Links im Sinnraum
Platons grotesker Irrtum (Daily Dueck 10)
Die Welt blickt in die falsche Richtung. In das Dunkle von Platons Höhle. Sie orientiert sich an den Schatten, die im fahlen Lichte das ganze Abbild der Menschen und Dinge bilden. Warum drehen sich die Menschen nicht um? Sind sie angekettet? Ach Platon, du irrtest. An der Wurzel der Weltphilosophie ist etwas faul. Und alle Philosophen haben sich angesteckt.
Das Höhlengleichnis „geht nämlich in echt so“
(und für Platons originale falsche Version lesen Sie bitte schnell
noch DD9): In einer fast dunklen Höhle arbeiten Menschen. Sie
sind keineswegs angeket-tet, was Platon irgendwie falsch beobachtet
haben muss. Diese Anketterei gibt Platons Gleichnis auch einen ziemlich
künstlichen Anstrich. „Okaayy, - also gut,“ stöhnt
man beim Lesen von Platon. Also aus meiner Sicht: Sie sind nicht angekettet.
Allerdings – das stimmt – blicken sie beim Arbeiten stets
in die Tiefe der Höhle hinein, eben in die falsche Richtung auf
das größere Dunkel hin. Sie sind an diese Lebensweise gut
gewöhnt. Sie können sich gegenseitig an den Schatten erkennen,
die sie weiter in das Höhleninnere werfen. Fast niemals aber
sehen sie – wie schon gesagt – in die Richtung des hel-leren
Höhleneingangs! Das tun sie nur sehr selten und stets ganz verstohlen
und heimlich.
Wirklich nur ausnahmsweise – es geschieht schlimmstenfalls alle
paar Jahre, und manche können sich kaum an den letzten Fall erinnern
– wagen es Einzelne, zum Höhleneingang zu gehen. Vielleicht
haben diese nicht richtig aufgepasst, Warnungen in den Wind geschlagen
oder nur eine dumme Mutprobe zum Besten geben wollen? Die meisten
Menschen in der Höhle trauen sich kaum, sich jemals in ihrem
Leben auch nur einmal umzudrehen. Wenn sich tatsächlich jemand
dem Höhleneingang nähert, schauen sie peinlich und voller
Angst konzentriert nicht hin und sehen angestrengt ins Dunkle. Man-che
rufen dabei flehentlich bittend mit geschlossenen Augen dem Frevelnden
zu, er möge doch umkehren.
Viele Unvorsichtige sind noch im letzten Augenblick zurückgekommen.
Ganz wenige haben die Höhle verlassen und blieben immer verschwunden,
so wie Tote verschwinden.
Alle, die je etwas von diesen Vorgängen gesehen haben, finden
dafür keine Worte in der Sprache des Schattens.
Sie sagen in hilfloser Gestik, sie hätten den sich hinaus Wagenden
unter trübem Lichte gesehen: zottelig, faltig, verzerrt, schmutzig,
angestrengt, voller Schweiß und Grimm, in schrecklicher Angst.
Dieje-nigen, die hinschauten, flüstern oft schadenfroh und giftig
über den, den sie sahen: „Vielleicht ist das sein wahres
Gesicht? Ist das seine wahre Natur? Ist er ein böses Tier?“
Und es gibt solche, die nicht selbst zurückschauten, aber nur
ein bisschen wagten, zur Seite zu sehen, um die Gesichter derer zu
beobachten, die das Gesicht aus Neugier ganz umgedreht hatten. Und
sie berichten, auch auf diese umgedrehten Menschen sei Licht gefallen,
auch diese seien hässlich, faltig, unmenschlich – wie Bestien
erschienen.
Insgeheim wissen sie alle um ihr hässliches Wesen. Wer sich aber
umschaut, gibt sich dem Lichte preis und macht sich anderen sichtbar.
Wer weiter zum Höhleneingang geht, sieht sich gar im Hellen selbst
und kehrt fast immer in heller Angst wieder zurück. Wer je zurückkam,
redet nie mehr ein Wort. Er hat sein wahres Gesicht gesehen. Deshalb
verbergen sie sich alle und lieben schwarze, einheitliche Schatten,
die sich kaum unterscheiden. Niemand wagt sich hervor. Niemand zeigt
sein Gesicht. Es ist Sitte der guten Menschen, die Augen zu schließen,
wenn sich ein Mensch unabsichtlich umdreht, aus Versehen, ohne Schuld.
