Links im Sinnraum
Abschreckende Wirkung von Kursen – und von Logik erster Ordnung (Oktober 2009)
Fast jeden Tag lese ich Artikel, in denen nur „Wenn-Dann-Logik-erster-Ordnung“ vorkommt – ja – und letztlich Unsinn propagiert wird. Am 9.9.2009 titelt das Handelsblatt einen Artikel der Serie Wissenschaft & Debatte mit „Abschreckende Wirkung“, Untertitel: „Entrepreneurship-Kurse sollen Lust auf Selbstständigkeit machen. Doch sie bewirken womöglich das Gegenteil.“ Was ist passiert?
Es wird viel Geld ausgegeben, Entrepreneurship an Hochschulen und
anderswo zu lehren. Wir wollen ja viele Jungunternehmer für das
neue Land. Zig Millionen fließen in Kurse und über zwei
Dutzend neue Lehrstühle. Alles richtig soweit, aber jetzt kommt
wieder so eine Studie mit einem „spektakulären Ergebnis“:
Die Teilnahme an Kursen SENKT die Lust, sich selbstständig zu
machen. Über dieses Ergebnis sind die niederländischen Autoren
der Studie selbst überrascht – sie wollten ja herausfinden,
wie sehr die Lust steigt, nicht sinkt. Das niederländische Ministerium
zeigte sich „geschockt“ angesichts der beträchtlichen
staatlichen Förderung. Und das Handelsblatt traut dieser Studie
das Potenzial zu, die gesamte „Entrepreneurship-Education“
in ihren Grundfesten zu erschüttern. Und dann werden etliche
Fachleute mit Vorschlägen zitiert, solche Lehrgänge vielleicht
erst für die Zeit nach der Uni anzubieten. Andere Experten versuchen
die Ergebnisse zu relativieren, weil ja nur die Gründungsabsicht
vor und nach dem Kurs abgefragt wurde – und man weiß ja
nie, was später passiert, wofür man aber keine Daten hat!
Noch andere finden, dass so etwas wie Bilanzanalysen sowieso verschrecken
und wieder andere, der Unterricht müsste verbessert werden –
dann werde alles gut. Zudem gibt es auch die Meinung, dass die Fragen
zum falschen Zeitpunkt gestellt wurden.
Nur die Wuppertaler Professorin Christine Volkmann vermutet, dass
die Studenten einfach durch die Kurse realistischer werden und Risiken
besser verstehen.
Ich habe das zuhause vorgelesen – dass die Kurse vermeintlich schaden. Antwort: „Na, klar! Sie merken, dass es mit dem Reichwerden nicht so einfach ist und lassen es lieber!“ Ich erinnerte mich, dass ich selbst vorab bei der IBM Entrepreneurschulung gefragt wurde: „Sind Sie bereit, alles Herzblut, alle Energie, all Ihr Geld und alle Zeit zu opfern und Klagen der Familie auszuhalten? Sind Sie wirklich bereit?“
Noch ist nichts verloren, dachte ich, wenn man das auch ohne Studie
sieht. In vielen Studiengängen, etwa bei Mathematik, Informatik,
Ingenieurwissenschaften etc. ändern um die HÄLFTE der Studenten
nach einem Semester ihre Lebenspläne. Sie schaffen es nicht,
oder sie sehen, dass dieses Studium doch nicht ihr ersehntes Zwischenziel
ist oder finden ein besseres Studienfach.
Ich warte jetzt auf eine Studie, die die schädliche Auswirkung
des ersten Studiensemesters an Universitäten in so gut wie allen
Fächern feststellt und empfiehlt, alle Studiengänge konsequent
mit dem zweiten Semester zu beginnen, weil dieser Schadenseffekt dort
nicht mehr eintritt.
Ich sehe auch im Fernsehen, dass sich dort so etwa 10.000 lausige
Möchtegernstars bei Dieter Bohlen in endlos qualvollen Vorrunden
filmreif lächerlich machen. Ich warte auf eine Studie, die belegt,
dass Leute, die sich von einer Jury haben begutachten lassen, hinterher
viel weniger Lust haben, ein Star zu werden.
Sarkasmus beiseite: Warum sind so viele Stellen über solch eine Studie „geschockt“ und sehen diesen einfachen Punkt nicht? Warum nur Prof. Volkmann? Warum sind die Initiatoren der Studie überrascht? Hat noch nie jemand „drum prüfe, wer sich ewig bindet“ vernommen? Stellen Sie sich einmal vor, dass alle, die bei Dieter Bohlen vorsingen, dann auch Verträge bekommen und im Radio singen! Stellen Sie sich vor, alle würden ein Unternehmen gründen, die einen Kurs hinter sich haben. Damals, als jeder, der etwas auf sich hielt, im Internetboom schnell eine dot.com Firma gründete, war das wohl so. Da hatten die Kurse wohl keine abschreckende Wirkung, weil die Kurse ja am Anfang so stark stiegen – DAS hätte abschreckende Wirkung haben können! Ist aber vergessen. Und was wir am Handelsblatt-Artikel vielleicht nicht vergessen, ist der Titel: „Abschreckende Wirkung“. Das ist nicht OK! Das muss ich wohl noch sehr oft sagen: Die Leser schauen kurz drüber und merken sich Unsinn.
Und ich spekuliere, dass jemand, der die Lehrgänge bezahlt,
gerne wissen will, dass sein Geld gut angelegt sehen will. Naiv fragt
er, ob die Kurse wohl massenhaft Unternehmer hervorbringen. Das kann
er leider erst viel später wissen. Er will es aber sofort wissen
und fragt sich: „Ist der Unternehmergeist nach dem Lehrgang
gestiegen?“ und gibt eine Umfrage in Auftrag. Dann kommt das
schockierende Ergebnis, dass nämlich bis hierher kaum nachgedacht
worden ist?!