche Fähigkeiten verlangt werden, die nicht mehr bei der Arbeit erworben werden oder sogar nicht mehr gut erworben werden können. Zum Beispiel könnte man (das kommt gaaanz oft wirklich vor!) den besten Lehrer in der Schule zum Direktor der Schule befördern. Dann betritt er beruflich ein neues Gebiet, was ihm meist nicht klar ist. Ein Lehrer muss die vielen hyperaktiven, unzuverlässigen und störenden Kinder für Bildung interessieren und charakterlich auf den Pfad der Tugend bringen. Dazu hat er eine gewisse Autorität, die ihm die Kinder und Eltern meist noch zugestehen. Wird er aber Direktor, so muss er sich mit einem „Lehrerkollektiv“ auseinandersetzen, also mit Leuten, die von Amts wegen oder in ihrer Selbstvorstellung immer Recht haben… Ich will jetzt nicht drastisch werden – Sie verstehen, dass man leicht mit Lehrern überfordert sein kann, wenn man bisher nur mit Kindern üben durfte? Sie verstehen auch, dass es nur EINEN Direktor gibt und sehr viele Lehrer unter ihm auf die Chance lauern, die Stufe ihrer Unfähigkeit zu erklimmen? Die sind dauersauer und eben nicht teamglücklich.
Dieses Phänomen sehen wir sehr oft in der Politik. Da sind wundervolle Politiker, die sofort kläglich versagen, wenn sie Minister werden. Manche schaffen es nach 100 Tagen, in den größeren Schuh hineinzuwachsen, die meisten aber nicht. Es ist eher selten, dass sie im Amt wachsen, also die neu verlangten charakterlichen Führungsfähigkeiten ausreichend schnell erwerben. Wer zögert, wer also vor einer Beförderung zittert, weil er das Peter-Prinzip kennt, wird immer in Watte gepackt: „Ach, sei nicht feige, das schaffst du schon.“ Und schwupps, ist wieder ein wertvoller Mensch für die Menschheit erledigt. Es ist ja nicht so, dass unfähige Beförderte lediglich ein Ausfall sind – oh nein, schlimmer! Immer weiter hinauf schaden sie der Menschheit enorm! Wer unfähig ist, wird ja nervös und aggressiv und nutzt seine Macht, respektiert zu werden, obwohl man ihn in seiner Rolle nicht mehr respektieren kann…

So. Und jetzt das Unpro-Prinzip. Ich behaupte, dass wir alle mehr oder weniger unfähig oder überbezahlt enden und auf jeden Fall geprügelt werden. Das steht im Prinzip in meinem Buch Professionelle Intelligenz. Die Technisierung und Industrialisierung aller Arbeiten beschleunigt sich noch immer. Die einfachen Arbeiten erledigt ein Computer schon fast von selbst, zum Beispiel alle einfachen Reisebuchungen, Rechtsfragen, Diagnoseprobleme, Wissensfragen, Steuerlagen usw. Eine regionale Bank hier in der Gegend gab gerade bekannt, dass sie allen Geldkleinkram bis vielleicht 10.000 Euro einfach „auslagert“, also von Billigkräften woanders erledigen lässt, die dann alles mit guter Software und einem Flachbildschirm hinbekommen. Dann verbleibt in der Bank oder im Reisebüro nur noch der schwierige Teil für die Berater übrig. Die haben bisher zu großem Teil einfache Arbeiten erledigt und zum kleineren Teil komplizierte Anfragen beantwortet. Jetzt sind aber nur noch schwierige Aufgaben für die nicht Ausgelagerten da!
Folglich erkennt man nun bei der Zweiteilung der Arbeit, wer eigentlich wirklich fähig ist, wer also den ganzen Tag ohne Hilfe anderer Kollegen mit schwierigen Arbeiten fertig wird, die ja auch höhere charakterliche Fertigkeiten verlangen: Kundenansprache, emotionale Intelligenz, Verkaufstalent! Einfache Arbeiten lassen sich fast allein mit Fachkenntnissen schaffen, die man erlernen kann, aber bei Top-Kunden sollte man zusätzlich noch Sympathieträger usw. sein, oder? In einer normalen Teammischung gibt es praktisch kaum Mitarbeiter, die locker den ganzen Tag erfolgreich nur schwierige Arbeiten erledigen können. DAS ist das Problem! Auf der höheren Stufen der vollen Professionalität gibt es kaum genügend Professionelle.

Da behilft man sich so, dass die weniger guten Leute NUR noch die einfachen Aufgaben bekommen. Dafür sind sie aber eigentlich überqualifiziert! Trotzdem, sie dürfen nur noch Einfaches machen. Deshalb sind sie überbezahlt! Und jetzt werden sie gequält, doch Lohnverzicht zu üben und Niedriglohnjobber mit Zeitvertrag zu werden.
Die besseren Leute dagegen müssen jetzt NUR noch schwierigen Arbeiten erledigen. Das können sie von der Persönlichkeit her meist nicht, sie sind überfordert, reagieren gereizt und nervös und versuchen, vom Kunden und vom Chef respektiert zu werden, obwohl es da Gegenargumente gäbe. Dadurch, dass sie nur noch schwierige Anfragen beantworten, sind sie OHNE JEDE Beförderung dem Peter-Prinzip zum Opfer gefallen und jetzt unfähig geworden.

Ich fasse zusammen: Die Aufteilung einer Arbeitsanfallserie in den einfachen Teil (der ausgelagert oder outgesourct wird) und in einen schwierigen Teil, der viel Kraft und Persönlichkeit erfordert, teilt die Menschen implizit in Überbezahlte und Überforderte.
Auf beide Teile wird nun eingedroschen. Die Überbezahlten sollen weniger verdienen, die Überforderten mehr leisten („Employability“).
Ja, und was bedeutet das für uns? Wir müssen eigentlich entscheiden, ob wir Boreout mit Geldmangel bevorzugen oder Burnout mit Karotten-Bonusversprechen vor der Eselsnase.
Das ist das Unpro-Prinzip. Unpro wie Unprofessional. Niemand hat eine Chance. Das ist die effizienteste Lösung der so genannten Arbeitsteilung, die den Menschen vom Tier unterscheidet.

Gunter Dueck

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