Studie – Was Kinder lernen WOLLEN! (Daily Dueck 156, Dezember 2011)

Nach PISA kommt jetzt PIAAC, eine Studie, bei der die Kompetenzen von Erwachsenen erfasst werden. Die Befragungen finden Anfang 2012 statt – und erste Ergebnisse gibt es Ende 2013 (!!). Dann kommt wieder heraus, dass einige nicht lesen und mitdenken können. Aber unser Bildungssystem ist sehr gut, nicht wahr? Außer, dass keinen interessiert, was da gelehrt wird, und es fast gewiss erscheint, dass das erworbene Wissen niemals angewendet werden kann. Ich fordere eine Studie, was Kinder denn lernen WOLLEN!

Immer wieder gibt es Studien, um den IST-Zustand zu verstehen, dann zu verharmlosen und schließlich weiter mit ihm zu leben. Woanders, so beruhigen uns die Studien, wird auch nur mit Wasser gekocht. Deutschland ist schwach durchschnittlich, aber eigentlich am besten. Im Grunde drücken nur unwillige Leute die PISA-Ergebnisse, die nicht lernen wollen, sich nicht integrieren, von ihrem Hintergrund her nicht gut erzogen wurden und so weiter. Deshalb wären die Zahlen viel besser, wenn wir nur die Besten messen würden, nicht alle. Damit aber diese Panne nicht wieder passiert, werden wir diese Schnittverderber ab jetzt gehörig schulen und schurigeln!
Zurzeit werden die ersten PISA-Befragten schon berufstätig. Was liegt näher, als sie nochmals zu befragen, ob sie als Erwachsene jetzt gute Kompetenzen haben? Welche Kompetenzen werden überhaupt verlangt? Welche wollen wir testen? Am besten testen wir nicht die, die Erwachsene haben SOLLTEN (Teamfähigkeit, Kreativität, Kommunikations- und Konfliktlösungsfähigkeiten, Verkaufen etc.), sondern die, die wir bei den Kindern gemessen haben, also Lesen, Rechnen, Problemchenlösen. Dann können wir alles schön statistisch vergleichen und stellen fest, dass Erwachsene nicht weiter gekommen sind, weil sie nur MIT ihren Mängeln gearbeitet haben anstatt AN ihnen.

Kinder, die ich kenne, WOLLEN doch lernen! Darauf reagieren wir kaum. „Das kannst du noch nicht.“ – „Das verstehst du noch nicht.“ – „Internet ist böse und hält dich vom Lernen ab.“ – „Bitte fass mein Handy nicht an, sonst raste ich aus. Das ist nichts für dich. Wenn du da etwas verstellst, kann ich es nicht mehr benutzen, so schwierig ist die neue Technik. Kind, ich weiß, wovon ich rede.“

Wieso bestehen die abgebrochenen Hauptschüler alle die theoretische Führerscheinprüfung? Wieso gibt es mehr Experten für Dinosaurier als für Kartoffelsorten oder Maler des Mittelalters? Warum interessieren sich Kinder für Planeten und Sterne und nicht für Baumblätter? Warum lesen sie so viel, bis sie zur Schule kommen und Iphigenie treffen? Die Kinder engagieren sich bei der Feuerwehr, beim Tischtennis, beim Rettungsschwimmen und im Harmonikaverein. Alles ist gut, wenn sie sich interessieren! Sie lernen dann zehn Mal so schnell!

Wenn das so ist, sollten wir sie einmal selbst fragen, WAS sie interessiert und WAS sie lernen WOLLEN! Das wissen wir auch so, aber ohne Studie ist es nicht offiziell evident und gilt nicht. Glauben Sie im Ernst, die Kinder würden nicht lesen und rechnen können wollen? Wahrscheinlich werden sie doch alles lernen wollen, was sie an Menschen in ihrem Umfeld bewundern, oder? „Das kann ich auch. Das kann ich schon!“ Kochen, Backen, Radfahren, Schwimmen, Malen, Singen, Fußballspielen, Mails schreiben, SMS schicken, Rechner bedienen. Dann könnten wir noch fragen, WIE sie es lernen WOLLEN, oder? Das Malen und Singen beginnen sie einfach und natürlich im Kindergarten, sie sträuben sich nicht!
Man könnte aber das Malen mit dem Erlernen von Stilen und Techniken sowie dem Büffeln berühmter Malernamen beginnen! Wir könnten vor dem Singen erst das Notenlesen üben und vor das Schwimmen das Auswendiglernen der Stilarten und Sicherheitsvorschriften stellen! Wir lehren vor dem Simsen am besten die Telefonkunde, wie sie schon bis zum Jahr 1980 in Lehrbüchern beschrieben ist („Der Aufbau von Telefonhäuschen und ihre Benutzung durch Kinder, die erst mit Stelzen an den Hörer kommen“).

Kinder wollen erst Beispiele, dann Theorien. Lehrpläne predigen Theorie und merken, dass sie nicht verstanden werden (weil die Theorie zu trocken ist). Dann erklären Lehrer die Theorie der Lehrpläne mehrmals, was nicht weiterhilft – einfache Beispiele und Tun würden es ja bringen… dafür ist aber keine Zeit, weil viele Schüler auch nach dem vierten Mal Theorie nichts verstanden haben.
Als ich einmal in Göttingen Wirtschaft studierte, demonstrierten wir gegen den Schah von Persien und gegen Mikroökonomie II, die wir absolut nur lernen, aber nicht verstehen konnten. „Wo ist der Sinn?“, riefen wir, als schließlich zwei zögernde Assistenten herauskamen und uns beruhigen wollten: „Ihr Studenten, alle Studiengänge der Universität beginnen mit trockener Theorie, deren Sinn man erst im Hauptstudium versteht oder bei der Dissertation ganz bestimmt. Es braucht lange, die Grundlagen eines Fachs so sehr abstrakt vorzubereiten, dass man darauf aufbauend ganz redundanzfrei alle denkbaren Theorien beweisen kann. Da darf man am Anfang noch keine Fragen nach dem Sinn und einem ganzheitlichen Verstehen stellen. Der Sinn oder der Zusammenhang des Ganzen wird auch im Hauptstudium nie erklärt, aber er wird dann schon implizit klar, wenn man begabt genug ist, ihn von selbst zu erfassen. Das Wesen der Wissenschaft erschließt sich dem von selbst, der lange genug Bruchstücke davon in sich aufnimmt, Credit Point für Credit Point. So will es die Theorie.“ (Inzwischen hatten wir die Finanzkrise, die heute auch als eine der ökonomischen Wissenschaft begriffen wird – der Zusammenhang zwischen der Mikroökonomie II und der Realität hat sich immer noch nicht von selbst eingestellt.)

Ach, ich spekuliere zu viel… was ich mir jetzt selbst denke, was Kinder wollen oder was ich wollte, als ich Kind oder Student war. Wir sollten sie FRAGEN! Heute neu! Wahrscheinlich kommt etwas gut Brauchbares heraus. Wollen wir das Ergebnis einer solchen Befragung nicht einmal betrachten und im Herzen bewegen? Haben wir den Mut dazu? Haben wir Angst, dass sie vielleicht nicht selbst auf bundeseinheitliche Prüfungen kommen? Kennen Kinder den Stand der Technik bei Overheadfolien, Matrixdruckern und ausrollbaren Erdkundetafeln? Werden sie teure Schreibmaschinenkurse verlangen, die wir uns damals erst nach der Schulzeit leisten konn-ten?

Lasst uns sie fragen! Lasst uns gefasst sein!
International Childrens‘ Assessment of Necessisties (I CAN).

Gunter Dueck

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