Alternativlos? Alternativblind! (Daily Dueck 133, Januar 2011)

Nun ist es heraus: Das Wort „alternativlos“ ist zum Unwort des Jahres gewählt worden. Angela Merkel hat es prominent benutzt. Die Griechenlandhilfe ist alternativlos! Der Euro wohl auch, der Stuttgarter Bahnhof sowieso. Und Guido Westerwelle, glaube ich.

Man versinkt im Sumpf und muss wieder heraus. Das ist alternativlos. Aber der Sumpf an sich eigentlich nicht, oder? Alternativlos ist wohl das neue Wort für Sachzwang, was sich zu stark abgenutzt hat. Es erklärt ebenfalls die Ohnmacht in einer bestimmten Situation. Das Wort Weiterwursteln passt dazu, wenn man resignativ veranlagt ist. Noch nicht ganz Abgebrannte neigen zu Aktionismus. „Hauptsache, wir tun etwas, das ist besser als nichts. Es nützt natürlich nichts, dafür tun wir aber viel mehr als andere.“ Mein Lieblingscartoon zeigt Leute in meinem Alter am Konferenztisch: „With amused resignation, they ever implement things they know will fail.“ Das Leben ist alternativlos, nicht wahr?

„Lasst uns Angeln auswerfen, damit wir Fische fangen und nicht übermorgen verhungern!“, ruft ein Schiffbrüchiger auf dem einsamen Rettungsboot, aber alle anderen sagen: „Wir schöpfen verzweifelt Wasser aus dem Boot, damit wir nicht heute schon ertrinken.“ Und Blondmodel „Nerv-Natter“ BILD-Hassliebchen Sarah aus dem Dschungelcamp würde Sturzbäche weinen, weil sie nun auf jeden Fall sterben muss: Sie mag nämlich keinen rohen Fisch.

Eine Alternativlosigkeit wie im Rettungsboot ist eher selten. Wir erzürnen über selbsthalluzinierte Einbahnstraßen. „Wir müssen den Betrieb kaputtsparen, weil wir sonst unser Gewinnziel aufgeben müssten.“ – „Wir können den Staat nicht sanieren, weil wir sonst nicht gewählt werden.“ – „Systeme sind nun einmal komplex, sie können nicht immer funktionieren.“ – „Wir haben Angst, den Partei-Chef zu kritisieren, dann wählt er uns noch heute ab. Lieber lassen wir uns übermorgen alle zusammen abwählen, das ist sicherer.“
Eine Halluzination ist eine sinnliche Wahrnehmung von etwas, was durch keine normale physikalische Reizgrundlage erzeugt wird. In vielen Fällen gehört das Empfinden der Alternativlosigkeit in diesen Bereich, oder?
Aber eigentlich ist es Alternativblindheit! Die Idee des Shareholder-Value, des eigenwillenundmeinungsbefreiten Parteisoldaten, der erhabenen Systemkomplexität trübt uns die Augen. Die Idee der eigenen Beschränktheit lässt uns für andere Alternativen erblinden. Out of he Box! Über den Tellerrand hinaus!
Leider ist in ganz vielen Fällen die Alternative zu einem Alternativlosen, zu einem alternativlosen Unternehmen oder einem alternativlosen Land ein Neuer, ein innovatives Unternehmen oder ein aufstrebendes Land. Dafür aber sind wir Alternativlosen ganz und gar blind.

Gunter Dueck

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