Links im Sinnraum
Über das Triumphgeschrei der Graugänse und Vuvuzelas bei Kickoffs (Daily Dueck 122, August 2010)
Beim Fußballspielen stören die Vuvuzelas sehr, aber das Publikum heizt sich beim Tröten selbst auf und begeistert sich am Rausch des Lauten. Schlechte Mannschaften können dabei stark vom Lärm profitieren, weil man ganz sicher auch bei Lärm schlecht spielen kann – aber gut vielleicht nicht?! Je nach Fußballkunst oder Spielstärke des Landes werden nun Vuvuzelas empfohlen oder verboten. Vuvuzelas werden also am besten dann eingesetzt, wenn schlechte Performance dennoch das Publikum in einen Verzückungstaumel versetzen soll, oder?
Natürlich haben Sie jetzt sofort dieselbe geniale Idee wie ich,
Vuvuzelas in normal gängigen Farben (gelb, grün, rot, schwarz)
im Bundestag zu verteilen, weil dann bei den Reden wenigstens einmal
ein Ruck durch Deutschland geht.
Bevor ich zu ätzend werde, muss ich ganz schnell noch eine Anekdote
loswerden. Als ich nach meiner Zeit als Mathe-Prof das erste Jahr
in der Wirtschaft zu arbeiten begann, hatte die Firma gleich zu Beginn
ein Kickoff. Ich wusste zu dieser Zeit echt nicht, was das ist. Sie
wissen es vielleicht schon? Es ist der Anstoß zu einem American
Football oder Rugby Spiel. Das sind diese rauen, ziemlich brutalen
Auseinandersetzungen von harten Männern, bei denen beförderungssüchtige
Ellenbogenschubser mit Ehrgeizmaske im Management ganz alt aussehen.
Diese Bezeichnung hat sich nun im Laufe der Jahre bei uns als Vorstellung
eines blitzartigen Starts eines neuen Projektes oder Geschäftsjahres
eingebürgert. Achtung, fertig, und sofort drauf! Man hätte
auch aus dem normalen Fußball das Wort Anpfiff nehmen können,
aber der ist bei Projekten im Zeitplan am Ende.
Ach, ich schweife ab, ich meine nur: Das alles wusste ich damals nicht!
An der Uni gibt es wohl keinen Kickoff, weil man vor einem wissenschaftlichen
Projekt erst einmal das Thema verstehen muss – und dann duselt
man so langsam in das Arbeiten hinein. Bei Projekten oder Geschäftsjahren
spielt das Verstehen des Themas nicht so eine große Rolle, oder
es geht schneller, etwa durch einen Conference Call. Jedenfalls kannte
ich „Kickoff“ nicht.
Da nahm mich ein älterer Kollege beiseite, einer so alt wie
ich jetzt, und erklärte es mir anhand der Erforschungen der Graugänse,
die damals durch Konrad Lorenz große Fortschritte machten. „Herr
Dueck, Graugänse haben natürliche Feinde, zum Beispiel die
Füchse. Eine einzige Graugans ist einem Fuchs möglicherweise
unterlegen. Aber Füchse jagen bekanntlich allein und Gänse
leben oft in Scharen. Wenn die Gänse dann einen Fuchs herannahen
sehen, recken sie in geschlossener Front die Hälse schräg
in die Richtung des Fuchses und schlagen dabei heftig in einer geschlossenen
Phalanx mit den Flügeln und schreien erbärmlich laut. Das
tun sie heute wie damals 387 v. Chr. auf dem Kapitol, als sie die
Römer vor dem Nahen der Gallier warnten.
Wenn aber die Feinde wegen des penetranten Geschnatters weggelaufen
sind, also entweder die Füchse oder die Gallier, dann stellen
sich die Gänse noch einmal in Phalanx auf, flatterten heftig
und schreien mit befreiter Lunge noch viel, viel lauter. Das ist das
so genannte Triumphgeschrei der Graugänse. So, und jetzt komme
ich endlich zum Punkt, Herr Dueck: Manchmal kommt lange gar kein Feind
vorbei, dann ist es den Graugänsen einfach ohne einen Fuchs etwas
überdrüssig zu Mute. Dann stellen sie sich ebenfalls, diesmal
aus ganz grundloser Begeisterung, schräghalsig in den Wind und
schnattern so laut sie nur können. Das, Herr Dueck, ist ein Kickoff
– oder ein Parteitag, wenn Sie so wollen.“
Ja! Das ist es, was doch gebraucht wird! Grundlose Begeisterung!
Genau! Deshalb sagen die Graugänse auch immer, sie seien für
das folgende Jahr „gut aufgestellt“, wenn sie so schräg
dastehen und schnattern! Ich fordere die kostenlose Ausgabe von Vuvuzelas!
Das Publikum muss mitgehen!
Das Tröten stört auch gar nicht so sehr, weil in den Reden
der Politiker kaum noch leise oder gar feine Töne vorkommen.
Ich sage voraus, dass Parteitage und Kickoffs viel erfolgreicher als
je zuvor werden. Ich prophezeie, dass mit Vuvuzelas solche Veranstaltungen
so wundervolle Erlebnisse werden, dass viele Projekte oder Parteiprogramme
nur noch allein aus dem Kickoff bestehen werden, weil der Rest danach
ja stark abfällt, ich meine, das Umsetzen der Partei- oder Unternehmensbeschlüsse
zum Beispiel. Ich stelle mir eine Welt wie in einer Zeitschleife vor,
in der täglich Kickoff ist. „Und ewig grüßt
die Vuvuzela“.
Töröh!