Links im Sinnraum
Kunde, du! Wir sind nicht zufrieden! (Daily Dueck 8)
Neulich waren wir im Restaurant. Auf der Speisekarte stand Bauernsalat. Ich murmelte vor mich hin, dass ich heute lieber kein Fleisch essen wollte. Da lachten mich die anderen aus und klärten mich auf, dass gar keine Bauern drin wären, es sei nur Salat „nach Art des Bauern“ gemeint. Aha, das habe ich wohl einige Jahrzehnte lang falsch interpretiert. Ich habe noch nie Jäger-, Zigeuner- oder Kinder-schnitzel bestellt. Das fand ich ganz abartig.
Spaß beiseite! Heute las ich in der Computerzeitung einen
Artikel über Kundenmanagement-Software. Davon gibt es eine ganze
Menge. Es ist modern geworden, die Kundenbeziehungen über Computer
zu pflegen. Auf Englisch heißt es „Customer Relation Management“.
Damit ist es möglich, herauszufin-den, was die Kunden lieben
– was sie kaufen und was nicht. Die Computer berechnen das aus
meinen Einkäufen. Da wissen sie alles über mich!
Na, ich weiß nicht, ob das überhaupt geht! Der Computer
wird mich bestimmt für einen Fetischisten oder Transvestiten
halten, wenn er Zusatzbestellungen meiner Tochter irgendwie falsch
interpretiert, oder? Wie weiß er denn, wer das Zeug anzieht,
was ich bezahle? Aber – gut – man kann es versuchen. Es
geht darum, den Kunden zufrieden zu stellen. Das Zauberwort heißt
Kundenzufriedenheit oder besser ausgedrückt „Customer Satisfaction“.
Dieses Wort las ich heute in der Computerzeitung. Da leuchtete plötzlich
in mir ein Gedanke auf!
Bauernsalat!
Stellen Sie sich vor, ich hätte wirklich immer geglaubt, Holzfällerscheiben
wären aus Holzfällern ge-schnitten! So viele Holzfäller
kann es nicht geben. Das hätte mich misstrauisch machen müssen.
Und jetzt das Wort Kundenzufriedenheit! Dieses Wort habe ich mein
ganzes Leben hindurch so verstanden, dass der Kunde zufrieden ist.
Sie auch?
Aber es könnte doch sein, dass damit etwas anderes gemeint ist,
nämlich dass das Unternehmen mit dem Kunden zufrieden ist, oder?
Wenn die Bank zum Beispiel mit einem Kunden zufrieden ist, ist das
die Kundenzufriedenheit der Bank. Banken teilen gerade ihre Kunden
in gute, mittlere und schlechte ein, in A, B und C oder so ähnlich,
in Platinkunden, Goldkunden oder Silberkunden und noch solche, die
gar keinen Aufpreis für Schnickschnack bezahlen wollen, die bilden
die unterste Stufe und heißen eventuell „Comfort-Kunden“.
Die Bank sagt mir als Silberkunden dann: „Gunter, streng dich
mal an. Wir sind mit dir noch nicht zufrieden. Du muss mehr tun, damit
du zum Goldkunden aufsteigst, indem du mehr Geschäfte abschließt,
die du dir sparen kannst.“ Bei den Fluglinien sagen sie: „Gunter,
wir sind nicht mit dir zufrieden, weil deine Firma Reisen einspart,
deshalb darfst du ein Jahr lang nicht in die Lounge. Das wird dir
eine Lehre sein.“ Der Apotheker bestraft mich dadurch, dass
ich keinen wert-losen Kunstkalender bekomme, weil ich ein ganzes Jahr
gesund war. Er ist mit mir nicht zufrieden!
Kundenzufriedenheit! Mensch, ich hatte echt die ganze Zeit gedacht,
es sei gemeint, ich als Kunde wäre zufrieden!
Erst heute fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Es geht um die Zufriedenheit mit mir!
Ach, das habe ich oft gespürt, wenn ich wieder mein neues Auto
versichern musste. Der Vertreter ist immer missmutig, weil ich kein
Sorglospaket will. Ich zahle dabei alles Geld an die Versicherung
und verpfände mein Gehalt, dafür habe ich garantiert keine
Sorgen mehr. Ich will mir aber Sorgen machen! Das ärgert den
Vertreter gewaltig. Er trottet immer frustriert weg. Jetzt ahne ich,
was er mit mir macht. Er trägt in die Kundendatenbank ein, dass
ich mich nicht genug für die Versicherung einsetze. Morgen bekommt
er sicher was von seinem Chef auf die Nase gehauen. „Sie wollen
ein Verkaufs-Profi sein! Pfui über sie! Wir wollen verdammt noch
mal nur Kunden, mit denen wir zufrieden sind. Rufen Sie die Kunden
an! Geben Sie nicht nach! Verkaufen beginnt erst nach dem dritten
Nein! Die dummen Kunden werden immer schwieriger! Sagen Sie ihnen,
wir sind nicht zufrieden mit ihnen! Schauen Sie mal in der Datenbank
nach. Wir haben nur wenige Absahnkunden! Viel zu wenige!“
Ach, ja, der Arzt jammert auch, dass ich gesund bin und dass meine
Frau wieder arbeitet und nicht mehr privat versichert ist. Er ist
nicht zufrieden mit uns. Telefongesellschaften rufen uns an, weil
wir für 1,4 Cent pro Minute Call-by-Call in die USA telefonieren,
ohne uns für 10 Jahre an den Provider zu binden. Unser Volvo
hält sein Alter blendend aus, bald wird der Händler fluchen.
Es kommen schon erste Briefe. Kundenzufriedenheit! Da haben wir von
IBM eventuell immer die falsche Software bei den Unternehmen installiert,
au weia. Wir wollten damit die Zufriedenheit der Kunden maximie-ren.
Aber wenn ich zurückdenke, sortieren alle Unternehmen die Kunden
niemals nach zufriedenen oder unzufriedenen Kunden, sondern immer
nur nach satt profitablen und schwach profitablen Kun-den. Sie schauen
also doch immer nach, ob sie selbst mit dem Kunden zufrieden sind.
Und das mana-gen sie dann. Deshalb heißt es jetzt auch Kundenmanagement-Software!
Und, aha, mit mir sind sie jedenfalls nicht zufrieden.
Das ist mir alles gerade eingefallen. Bin ich denn nun ein schlechter
Mensch? Muss ich nachgeben und ein Glückslos kaufen oder Schokolade
mit Krachbrauseperlen? Mögen mich dann die Datenban-ken? Ich
fürchte, sie werden nicht Ruhe geben. Wenn ich etwas kaufe, damit
sie zufrieden sind, wer-den sie erst recht nicht zufrieden sein. Sie
werden wollen, dass ich Platin werde! So viel Geld habe ich nicht!
Sie werden also nie – nie – nie mit mir zufrieden sein.
Ich kenn das, manche Eltern und Lehrer sind so. Sie wollen Platin-Kinder.
Nie sind sie zufrieden und das ist schlimm. Was soll ich tun?
„Ich kaufe nix mehr! Seid ihr jetzt zufrieden?“
Ja – so mach ich das. Ich streike. Bis die Unternehmen sozial
werden und ab und zu auch leistungs-schwache Kunden loben. Ach, wenn
Deutschland doch von Servicewüste.