„Wir haben es nicht gesehen!“, versichern sie dem, dem
das Malheur passierte, wie etwa ganz kleinen Kindern, die noch nicht
gewöhnt sind, ins Dunkel zu schauen. Es ist Sitte und fällt
aus ungeklärten Gründen leicht, winzige Kinder im Licht
schön zu finden. Wer sich aber absichtlich im Lichte zeigte,
muss mit dem entsetzten Blick vieler leben, die ihn sahen oder auch
nur erzählen hörten, wie man ihn hatte sehen können.
(„Wie hässlich war er?“) Er muss lange um Verzeihung
bitten, bis all die Schatten erweichen und den Anblick verzeihen.
Schatten sind gut. Schatten sind Leben.
Licht ist gut, denn es schenkt den Schatten, durch den Menschen sich
ertragen können. Ohne Licht gäbe es die Schatten nicht und
die Menschen müssten vor Entsetzen verderben. Der Mensch, das
Wesen also, das nicht gesehen werden kann, lebt dennoch, weil es ihm
durch vollendete Kultur gelingt, nur durch sein Bild zu existieren.
Die Weisen sagen:
Wenn du mit einem Menschen lebst, sieh nicht zu genau hin, dann ist
gut leben mit ihm.
Das ist die Dueck’s Höhle: Menschen verstecken sich hinter Fassaden, in einer „Persona“, bilden Panzerungen und Hornhäute aus. Sie verschanzen sich und verbergen sich, denn was da drinnen vorgeht, geht niemand was an. Sie schminken und verkleiden sich. Sie verkaufen das Schattenbild als Image. „Kind, wehe dir, du erzählst außen irgendwas von dem, was hier zu Hause los ist.“ Sie kehren unter den Teppich und sehen nie unter ihm nach. Niemals Licht!
Und es geschah:
4Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet mitnichten des Todes
sterben;
5sondern Gott weiß, dass, welches Tages ihr davon esst, so werden
eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut
und böse ist.
6Und das Weib schaute an, dass von dem Baum gut zu essen wäre
und dass er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil
er klug machte; und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem
Mann auch davon, und er aß.
7Da wurden ihrer beiden Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, dass
sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten
sich Schürze.
DD-Hab8: Und sie machten sich Schürze für ihre Augen, auf dass sie keine Erkenntnis mehr litten.
Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes
des HERRN unter die Bäume im Garten.
9Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?
10Und er sprach: Ich hörte deine Stimme im Garten und fürchtete
mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.
11Und er sprach: Wer hat dir's gesagt, dass du nackt bist?
Das Paradies, das ist die Höhle! Wer sich nicht umschaut, kennt nur die Schatten von Eden!
Zu DD9 erhielt ich einen Leserbrief. Der klang so: „Ich arbeite
in einem hohem Bankgebäude. Manchmal sind wir oben, ab der 33.
Etage. Dort ist es ruhig, totenstill. Die Welt liegt geräuschlos
unten, ganz unwirklich und weit. Hier oben herrschen sie. Sie können
nichts sehen. Sie sehen nur Daten und Schatten. Sie fühlen sich
wohl und sind geborgen. Unten ist das Reale, das Pulsierende. Würden
sie je unten stehen, müssten sie sich wie nackt vorkommen. Deshalb
treiben sie Contra-Platonismus! Die Höhle schützt sie und
gibt ihnen Kleid. Und sie verschanzen sich gerne, nur zu ger-ne, tiefer
und tiefer in die Höhle hinein.“
Ich habe den Brief literarisch geschönt, insbesondere habe ich
die Etagenzahl um eine Einheit verändert, damit niemand daraus
etwas schließen kann. Es ist vollkommen egal, denn die Höchste
Etage ist überall. Niemand sieht dort oben, dass alle nackt sind
– wenn sie es je erkennten, würden sie sich Schürze
aus nackten Zahlen nähen.