Anti-Cops stürmen Professorenwohnungen (Daily Dueck 142, Mai 2011)

Viele Wissenschaft ist nicht gerade Science Fiction, aber es scheint in der Szene den Begriff des Remasterings zu geben. Habe ich selber noch nie gehört! Es geht wohl darum, dass man aus verschiedenen Master- oder Magisterarbeiten ein Buch oder eine größere Publikation herstellt, die dann der Professor ganz unter eigenem Namen publiziert. Das hat jetzt endlich die Anti-Copy-Polizei auf den Plan gerufen.

Man war schon immer darum bemüht, Betrügern auf die Schliche zu kommen, die ihre Ab-schlussexamensarbeiten einfach irgendwo abschrieben. Das konnte man früher nicht wirklich verhindern, weil man praktisch Professor sein muss, um das zu merken. So hohe Gehälter zahlt die Polizei ja nicht. Aber heute kann jeder Googeln! Immer mehr Betrüger werden entlarvt, auch Adlige und Politikerkinder werden nicht mehr so streng geschont wie früher. Doktorarbeiten müssen laut Prüfungsordnung publiziert werden! Deshalb stehen sie bald frei im Internet. Die Polizei kann jetzt einfach Prämien für Googler ausschrieben. Pro aberkanntem Doktor gibt es bestimmt bald 100 Euro – da können sich Schüler ein leichtes Zubrot verdienen. Bald kommt alles heraus!

Wir können das Abschreiben damit in einer Linie mit dem Doping und dem Vergewaltigen sehen. Durch Google, Forschung im Doping und neuerdings mögliche DNA-Tests kommt alles heraus, was früher straffrei bleiben musste! Immer mehr Vergehen können viel später dank technischer Segnungen entdeckt werden. „Gott sieht alles!“, sagten meine Eltern immer – das wird jetzt irgendwie aktuell.

Neulich klagte ein junger Wissenschaftler, der sich um ein Forschungsstipendium bewarb, dass man ihn aufgefordert hatte, nur solche Publikationen in seiner Bewerbung zu nennen, die ausschließlich unter seinem eigenen Namen erschienen wären. „Das hat doch keiner! Der eigene Professor schreibt doch immer seinen Namen dazu, damit er mehr Publikationen hat! Und ich muss einwilligen! Er hat schließlich die Macht!“ Es gibt auch andere Fälle. Ich habe zum Beispiel bei einem echten Spitzenforscher (Rudolf Ahlswede) gearbeitet – bei dem wären wir froh gewesen, wenn sein Name auf unserem Paper draufgestanden hätte. Damals kamen ausländische Gastwissenschaftler mit fertig geschriebenen Arbeiten angereist und baten gleich am ersten Tag, dass der große Meister seinen Namen als Mitautor hergeben möge, um die Arbeit zu adeln. Oh, ich weiß noch, wie verhasst es ihm immer war, glatt NEIN zu sagen!

Na, diese Art Wissensgesellschaft kennen Sie wahrscheinlich. Haben Sie aber einmal nachgedacht, dass die Examensarbeiten für Diplom, Magister, Bachelor oder Master eben NICHT öffentlich in den Bibliotheken stehen? So wie auch die Abiturarbeiten nicht? Da könnte doch ein Wissenschaftler ganze Bücher aus den Arbeiten zusammenheften. Er plant einfach den Inhalt eines Buches mit zehn Kapiteln, vergibt zehn Abschlussarbeiten und fertig! Dann schreibt er einen meist vollkommen unbeachteten öden Angangssatz in sein Buch hinein. Er lautet: „Ohne die wertvolle Diskussion mit [eine halbe nervtötende Seite Namen] wäre dieses Buch nie möglich gewesen oder zustande gekommen.“ Tja, wäre es auch nicht. Diese Arbeit Ethikbeugung kann man eben nicht durch Googlen herausbekommen, eben weil die Abschlussarbeiten unter Verschluss stehen.
Es steht also zu befürchten, dass es nicht nur primäres Kopieren gibt, sondern auch Sekundärliteratur. Solche Sekundärliteratur zitiert Stellen aus berühmten Primärbüchern und kommentiert sie durch Einfügen von Stellen aus Examensarbeiten. Wie kann man diesem Treiben auf die Schliche kommen, ohne die weggestellten Examensarbeiten lesen zu dürfen? Warum melden sich die ausgebeuteten Examenskandidaten genauso wenig wie Opfer von Taten, die durch DNA-Analysen aufgedeckt werden könnten?

Die Staatsanwaltschaft schickt jetzt eine Anti-Copy-Truppe in die Professorenwohnungen, habe ich gehört. Es ist kaum zu glauben! Die Polizei ahmt das Vorbild der unangekündigten Doping-Kontrollen im Sport nach und befragt die zu Hause angetroffenen Forscher völlig überraschend, was in den Büchern steht, die sie veröffentlich haben. Viele Wissenschaftler reagierten völlig verdattert, als sie etwas zum Inhalt ihrer eigenen Sekundärliteratur sagen sollten. Manche riefen sofort kläglich nach ihren Assistenten. Polizisten berichten von hochnotpeinlichen Szenen. Die ersten Boulevard-Zeitungen kümmern sich um das Einsammeln von Examensarbeiten über die einstigen Studenten. Die Front der Wissenschaftler hält heute noch. Es ist natürlich klar, dass es sich nur um einzelne schwarze Schafe der Zunft handeln kann. „Diese gibt es vereinzelt in der Wissenschaft wie auch im Radsport!“ Wir dürfen auf den Augenblick gespannt sein, wenn die Staatsanwaltschaften ihr Schweigen brechen. Noch brüten sie über den ersten Daten wie über einer Steuersünder-CD.

Ich schreibe gerade an einem Buch in der Sonne. Ich kann mit Funkstick überall arbeiten, wo es Google gibt. Vorhin klingelte es. Ich hatte aber nichts bei Amazon bestellt! Ich zuckte zusammen. Ist es die Anti-Copy-Polizei? Ich stellte mir vor, sie warteten draußen mit einem Ausweis. „Wir sind die neuen Anti-Cops. Hier, unsere Dienstmedaille. Bitte schildern Sie schnell den Inhalt Ihres ersten Buches Wild Duck.“ Auwei, kann ich das? Ich glaube, ich lasse mir Zusammenfassungen auf Zettel schreiben, die spreche ich auf mein Handy. Dann antworte ich nur mit einem Knopf im Ohr.

Gunter Dueck

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