Die Bastille, das Westfernsehen und Facebook (Daily Dueck 134, Februar 2011)

Die Französische Revolution begann mit dem Sturm auf die Bastille. Das Volk konnte den Kontrast des adligen Lebens mit dem eigenen nicht ertragen. Immer dann versammeln sich die Massen, aufgepeitscht durch ideale Ideen. Der reine Geist und die brutale Wut brechen sich gemeinsam eine Bahn. Die Machthaber müssen beide bekämpfen. Die Ideen werden verhaftet und die versammelte Wut in den Straßen wird zerstreut und nach Hause geschickt. Was tut man aber gegen Facebook?

Die Zeit 2.0 zieht ein. Das Internet bewirkt etwas wie der Buchdruck im 15. Jahrhundert, aber viel schneller. Es dauerte über dreihundert Jahre vom Buchdruck bis zum Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789, das Datum des Nationalfeiertages in Frankreich. Der Buchdruck begünstigte eine von Italien ausgehende „Wiedergeburt aus dem dunklen Mittelalter“ oder die Renaissance, dann eine Reformation im Zuge von Luthers Thesen. Die Gegenreformation löste den 30jährigen Krieg aus, der Deutschland verwüstete. Unter anderem Lessing in Deutschland und vor allem Voltaire in …Frankreich (nicht wirklich, er lebte auch in den Niederlanden, in Deutschland, England und der Schweiz und schrieb auch selbst in Italienisch) trieben die Aufklärung voran, die zu einem wichtigen Wegbereiter der Französischen Revolution wurde. Voltaire starb 1778, Lessing 1781…
Es dauerte für unsere heutigen Verhältnisse schrecklich lange, bis sich neue Ideen Bahn brachen und dann oft in blutigen Revolutionen niederschlugen, die nicht selten die auslösenden Ideen mit in den Abgrund zogen.
Die neuen Medien beschleunigen diese Entwicklungen. Zur Zeit des Kalten Krieges nach dem zweiten Weltkrieg wurden ganze Propagandaschlachten über das Radio ausgetragen. Deren Wirkung war noch ganz beschränkt durch die sprachlichen Einschränkungen aller Seiten – Englisch verstand ja kaum jemand. Wir Westkinder schauten uns damals das viele nettere Ostsandmännchen an (jetzt, wo ich dies schreibe, summe ich wieder diese wundervolle Melodie und denke an den glitzernden Sand). Meine Eltern ließen sich jede Woche einmal schwer durch den Schwarzen Kanal provozieren, und im Osten empfingen die Menschen Bilder aus dem Westen und bekamen einen Eindruck vom Wohlstand durch Werbefernsehen und anderem. Das gegenseitige Fernsehen hielt zusammen, was zusammengehörte und dann im Zuge der Wende wieder zusammenkam und seitdem langsam zusammenwächst.

Jetzt aber haben wir das Internet, das mit seinen globalen Freiheitsideen das Absolutistische und Machtbeharrende, das Unterdrückende und Ausbeutende unaufhörlich reizt, ärgert und langsam zermürbt. Die Ideen einer neuen Aufklärung nisten sich überall ein. Die Smartphonejugend der Welt versteht die herrschenden Strukturen nicht mehr und will eine Zeit 2.0.
Das Volk muss gar nicht mehr auf die Straße gehen. Es blogt und twittert. Der Aufmarsch in Kairo ist nur noch das sichtbare Ende einer Bewusstseinsentwicklung.
Die Machthaber konnten früher die Intellektuellen einsperren, verbrennen oder verbannen. Sie konnten die Plätze leer schießen. Was aber tun sie gegen WikiLeaks, Facebook & Co? Das Internet abschalten, das gleichzeitig das wichtigste Herzstück der Ökonomie darstellt? Wie könnte eine Gegenreformation aussehen? Wird es gleich hell und bleibt hell? Oder wird es Internetkriege geben? Wie könnten die aussehen?
Immer noch zerstreuen 1.0 Soldaten die Massen mit Gewalt. Sie verhängen Ausgehverbot. Sie drohen mit Arbeitsplatzverlust. Sie verbrennen die Bücher. Aber sie haben gar keine Waffen in World 2.0, oder? Hey, das haben die Machthabenden vergessen! Es gibt kein Internetausgehverbot! Keine virtuellen Schüsse! Lasst uns die Zeit nutzen. Für eine Aufklärung 2.0, ja, genau.

Gunter Dueck

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