Der Chef will immer Input und ist doch nie zufrieden! (Daily Dueck 159, Februar 2012)

Nerven Ihre Chefs auch immer so fürchterlich? Sie wollen Infos, Input und vor allem ganz genaue Zahlen, die es in der gewünschten Form fast nie gibt. Ein richtig hoher Chef macht mit seinen Inputsonderwünschen seine ganze Assi-Umgebung regelmäßig kopflos. „Daten! Sofort!“ Da wissen die Sekretäre und Assistentinnen, die Stabsleute, die Marketing- und Öffentlichkeitsarbeiter kaum anderen Rat, als das ganze Unternehmen so verrückt zu machen, wie sie es selbst gerade sind. Keine Zahlen zu haben ist vielleicht schlimmer als schlechte.

Kennen Sie dieses neurotische Zittern im Raum, wenn zwischen vielen Menschen ein einziger verzweifelt und in erkennbarer Eile seinen Schlüssel sucht, dabei immer lauter flucht und zetert? Er schaut oft nur zwei Drittel seiner Zeit tatsächlich nach dem Schlüssel, den Rest verbringt er mit wütend eindringlichen Blicken auf das gleichgültige Saupack um ihn herum! Das ist bösartig faul und bekommt den Hintern nicht hoch, um ihm beim Suchen zu helfen. Die im Raum Arbeitenden bekommen nach und nach die Krise, sie werden neurotisch angesteckt, sie können nicht mehr konzentriert denken. Erste von ihnen stehen auf und tun grimmig so, als würden sie suchen helfen – sie hoffen dabei nur inständig, dass der Schlüssel endlich auftauchen würde. Bald steht alles Kopf, man fragt immer drängender nach dem Sinn des Ganzen. Die Lage eskaliert. Bohrende Fragen nach möglichen Alternativen branden auf. „Gibt es andere Lösungen, als uns verrückt zu machen?“ Ein Witzbold wird für „Könnt ihr den Schlüssel nicht draußen suchen?“ mehrheitlich blickgetötet.
Und viel später, viele entsetzliche Minuten später: Da! Da! Da ist er! „Ach, ich bin so froh, es ist nämlich der Kellerschlüssel, ich brauche ihn nicht, aber es hätte mich das ganze Wochenende gequält, nicht zu wissen, wo er ist. Er war nur im Mantel verrutscht. Das ist noch nie passiert. Echt! Ich verliere ihn oft!“

So ein Schlüssel ist noch einfach, weil der Suchende mitten im Chaos dabei ist. Ein Chef aber ruft nur kurz aus Shanghai an, er brauche eilig Input. „Was genau?“, bebt der Assistent. „Zu eilig, seien Sie kreativ!“, da legt er auf. Alle fühlen sich, als ob eine zickige, launische, anspruchsvolle und sehr nachtragende Tänzerin in einem Roman von Balzac ohne näher erklärte Wünsche eine großartige Weihnachtsüberraschung erwartet, was ihre Anbeter in Traumata versenkt. Nun laufen sie los, alle diejenigen in der organisatorischen Nähe des Chefs, und üben das Spiel „Reise nach Jerusalem“. Alle hektisch von ihnen Angesprochenen fragen zurück: „Was genau sollen wir liefern?“ Das aber ist nicht bekannt, er muss nur eben einen wichtigen Vortrag vor einem Board halten, oder auch vor Mitarbeitern für eine kritische Situation. Er will Marktzahlen, Unternehmenszahlen, Jubelmeldungen, Lagedarstellungen.

Die Peripheriemitarbeiter lösen das Problem auf bewährt untaugliche Weise: Sie setzen ein Meeting an oder einen Call auf (Es gibt Versuche, bei denen ein Affe in der Nähe eines Tigers sitzen muss, nur durch ein grobes Gitter getrennt. Ihm passiert also nichts, aber er zittert ganz stark vor Angst. Wenn man ihm jedoch einen zweiten Affen hinzugesellt, trösten sich die beiden und haben sehr viel weniger Angst. Meetings werden so groß angesetzt, dass keiner Angst hat, so lange es dauert.). Im Meeting beratschlagen sie, wer welche Zahlen suchen muss, am besten haben sie überhaupt alle zusammen und konsolidieren den Input am Abend. Dann versuchen sie, etwas zu basteln, was so gut sein könnte, dass der Chef irgendwie zufrieden ist. Das geben sie ihm, er stöhnt oder haut es ihnen um die Ohren. Nichts passt ihm! Dabei haben sie alle Zahlen geerntet, die es gibt, alle Finessen erarbeitet. Der Chef hat keine Zeit, den „Mist“, wie er sagt, zu überarbeiten. Er ruft eine Beraterfirma an. Die verlangt eine Stunde Zeit und 3000 Euro. Sie schickt zwanzig Minuten später eine PowerPoint-Folie mit dem starken Satz „Wir werden aus der Krise gestärkt hervorgehen, weil sich der Beste durchsetzt und die anderen sterben.“ Der Chef freut sich, seine Nerven beruhigen sich. So hat er es sich vorgestellt! Triumphierend und verächtlich schaut er in die Runde. „Ich zahle für Euch sicher zusammen mehr als 3000 Euro, oder?“ Ein Controller wendet ein, dass es nicht so sicher sei, dass sie die Besten wären – der Chef solle einmal den von ihm geleisteten Input durchschauen. Der Chef rollt mit den Augen, er will ja nicht durchschaut werden, er will nun kurz böse werden, zuckt angesichts der allgemeinen gewohnten Dummheit um ihn herum die Achseln und geht auf die Bühne, um die Zuhörer zu begeistern.

