Heuschrecken! (Daily Dueck 6)

Der müntige Bürger kennt sich neuerdings mit Heuschrecken aus! Die kommen sonst nur als Plage in Bibelverfilmungen vor, wo sie den Pharao niederzwingen, der ungefähr wie Yul Brunner aussieht. Was aber hat es mit den Heuschrecken an den Kapitalmärkten auf sich? Gar nichts, es ist ein Problem breitester Dummheit.

Wissen Sie, was Risiko ist? Wenn Sie beim Roulettespiel Ihr ganzes Geld auf Zero setzen. Hopp oder Top, alles auf eine Karte. „Ich setze alles.“ Normale Menschen arbeiten brav lange Zeit und bekom-men eine kleine Pension, so der Staat will. Die aber, die Kopf und Kragen riskieren, haben meistens Pech und nur ab und zu Glück. Wenn jemand Pleite macht – dann bekommt er auch eine kleine Rente, weil er ein Mensch ist. Wenn er Glück hat, gewinnt er alles und lacht über uns, die wir denen, die Pech hatten, auch noch die Rente bezahlen.
Das Glück gehört, dem es lacht. Das Pech wird sozialisiert. Das große Pech bekommen wir als Ge-meinschaftsmenschen noch zu unserem normalen eigenen Pech dazu. Wir bezahlen die Pleiten, die Politikerfehler und die Kriege. Wir bezahlen, wenn jemand alles auf eine Karte setzt und verliert. Er hat dann, wie er sagt, auf die falsche Karte gesetzt …

Das Problem unserer Zeit ist es, dass normale Menschen keinen blassen Schimmer von Risiken haben. Ich könnte sagen: In dieser Hinsicht grassiert krasseste Dummheit.
Die Risiken von Aktien zum Beispiel werden erst seit einigen Jahren in der Wissenschaft betrachtet. Harry Max Markowitz betrachtete in den 50er Jahren Aktienportfolios unter verschiedenen Zukunfts-szenarien und erhielt erst sehr viel später, 1990, den Nobelpreis dafür. Bei der IBM arbeiteten wir schon 1988 an Verfahren, das Risiko von Aktienpositionen zu berechnen und damit die Vermögens-strukturen zu optimieren. Die Banken kannten so etwas damals noch kaum. Ich versuchte, die Wich-tigkeit dieser Gedanken zu propagieren. Es gelang nicht. Wir gaben entmutigt auf. Keiner wollte etwas von Risiken wissen! Ich konnte ja nicht ahnen, dass wenig später Markowitz den Nobelpreis dafür bekommen würde! Pech, 1990 hatten wir schon etwas anderes angefangen.
Ich weiß noch, wie ich 1988 vor Bankern dringlich vorgetragen habe, voller Verzweiflung um Auf-merksamkeit kämpfend. Ich versuchte es mit einer großen Geste und bot einer Großbank großspurig an, einen Fonds von 10 Milliarden Euro kostenfrei zu führen, solange ich weniger als 20 Prozent Ren-dite erzielen sollte. Wenn allerdings die Rendite mehr als 20 Prozent betrage, wollte ich die Hälfte von dem abhaben, was darüber lag. Da saßen sie ungläubig da und lächelten säuerlich wie über einem schlechten Scherz. Wo war der Trick? „Oh, das wäre ein gutes Geschäft für uns. Niemand schafft 20 Prozent. Das wäre ein gutes Angebot, es kostenfrei zu führen. Wie aber verdienen Sie Ihr Geld? Das sehen wir nicht.“ Ich lächelte überlegen zurück und sagte lässig: „Ich nehme die ganzen 10 Milliarden Euro und setze sie in der Spielbank auf Rot.“ – „Ja, und?“ Sie verstanden nicht. Ich wartete. „Wenn Rot kommt, werden wir alle reich. Wenn Schwarz kommt, tut es mit leid um Ihr Geld. Verstanden?“ – „Oh, das gilt nicht, das ist kein Geldanlegen, es ist Spielen.“ – „Wo ist da die Grenze?“, fragte ich. Das wussten sie nicht. Sie legten damals das Geld immer nur an.
Heute spielen sie mehr.

