Links im Sinnraum
Wanted - Prozessergonomie!
Menschen sind anders als Maschinen. Diese Verschiedenheit erzeugt naheliegende Probleme, die nach einfach gestricktem Denken auf zwei Arten lösbar sind: Die Maschinen werden an den Menschen angepasst. Mit dieser herausfordernden Möglichkeit befasst sich die so genannte Ergonomie, eine Art melancholisch-resignierte Wissenschaft. Oder man überantwortet den Menschen vollständig der Maschine, so dass dieser sich der Maschine anpasst. Da das der Mensch selbst tut, gibt es keine Wissenschaft dafür, nur die Praxis. (In Wirklichkeit ist diese Praxis ein schon laufender Ausleseprozess Darwinscher Evolution, wenn man Maschinen als Lebewesen akzeptiert und damit das Problem erstmals erkennt.) Das Maschinenproblem tritt aber auch woanders auf, bei Geschäftsprozessen.
Ich glaube kaum, dass es viele Menschen gibt, die nicht über die Unverständlichkeit und Schwerfälligkeit von Geschäftsprozessen klagen. Seit Jahrhunderten schimpft man schon auf die endlose Bürokratie, die die meiste Zeit noch gar nichts mit Computern oder Maschinen zu tun hatte. Daher liegt das Schreckliche der Geschäftsprozesse auch nicht in den vermeintlich dafür verantwortlichen Maschinen, sondern im Menschen selbst. Wenn neue Geschäftsprozesse eingeführt werden, hadern wir oft und seufzen: „Wer zum Teufel hat sich das ausgedacht?“ Es war aber kein Teufel.
Die Konstrukteure der Maschinen haben ihre liebe Mühe damit, dass die Maschinen überhaupt funktionieren und dann billig herstellbar sind. Warum noch auf Bedienbarkeit achten? Hinweise, dass Ausnahmen wie iPhones nicht technologisch überzüchtet und auch nicht billig sind – sondern vor allem bedienbar, werden allgemein verdrängt. Ergonomen werden sich daher wie Prediger in der Wüste fühlen, oder sie sind Professor, bilden ein paar mehr Ergonomen aus und halten das für einen Erfolg.
Verglichen mit der Situation bei der Maschinenkonstruktion ist es bei Geschäftsprozessen viel schwieriger. Sie müssen ebenfalls überhaupt einmal funktionieren und effizient sein. Aber sie sind dafür gedacht, dass man sich genau an sie hält, dass man also das, was durch die Geschäftsprozesse im Ergebnis herauskommen soll, keinesfalls auf eine andere Art erzielen DARF. Damit das erreicht wird, müssen die Prozesse hoheitlich und heilig wie Rituale wirken, die man ja fast gar nicht verstehen soll – haben Sie genug schwarzen Humor, ein bisschden über das Religiöse der Menschenmaschinisierung nachzudenken? Da man die Ergebnisse nur in der befohlenen Art entlang des Prozesses erzielen darf, wird allgemein eine Kontrolle als notwendig gesehen, die darauf achtet, dass niemand die Ergebnisse „am Prozess vorbei“ erzielt. Da die Prozessdesigner meist auch die Kontrolleure sind, versuchen sie in erster Linie, das Kontrollieren einfach zu gestalten, nicht so sehr die Erzielung von Ergebnissen. Dadurch wird der Prozess für die Benutzer meist ineffizient. Das hat zur Folge, dass nicht nur Kriminelle, sondern auch diejenigen Leute die Prozesse umgehen, die nur gut arbeiten wollen. Die werden beim Design der Prozesse leider nicht genügend in Betracht gezogen – man fürchtet nur Kriminelle. Weil nun zusätzlich diese Gruppe der brav Arbeitenden, auch wenn sie noch so klein ist, die Prozesse umgeht, werden die Kontrollen wiederum schärfer, was den Prozess noch ineffizienter macht, die Braven vollends verärgert und insgesamt die Zahl der Übeltäter anhebt. Deshalb werden die Prozesse wieder und wieder „verbessert“ und dadurch ständig schlechter. Alle, Übeltäter oder nicht, müssen nun unterschreiben, sich an die ineffizienten Prozesse zu halten und Kurse mitzumachen, die der Ritualisierung und Verheiligung dienen …
Ein Beispiel: Denken wir uns an die Front in Afghanistan. Ein Attentäter
hat eine Bombe in der Hand und sucht in der Hosentasche nach einem
Streichholz. Ein Soldat bemerkt den Terroristen. Den muss er jetzt
über Funk in einem System anmelden, damit ein neuer Geschäftsvorgang
in der Datenbank angelegt wird. Dieser Vorgang bekommt eine 20-stellige
Ordnungsnummer, die sich der Soldat für Rückfragen notiert.
Jetzt wird er über Funk per Crosscheck gefragt, woran er denn
sicher Terroristen erkennt. Es müssen mindestens acht von zehn
Kriterien positiv identifiziert werden, sonst darf er nicht schießen
…
Haben Sie ein bisschen Phantasie für mögliche weitere Verläufe?
Was passiert, wenn dieser Prozess zu einem unbefriedigenden Ergebnis
führt? „Sie haben auf eine Bombenattrappe geschossen und
den Tod Unschuldiger in Kauf genommen. Eine der Fragen vom Terror-Detect-Sys
lautete: Ist die Bombe echt? Da haben Sie mit ja geantwortet. Sie
müssen doch die Wahrheit sagen.“ Oder: „Sie wollten
unbedingt aus Angst schnell schießen, also haben sie in Hektik
einfach zehnmal ohne Nachdenken mit ja geantwortet.“ Oder: „Wir
ehren diesen tapferen Mann als einen, der sich standhaft an alle Vorschriften
gehalten hat.“
So ein Beispiel ist grenzwertig, ich weiß, aber Sie sehen daran, wie schwer es ist, durch Geschäftsprozesse den einzigen möglichen Weg zu definieren, der dann immer zu einem guten Resultat führen muss. Geschäftsprozesse hassen die Vorstellung, dass viele Wege nach Rom führen.
Es geht aber nicht an, dass allein aus zwanghafter Prozessoritis
dem Menschen (das ginge noch hin?!) und vor allem den Arbeitsergebnissen
der Prozess gemacht wird!
Ich fordere, so hoffnungslos es sein mag, eine neue Bewegung der Prozessergonomie
für uns „Bediener“ der Prozesse! Beim Design muss
die mühelose Ergebniserzielung im Vordergrund stehen, nicht die
leichte Kontrollierbarkeit! Ist das nicht klar? Das ist doch sonnenklar,
vor allem deshalb, weil die Bediener der Prozesse gegenüber den
Kontrolleuren in der Mehrzahl sind! Ja, deswegen!
Klar … Oder täusche ich mich?