Die hören wie immer, dass der Chef der Beste ist. Wie immer glauben sie es nicht, finden es aber vollkommen in Ordnung, zumindest wenn sie selbst Chefs sind – sie lieben dann ähnliche Folien. Die Umgebung des Chefs aber verzweifelt. Haben sie als Mitarbeiter einen Sinn, wenn alles verhöhnt wird, was sie liefern? Sie fühlen sich alle wie Trottel.

Hey, Leute, ich sehe so viele von Ihnen – ganz betrübt! Ich selbst bin übrigens auch oft betrübt. Meine Folien für MEINE Reden woll(t)en meine Chefs fast nie, weil ich PERSÖNLICH die Wahrheit und die Zukunft eines Unternehmens diskutieren würde, wenn ICH Chef wäre. Auf meinen Folien stehen fast nie „Zahlen“. Ich bin aber nicht der Chef! Und ich frage mich, ob ich als Chef dann nicht doch anders agieren würde. Mir hat ein Chef einmal gesagt – und das hat mir zu denken gegeben: „Dueck, Sie können bei Ihren Reden in Visionen schwelgen! Die finde auch ich wundervoll. Aber wenn ich Ihre Rede für mich selbst als eigene Rede übernähme, dann erwarten und verlangen die Mitarbeiter, dass ich mein Gesagtes umsetze. Das kann ich gar nicht, dazu müsste ich…“ Das habe ich verstanden und davon Abstand genommen, ihm Input zu geben, den ich selbst gerne für Reden gehabt hätte. Denn jeder Chef braucht Input, der zu ihm passt. Und dann muss ich doch den Input aus seiner von mir mitgefühlten Denkweise heraus erstellen?!
Was passt zu einem Chef? Manche Bosse wollen nur beeindrucken und brauchen Markiges. Andere wollen die Mitarbeiter ausschimpfen und brauchen schlechte Zahlen, um damit ins Publikum zu schießen. Wieder andere (das sind überraschend viele) haben beim Reden Angst vor einem lauten Murren der Zuhörer oder direkter Konfrontation mit einem Gewerkschaftler, sie wollen einfach etwas, was sie schmucklos über die Runden bringt – dazu sind alle Gemeinplätze herzlich eingeladen. Wieder andere kommen mit Marktzahlen aus dem Internet, die klingen so: „Der XY-Markt wird in hundert Jahren bei 772 Quadrillionen Euro angeschwollen sein (die Zahl plus minus 10 Prozent, je nachdem wie das Wetter in der nächsten Woche ist). Wir haben also beliebig gute Chancen, vielleicht zehn Prozent all dieser Quadrillionen abzugrasen, wir müssen nur raus, raus, raus! Der Markt ist da! Die Kunden war-ten! Geld regnet überall! Lassen Sie Ihr Unternehmen im Regen stehen!“ Noch andere reden angesichts bedrückend schlechter Zahlen lieber von neuen ethischen Werten, die als Abkürzung auf Tassen verteilt werden sollen. TOLL (Tatkraft Originalität Leistungs-Lust bedeutet es, aber die Rede ist Tugendhaft Old-fashioned Lebensfremd Langatmig). Technische Chefs lieben dagegen Vorstellungen von Großprojekten, die ganz kranke Abkürzungen haben, für die sich autistisch Angehauchte kindlich begeistern. „Unser Projekt TOLL CONNECT wird ein Milli-arden äh Grab-ber.“

Über diese Verschiedenheiten lässt sich natürlich leicht maßlos lästern! Tatsache ist: die Input-Zuträger denken insgesamt einfach zu wenig über die Persönlichkeit und die Notwendigkeiten des Chefs nach. Sie machen sich vielleicht sehr kundig darüber lustig! Und dann bringen sie ihm doch wieder Zahlen, mit denen sie selbst zufrieden sind und für die sie Lob erwarten. Im Grunde machen sich doch die Inputgeber lächerlich, wenn sie immer das Falsche bringen. Nicht einmal die Farben der Folien stimmen! Dabei hat doch der Chef eine Vorliebe für Krawatten, das sieht man doch, was er im Spiegel gut findet! Hey, wenn irgendwelche Berater für sehr viel Geld sofort und auf der Stelle Folien erstellen können, die dem Chef gefallen, dann muss das doch auch normalen Internen gelingen? Wozu sind die eingestellt?
Am besten ist es für den Chef und alle, er hat ein paar Leute um sich herum, die zu ihm passen. Die können dann wissen, welchen Input er braucht, und die dirigieren die Inputmeute. Dann sind die Reden immer in Ordnung! Problem gelöst! Hurra! Aber dann ist der Chef doch abgeschottet? Nie mehr auf dem Teppich? Da haben wir ein neues Problem.

Im Grunde brauchen nur gute Chefs PowerPoints, die zu ihnen passen. Alle anderen sollten fremdbestimmte benutzen, aber das tun sie nicht und bleiben so wie sie sind.

Gunter Dueck

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