Ein Hedge-Fonds bekommt bei Erfolg 20 Prozent vom Ertrag, sonst nichts. Niemand kontrolliert, was mit Ihrem Geld geschieht, das steht jeden Tag in der Zeitung …
Manager werden mit Optionen bezahlt. Angenommen, der Aktienkurs eines Unternehmens notiert mit 20 Euro. Dann könnte ein Topmanager neben seinem Gehalt vielleicht eine Million Optionen zum Ausübungspreis von 30 Euro erhalten. Er hat damit das Recht, gegen 30 Millionen Euro die Heraus-gabe von einer Million Aktien zu verlangen. Da der Kurs an der Börse nur 20 Euro beträgt, nützt die-ses Recht im Augenblick nichts. Wenn aber der Kurs auf 40 Euro steigt, kauft er für 30 Millionen Euro eine Million Aktien und verkauft sie sofort wieder für 40 Euro das Stück. Er ist jetzt für einen Manager moderat wohlhabend – aber nur, wenn der Aktienkurs um mehr als 50 Prozent steigt. Sonst tut sich nichts! Aktionäre halten das für total schlau, weil sich jetzt der Manager anstrengen muss. Aktionäre denken sich, Manager sind sonst faul. Das weiß man ja. Manager brauchen einen Anreiz.
Nun stellen Sie sich einmal vor, was der arme Manager tun soll. Wenn er jedes Jahr den Gewinn um 10 Prozent steigert, dann muss er womöglich vier, fünf Jahre arbeiten, um etwas zu verdienen. Da kommt dem Manager eine tolle Idee: Er geht aufs Ganze! Er versucht, seine Firma aufkaufen zu lassen („er schmückt die Braut“), er plant ganz waghalsige Innovationen („Breakthrough!“). Er verkauft alles außer dem gewinnträchtigsten Teil, um mit dem Rest Eindruck zu machen („auf das Kerngeschäft konzentrieren“). Er kauft eine riesige Firma auf, um die Aufmerksamkeit der Finanzjongleure auf sich zu ziehen („wir werden global“). In allen Fällen beginnt er, auf eine Karte zu setzen. Er erhöht das Risiko und beginnt zu spielen, denn normale Arbeit hilft ihm selbst nichts. Wenn die Aktien unter einem wilden Gerücht nur einen einzigen Tag auf 40 Euro stiegen, so wäre er ein gemachter Mann. Anderntags könnte das Unternehmen in Trümmer gehen. Wenn der Manager aber nur immer 5 Prozent Wachstum durch normale Arbeit schafft (also wenn er normal erste Klasse ist), dann verdient er nichts und hat keine Lust mehr. Er wechselt die Firma, er bekommt dort neue Optionen. Neues Spiel, neues Glück.
Die ganze Weltwirtschaft jongliert. Firmen werden zerteilt und zusammengeschweißt, sie ziehen um, wenn ein Staat die Steuern erlässt. Hin und her. Das Hin und Her kostet uns viel Geld. „Außer Spesen nichts gewesen“, heißt es an der Börse, wenn jemand durch zu viele Transaktionen sein ganzes Geld in Spesen verwandelt hat. Versuchen Sie einmal, Ihre Urlaubsgeldscheine ein paar Mal am Schalter um-zutauschen, dann sind sie in kurzer Zeit weg. So geht es uns. Wir ruinieren uns durch Hin und Her.

Herr Müntefering schimpft auf den Kapitalismus. Weiß er, was er sagt? Es sind die Aktionäre, die Optionen ausgeben, nicht wahr? Es sind Menschen, die Hedge-Fonds kaufen, oder? Und wer ist der Dumme, am Ende? Wenn die Menschen wollen, dass Manager Wunder vollbringen und nur diese bezahlen, nicht etwa schon gute Arbeit, dann vollbringen Manager auch Wunder – am Spieltisch. Wenn wir Manager für Arbeit bezahlen, werden sie wohl arbeiten. Sie tun, was die Aktionäre wollen, nicht wahr? Was wollen Sie? Soll es Ernst sein mit der Arbeit oder ein Spiel? Wenn das Spiel verloren wird, werden Sie Ihr Geld verlieren und vielleicht auch Ihren Arbeitsplatz …
Was sagte noch der Berater der Bank? „Spekulieren Sie nur mit Geld, das Sie in etwa wie Spielgeld übrig haben.“

Die Heuschrecken sind wir. Wir fressen uns selbst. Es schmeckt uns gut. Wir sind die Dummen. So oder so.

Gunter Dueck

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