Direktglaube – Die Brücke sind wir! (Daily Dueck 151, Oktober 2011)

Der Papst will eine stärkere Entweltlichung der Kirche. Er ist als Papst der Pontifex für alle Gläubigen und Menschen überhaupt. Er baut die Brücke zu Gott. Die Kirche erweitert die Brücke zu Gott. Was leistet eine Brücke? Für welche oder wie gute Menschen ist sie bestimmt? Was tut man, wenn die Brücke nicht trägt? Geht es auch ohne Brücke?

„Glühende Heilige“ sollen wir alle nach dem Wunsch des Papstes sein, nicht nur die „lauen Christen“! Das verstehe ich – ja. Ich bin allerdings evangelisch, als einziger in meiner Familie – und ich erschauere bei einem solchen Appell nicht spontan. Aber die Forderung als solche macht mich nachdenklich. Sie ist berechtigt, aber sehr extrem.
Solche Forderungen werden in vielen Situationen gestellt. Taoisten sollen dem Weg folgen, nicht in die Weltordnung störend eingreifen, nur durch Weisheit ohne Handeln wirken, sich des eigenen Selbsts entäußern. Buddhisten sollen den Weg ins Nirwana verfolgen, aller Gier, allem Hass und eigener Verblendung entfliehen, ihr Selbst erlöschen lassen und kein Karma erzeugen. Konfuzius will extreme Lebensregeln des Edlen eingehalten sehen. Es gibt die Erzählung, dass es ein Schüler tatsächlich auf einige Wochen regelkonform sündenfreies Leben gebracht habe.

Der Wunsch nach Heiligkeit ist so alt wie die Welt. Die Erkenntnis, dass die meisten Menschen sich diesen Wunsch andächtig und auch wohlgefällig anhören, aber selbst nicht einmal entfernt so sind, ist bestimmt noch älter. Deshalb schwächen sich dann die puristischen „wahren“ Heiligkeitsforderungen so weit ab, dass sie tragfähige Kirchenordnungen zulassen. Die Buddhisten lassen vom reinen Nirwana ab und verlangen „nur“ noch das Gehen des Edlen Achtfachen Pfades (rechtes Handeln, rechte Rede, rechte Einsicht, …). Die Christen sehen sich schon dann auf gutem Wege, wenn sie wirklich gute Menschen sind. Sie lieben den Menschen dann zwar nicht wie sich selbst, aber doch hinreichend genug.
Immer gibt es die absolute heilige Auffassung und die für allgemeine Menschen vernünftige erwartbare Version, die sich mit Hilfe einer kirchlichen Organisation im praktischen Sinne „managen“ lässt.

Diese Unterschiede in den Versionen treten auch im profanen Leben auf. Manager wollen ausschließlich „glühend Begeisterte“ als Mitarbeiter, andere überhaupt nicht mehr. Sie wollen alle diese anderen, die „mitzuschleppenden Feierabendersehner“, am liebsten entlassen. Sie übersehen, dass die vernünftig erwartbare Version nur die sein kann, dass die Mitarbeiter einfach normal gut arbeiten.

Das Heilige ist immer extrem, auf seinem Pfad wandeln wenige. Für welche Menschen oder für wie viele ist eine Kirche oder ein Manager denn nun wirklich zuständig? Nur für Heilige bzw. Leistungsträger? Oder sollte man Anstrengungen unternehmen, überhaupt alle zu Heiligen oder Leistungsträgern zu machen? Wie soll das gehen? Dann müsste man jeden einzelnen Christen oder Mitarbeiter sorgfältig entwickeln, coachen und leiten – mit Hingabe und Liebe, Christ für Christ, Mitarbeiter für Mitarbeiter.
Welche dieser beiden Entweltlichungen will der Papst? Zurückziehen auf den Kern? Oder eine extreme Erhöhung der kirchlichen Anstrengungen, den Bereich des Heiligen auf Erden auszuweiten, Christ für Christ?

Genau um die Frage, wie es gemeint sein soll, drücken sich alle. Der Papst will uns als Heilige. Der Vorstandsvorsitzende appelliert an uns, Leistungsfanatiker zu sein und unsere Employability (unsere persönliche Beschäftigungsfähigkeit oder unsern Employee-Value) zu steigern. WIR sind allein für Heiligkeit und unsere Berufsfähigkeit verantwortlich. „It’s up to you!“, habe ich so oft gehört. Gleichzeitig werden die Bildungsanstrengungen gesenkt, die Kirchen ziehen sich auf Seelsorgeeinheitenzentralen zurück und lassen die Gläubigen im Dorf ohne stete Präsenz des Heiligen quasi allein.

Wo ist die Brücke? Sind wir das jetzt selbst? Müssen wir zum vermittlungslosen Direktglauben an Jesus übergehen? „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Sollen wir uns im Web 2.0 organisieren?

Das dachte ich beim hohen Besuch in Deutschland. Jetzt bekomme ich bestimmt Proteste, dass mich das als Protestanten nichts angeht. Ich gehöre aber zu den Besserverdienenden und zahle per Splitting ein Heidengeld per Steuer an die katholische Kirche. Das ist gern gegeben, aber dann darf ich doch berechtigterweise gesamtchristliche Fragen aufwerfen?

Gunter Dueck

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