Links im Sinnraum
Unausgesprochene Entlassung (Daily Dueck 123, September 2010)
„Unsere Familie ist zerrüttet. Wir streiten den ganzen Tag. Papa hat uns nicht mehr lieb. Er hat Probleme bei der Arbeit. Er verdient nicht mehr genug. Ich weiß ganz genau, dass er darauf wartet, dass ich endlich ausziehe. Aber ich kann es mir nicht leisten. Ich muss dableiben. Ich verdiene auch nicht genug. Es frisst in mir. Er sagt jetzt öfter ärgerlich, ich fräße mich durch.“
Viele Unternehmen ächzen unter Problemen der Weltwirtschaftskrise.
Alle anderen stöhnen, weil sie sich aus dem modernen Prinzip
heraus, nie zufrieden sein zu wollen, zu hohe Gewinnziele gesteckt
haben. Wären die erreichbar, so wären sie zu niedrig gewesen!
Mit der Anklage, es fehle noch an Gewinn, lässt sich mehr Druck
machen als mit „Wir übererfüllen, wir können
noch mehr machen! Überstunden! Das wird der reine Wahnsinn!“
Wer vor zu hohen Zielen steht, fühlt den Druck. Er sucht nach
einem Ausweg. Die Kunden kaufen nicht mehr. Neukundengewinnung würde
hohe Marketingausgaben verschlingen. Neue Produkte würden hohe
Entwicklungskosten erfordern. Es bleibt eigentlich nur der Druck auf
Mitarbeiter, wieder einmal 10 Prozent länger zu arbeiten und
dann 10 Prozent im gleichen Zuge zu entlassen. Leider kann man nicht
so ohne weiteres entlassen. Ach, wie schön wäre es, wenn
jetzt die 10 Prozent schlechtesten Mitarbeiter oder auch die guten,
die gerade kein Projekt haben, einfach freiwillig ohne Abfindung kündigen
würden! Das gäbe Gewinn! Damit würden die Ziele immer
noch nicht erreicht, aber es wäre immerhin ein Tropfen auf den
heißen Stein.
Das Unternehmen benimmt sich wegen der zu hohen Ziele wie in einer Notsituation. Es mag die Mitarbeiter nicht mehr. Es wartet, dass die Mitarbeiter von selbst kündigen. Aber die können es sich nicht leisten. Das frisst an ihnen. Jede Klage eines Managers, die Ziele seien nicht erreicht, klingt wie: „Das Unternehmen hat dich nicht lieb.“ Da lassen die Mitarbeiter die Köpfe hängen und trauern. Sie arbeiten unter Unliebe trostlos weiter und tun immer mehr nur noch genau das, was ihnen gesagt wird. Sie passen sich der Herde an.
Da kommt das Gallup Institute und misst den Gallup-Engagement-Index.
Der fällt über die Jahre. Auf die Frage: „Haben Sie
eine emotionale Bindung an Ihr Unternehmen?“ antworten immer
weniger Arbeitnehmer mit „Hoch!“, zuletzt waren es 13
Prozent (2008).
Niemand fragt, warum das so ist! Das muss nicht gefragt werden, es
ist ja allen ganz klar. Die Masse der Mitarbeiter hat nämlich
innerlich gekündigt, weil die impliziten psychologischen Annahmen,
unter denen sie aus ihrer Sicht eigentlich arbeiten, aus ihrer Sicht
nicht mehr zutreffen. Das Unternehmen hat sie nicht mehr lieb. Es
will, dass sie kündigen. Aber sie verdienen zu wenig. Sie können
es sich nicht leisten, das Unternehmen zu verlassen.
Warum aber sehen wir die Sache immer nur vom Arbeitnehmer aus? Warum
sprechen wir alle wie selbstverständlich von einer inneren Kündigung,
wobei wir dem Arbeitnehmer doch irgendwie ein unberechtigtes Verbleiben
in einer für ihn ungeliebten, aber doch lukrativen Schmarotzerposition
unterstellen?
Warum sehen wir nicht, dass die Unternehmen gleichsam zähneknirschend
die Entlassung nicht aussprechen, aber nicht verhehlen können,
dass ihnen so viele Mitarbeiter einfach auf den Profitmagen schlagen?
Es ist doch eigentlich der Frust der Mitarbeiter, dass das Unternehmen
sie nicht mehr mag. Und dadurch, nicht andersherum, ist die emotionale
Bindung zerstört. Die Mitarbeiter lieben ihr Unternehmen natürlich
immer noch! Aber das fragt Gallup nicht. Und Sie als Wirtschaftsnachrichtenkonsument
übernehmen jetzt alle aus der Zeitung eine Art Unternehmersicht,
oder? Sie schauen sich um und sehen tatsächlich in jedem Flur
Leute, die wie innerlich gekündigt aussehen. Die schaden doch
Ihrer geliebten Firma so sehr! Für die müssen Sie höchstpersönlich
Wiederrausholarbeit leisten! Weg müssen die da! Alle! Und dann
seufzen Sie, dass Ihr Unternehmen Sie selbst irgendwie auch nicht
mehr mag. Die Iirren da oben! Die denken, Sie hätten innerlich
gekündigt!