Facebook & Google + oder „Vom Geheimtipp zum Touris-ten-Rummel“ (Daily Dueck 145, Juli 2011)

Nach und nach wird die Internetwelt erschaffen und bevölkert. Ein neuer Raum entsteht, geheimnisvoll glitzernd und nur wenigen bekannt, die dort von ihren ersten Erlebnissen und Urlauben berichten. Zuerst ist es noch idyllisch und intim, die Early Adopter sind unter sich. Dann strömen aber die Touris herein, das neue Land wird überschwemmt. Überall Happy Hour, Billigschmuck und Fakes. Die, die zuerst kamen, sehnen sich wieder nach einem neuen Land. Hier ist es zu laut, zu grell, trivial und zunehmend unehrlich.

Die Imperien kommen und gehen. Immer neu entsteht das einzige wahre und gelobte Land, in dem man sein muss. Haben wir nicht IBM vor Jahren vorgeworfen alles zu beherrschen? Dann fürchteten wir uns vor Microsoft, das ist gar nicht so lange her. Ach, und dieser Wahn des Second Life! Kennen Sie noch Second Life, wo doch bitte absolut jede Firma eine eigene Welt aufbauen musste? Plötzlich fanden wir, wir müssten jetzt alle twittern und xingen, und vor noch weniger langer Zeit wurde Facebook zum großen Mekka der Welt. Die geschätzten Unternehmenswerte steigen von null auf hundert Milliarden und verschwinden anschließend wieder ins Nirwana.

Gibt es nicht auch so einen Lebenszyklus der Internetimperien, die als Geheimtipp wie der brasilianische Urwald starten und dann abgeerntet dahinsiechen?
Es ist wundervoll, das erste Land in Second Life zu besitzen, wunderbar, die Schulfreunde auf Facebook zu finden, herrlich, sich ganz kurz auf Twitter auszutauschen. Dann aber kommt der Blödsinn, das Getrolle, das Hetzen, Mobben – kurz, das Gewöhnliche unseres Lebens. Zu Beginn feiern die ersten Unternehmen fantastische Erfolge mit ihrer Präsenz in Twitter, Facebook oder Second Life – bis die Unternehmensberater mit PowerPoints schweres Geld verdienen, auf denen sie allen Unternehmen suggerieren, sie könnten mit ein paar dauertwitternden Werkstudenten den Shareholder-Value steigern. Die Wirtschaftszeitungen rechnen vor, wie viele Euro ein Twitter-Follower oder ein Facebook-Friend wert ist, also wird jetzt einfach um Klicks mit allen Mitteln gebuhlt.
Die Idylle verkommt zum lauten Leben wie überall. Immer mehr Leute kommen anonym oder unter fremden Namen, sie legen Fake-Accounts von Prominenten an, sie betrügen bei den Spielen in den Communities, indem sie sich mit mehreren Accounts regelwidrig Punkte und Lunch-Dollar zuschieben. Immer neue Spiele müssen her, aber die vielen Leute verwirren sich zwischen dem vielen Neuen und vereinzeln sich. Irgendwann macht es keinen richtigen Spaß mehr. Es ist Zeit zu gehen.

Seit ein paar Tagen gibt es Google +, ich probiere gerade. Ich war von Anfang an dabei und habe so etwas noch nie erlebt! So ein Glück überall hier, ein neues „Urlaubsland gefunden zu haben“. Noch keine Touristen da, kaum Fakes, keine aufdringlichen Unternehmen oder Eventnotifier wie auf Xing. Die ernsthaften Blogger der Nation testen und üben sich.
Einloggen in Google +! Erst der Schreck – es sieht so spartanisch sauber aus wie auf der Google Search Seite. Nach dem Schreck die Idee, wirklich ein neues Land gefunden zu haben, dass eben spartanisch ist – ja, aber eben noch nicht durch Ablenkungen irgendwelcher Art gestört wird. Google lässt im Augenblick wohl nur Leute rein, die schon einen alten Account bei Mail oder Finance haben? Viele klagen, alles geschehe ohne sie. „Ich will auch rein!“ Trotzdem melden sich bei mir hundert Follower pro Tag. Bei Twitter hatte ich nach zwei Jahren 1200 Follower, die sind hier in drei Wochen erreicht. Alle kommen zu Google +! Geht jetzt Twitter in die Knie? Verliert Facebook vielleicht nicht groß an Userzahlen, aber doch die viele Zeit „in Facebook“, die ja allein beim Gewinn zählt?

Hoffentlich hat Google die kluge Hand, alles so spartanisch zweckgetreu zu lassen. Vielleicht schaffen sie es, das Vertouristen, das Zudringliche und Laute draußen zu lassen. Ach, dann müssen wir nicht immer alle zwei Jahre umziehen.

Gunter Dueck

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