Links im Sinnraum
Eris und Menschenbeurteilungsangst (Daily Dueck 126, Oktber 2010)
Ungeniert Befehle erteilen und ohne Scheu Urteile abgeben, die Schmerzensschreie hervorrufen – das ist viel weniger Menschen gegeben als fast alle von uns glauben. Tatsächlich haben die meisten Chefs Angst, ihre Mitarbeiter zu beurteilen und ihnen das Urteil zu erklären. Sie müssen dazu nämlich verletzten Seelen in die Augen schauen. Könnte doch eine Maschine nach Zahlen entscheiden! Und der Manager nur noch managen müssen!
Eris, die Göttin der Zwietracht, kleingeschrumpelt und hinkend,
warf zornig als natürlich Nichteingeladene einen Apfel mit der
Aufschrift „Der Schönsten“ unter die Hochzeitsfeier
der Götter. Zeus sollte urteilen, ob Hera, Aphrodite oder Pallas
Athene der „Zankapfel“ überreicht werden sollte.
Das wollte er lieber nicht, er war ja nicht dumm. Schon ein normaler
Ehemann hat ein Problem, die Fragen der Gattin zu beantworten: „Das
Kleid ist schön, aber irgendwie gewagt und vielleicht zu schrill.
Sag mal deine ehrliche Meinung, ob ich gut aussehe.“ Wer unter
solchen Umständen urteilen muss, verliert bei jeder Antwort.
Das ist bei Mitarbeiterbeurteilungen meistens auch so – oder
schwungvoll deutlich: immer so. Ich erkläre es. Ich habe einmal
vor 20 Mitarbeitern erklärt, dass ich ein Budget habe, zweien
von ihnen eine sehr deutliche Gehaltserhöhung zu geben. Ich kündigte
an, jedem der Mitarbeiter getrennt unter vier Augen zwei Fragen vorzulegen:
„Verdienen Sie es selbst, zu den Zweien zugehören? Wenn
Sie außer sich selbst den besten Mitarbeiter aussuchen dürften,
wer wäre das?“
Siebzehn der Mitarbeiter fanden, sie seien unter den besten zweien.
Wiederum siebzehn Mitarbeiter nannten als sonstig Besten genau denselben
Namen, den ich auch gewählt hätte.
So ist das.
Jeder von uns kann hell sehen, nur nicht im Spiegel.
Und weil das so ist, teile ich als Manager bei jeder beliebigen Entscheidung
in dieser Sache bitteres Unrecht aus. Ich bin so ungerecht wie Paris.
Nicht, weil meine Entscheidung falsch ist, sondern weil sie auf jeden
Fall von den meisten als falsch empfunden wird. Jeder, der eine schlechte
Bewertung erhält, ist gekränkt! Deshalb sind die gängigen
Bewertungssysteme ein Werk der Göttin Eris.
Man entscheidet ja nicht, welcher Mitarbeiter gut ist – das
ginge noch an. Man entscheidet, wer der Beste ist. Das ist der Zankapfel
in der wahrsten olympischen Form.
Weil sich die Göttinnen sehr schön finden und die Mitarbeiter
so gut, hat ein Chef einfach so viel Angst vor dem Beurteilen, dass
er taktiert. Die meisten Manager sind so gnadenlos feige, dass sie
den Spielraum nach oben so gut ausnutzen wie es geht. Sie würden
jeden Mitarbeiter zum Helden der Arbeit erklären, wenn es das
Lohnerhöhungsbudget hergäbe. Zurzeit werden im öffentlichen
Dienst neue Beurteilungssysteme eingeführt. Ich beobachte sarkastisch,
wie sie Gerechtigkeit verteilen wollen, aber eigentlich Zankäpfel
werfen. Man bekommt in ein paar Sparten jetzt Punkte, im Durchschnitt
insgesamt 15 und maximal 25.
Schwupps, alle sind 25! Das darf nicht sein, weil dann alle schöne
Gehaltserhöhungen bekämen. Damit sich das System vor der
Feigheit der Chefs schützt, verlangt es nun zusätzlich,
dass der Durchschnitt über alle Mitarbeiter 15 ist. Schwupps,
und alle Chefs geben allen Mitarbeitern 15 Punkte. Und wieder muss
das System der Feigheit der Chefs vorbauen. Es verlangt nun, dass
eine sinnvolle Spreizung bei den Bewertungen vorgenommen wird. Nun
wird es ernst. Jetzt stehen die Chefs am Pranger! Schwupps, geben
sie denjenigen Mitarbeitern die schlechten Punktzahlen, die gutmütig
oder gleichmütig sind, und denjenigen, die sich nach heftigstem
Ärger schnell wieder beruhigen und sofort wieder gut arbeiten.
Ältere, die es gewohnt sind, bieten sich an, und auch oft Frauen,
die nicht protestieren – sie protestieren durchaus in ihren
Gesichtsmienen, aber zu wenig deutlich. Sie ärgern sich heimlich
schwarz, wenn Mitarbeiter, die bei schlechten Bewertungen sofort offen
randalieren, vielfach ganz gut weg kommen. Würden Sie sich denn
trauen, etwa Stefan Effenberg nach ein paar torlosen Spielen eine
Gehaltssenkung zu verkünden? Der zeigt es Ihnen!
Das ist die Menschenbeurteilungsangst des Chefs.
Er will nicht, was das Unternehmen will. Der Wille des Unternehmens
ist der Wille des Managements in seiner Gesamtheit. Das will diese
Beurteilungen unbedingt. Aber die einzelnen Manager wollen sie nicht
physikalisch Auge in Auge abgeben.
Haben Sie gemerkt, was ich sagen will? Das Management ist Eris und Zeus zugleich, es will eine Entscheidung, sie aber nicht selbst Auge in Auge treffen. Am Ende kommt Krieg heraus. Das Bewertungssystem des Zankapfels löst dann einen Krieg aus und erinnert mich an so etwas wie ein trojanisches Pferd für das Unternehmen.
Bewertungssysteme sind erdacht worden, damit sie zu höheren
Gewinnen führen. Na gut, aber niemand hat sich Gedanken gemacht,
dass das Führen damit viel schwieriger ist. Niemand sieht, dass
der Chef nun mutig und weise sein muss, emotional intelligent und
integer.
Wer also solche neuen Systeme einführt wie der öffentliche
Dienst und andere, muss sich deshalb auch um bessere Chefs kümmern.
Wer diese Systeme ohne diese Maßnahme schon eingeführt
hat, merkt den Mangel ja schon lange.