Split Loyalty, Vollkundenäquivalente und das Emma-Enterprise (Daily Dueck 154, November 2011)

Alle prahlen mit ihren Kundenzahlen herum. Facebook mit hunderten von Millionen und Google auch. Die Banken gewinnen immerfort Neukunden, der Weinversandhandel ebenso, und, ja – überhaupt alle prahlen. Das Wachstum der Kundenzahlen speist sich aus den Neukunden-An-Abwerbungsgeschenken, deren Wert von derzeit oft 50 Euro sich normalerweise am 1989er Begrüßungsgeld für DDR-Bürger orientiert. Jeder loyale Kunde ist da ein Depp.

„Tagesgeld zu 2 Prozent!“ und im Kleingedruckten „nur einen Monat und nur für Frischgeld“. Internet gibt es „drei Monate umsonst“, dann ziemlich viel teurer für 21 Mehrmonate. Wer schlau ist, beginnt mit dem persönlichen Illoyalty-Management und kündigt immerfort die Treue auf. Treuebruch der Kunden zahlt sich aus. Dumm, wer seinen Handyvertrag behält oder sein Tagesgeld nicht im Bankensystem rotieren lässt, damit es immer frisches Geld zum Sonderprozentsatz ist. Der gerissene Kunde benimmt sich nicht wie ein König, sondern wie eine zickige Geliebte, die nur mit Geschenken günstig gestimmt werden kann.
Vor etwa fünf Jahren habe ich die Kolumne „Gold Ass – Der treudoofe Bestandskunde“ für Sie geschrieben. Ich beklagte mich, dass die Bestandskunden schlechter als Neukunden behandelt würden. Das haben Sie jetzt alle verstanden? Dass Bestandskunden Goldesel sind? Oder eben Deppen? Und dass es deshalb bald keine treuen Kunden mehr gibt?

Tante Emma hat uns früher als Kunden geehrt. Wir haben uns nicht getraut, woanders zu kaufen. Wir konnten uns kaum vorstellen, ihr als illoyale Schufte unter die physischen Augen zu treten. Online aber können wir beliebig sündigen und die Untreue zum Prinzip erheben!
Wir splitten unsere Kundenloyalität auf und sind am besten überall Kunde…

Merken die Unternehmen das eigentlich? Ich habe oft bei Banken gefragt, wie viele „1/1 Kunden“ sie haben. Also echte Vollkunden, nicht ½-Kunden oder ¼-Kunden. Sie könnten doch anhand der Personendaten in etwa schätzen, wie viel Geschäft ein Maurermeister oder ein Krankenpfleger mit ihnen durchschnittlich tätigen würde, wenn er ein treuer Vollkunde wäre. Dann könnten sie vergleichen, wie viel Geschäft der konkrete Kunde wirklich mit ihnen macht und wüssten, wie viele Vollkundenäquivalente sie haben. Ich habe noch nie gesehen, dass ein Unternehmen so rechnet! Ich glaube auch nicht, dass es getan und mir verheimlicht wird – man sieht es doch an den unsäglich protzigen Neukundenanwerbestrategien. Da zerfleischen sich die Unternehmen, indem sie sich mit Schnäppchen übertrumpfen.
Wir verlieren gleichzeitig allen Glauben in Unternehmen und deren Treue zu uns. Gibt es so etwas wie „enterprise loyalty“? Google sagt: 31.000 Hits. Ich versuche „customer loyalty“ (beide Male mit Anführungszeichen eingegeben). Google findet 8.240.000 Ergebnisse. Unternehmen wünschen sich also das letztere ohne das erstere anzustreben, oder?

Weiß Ihr Unternehmen, wie viel Vollkundenäquivalente es bedient? Haben Sie die imposanten Facebook-Userzahlen gelesen, so dass Facebook mit zig Milliarden Dollar am Aktienmarkt bewertet wurde? Nun kam im Juli 2011 Google+ als Konkurrent dazu. Die Facebook-Userzahlen sinken jetzt nicht dramatisch. Nur wir Surfer haben nun zu gutem Teil zwei „Konten“ statt nur des einen. Wie viele Vollkundenäquivalente hat Facebook jetzt noch? Müssten wir nicht diese Zahl bei der Börsenbewertung wissen – so etwas wie Userzahl mal Facebook-Time?

Ich rufe alle Unternehmen auf, ihre Vollkundenäquivalente zu publizieren. Das wird so grausam sein, dass es bald wieder die ersten „Tante-Emma-Enterprises“ gibt, wo Unternehmen und Kunden sich gegenseitig liebhaben. Oder die Wissenschaftler könnten den „split loyalty effect“ untersuchen – drei (!) Treffer bei Google…

Gunter Dueck

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