Links im Sinnraum
Beigebrachte Hilflosigkeit (Daily Dueck 4)
Wenn man Menschen barbarisch brutal hilflos macht, dann werden sie nie mehr richtig selbstst√ndig oder frei! Sie haben den Habitus der Hilflosigkeit erlernt. In diesem Zustand wirken Menschen wie Depressive. Sie werden nun angeherrscht, nicht so traurig und apathisch herumzuh√ngen. Wer aber hat es ihnen denn beigebracht?
In DD3 habe ich Hundeexperimente geschildert. Es gibt auch Versuche mit Menschen, die schmerzenden Tönen ausgesetzt werden, welche sie aber in der Versuchszelle durch das Drücken eines Knopfes abstellen können. Manche der Versuchspersonen jedoch werden in Zellen mit ganz wirkungslosen Knöpfen gesetzt. Sie resignieren unter den ständig schmerzenden Tönen und ertragen diese mit zunehmender Apathie. Wenn man ihnen nach längerer Leidenszeit verrät, dass der Knopf jetzt wieder geht, schalten sie nur sehr zögerlich. Sie lernen sehr langsam. Sie haben Hilflosigkeit erlernt.
Warum graut es Langzeitarbeitslosen bei der Stellensuche? Sie sind durch die Hölle der Dauerabweisung gegangen! Warum fürchten sich Menschen, deren engste Arbeitskollegen plötzlich per Lostrommel entlassen werden? Es ist wie ein Bombeneinschlag in Bagdad neben mir. Menschen bleiben liegen. Ich gehe in Trance unter Schock weiter. Warum leisten Kinder in der Schule nichts, nur weil sie zu Hause geschlagen wurden? Warum werden ehemals kolonialisierte Länder nicht frei, wenn man sie in die Freiheit entlässt? Warum integrieren sich Minderheiten in Deutschland nicht? Die Hilflosen hängen dann irgendwo am Tropf, entmutigt und still. Und wir rufen: „Suche Arbeit!“ – „Leiste!“ – „Sei optimistisch und frei!“
Wir schauen also auf die Apathischen und ermahnen sie, munter zu
werden. Das ist wie Trampeln auf Leichen. Denn Apathische erwachen
nicht so leicht, weil das Grauen in ihnen festsitzt. Es ist ihnen
gut beigebracht worden.
Sie erfuhren Zustände, in denen keine Anstrengung einen Unterschied
macht. Alle gedrückten Knöpfe erwiesen sich als wirkungslos.
Der schrille Ton blieb: „Du bist zu nichts zu gebrauchen. Niemand
mag dich.“ Diesen Satz hat nicht jeder von uns gehört,
sicher nicht. Aber Menschenexperimente zeigen, dass Hilflosigkeit
durch Zuschauen erlernt werden kann. Wer das Niederschmettern sieht,
den schmettert es ebenfalls hin. Es reicht, wenn ich nur selbst erlebe,
wie weinende Menschen entlassen oder wie Angehörige meiner Hautfarbe
geschmäht werden. „Stellvertretende Unwirksamkeitserfahrung.“
Sie müssen nur genug Nachrichtensendungen verfolgen.
Das Kerngefühl dieser Hilflosigkeit ist „Unkontrollierbarkeit“.
Es kommt zu Passivität, Müdigkeit, Muskelanspannung, Absinken
des Selbstwertgefühls und Appetitverlust für vieles. „Das
von mir Erwartete übersteigt mein Können.“ Lähmung.
Was kann man tun? Das ist klar! Motivierende Ansprachen! Loben! Ermutigen! Vorführen von Erfolgsmenschen, damit stellvertretend Wirksamkeit erlernt werden kann! Zeigen, dass der Knopf wieder schaltet. Ja, sicher. Der Knopf schaltet wieder. Der Kopf aber nicht.
Ich stelle die Frage: Warum kurieren wir herum, wo nicht mehr richtig
zu kurieren ist? Warum bringen wir es den Menschen denn erst bei,
dass „sie nicht gut genug“ sind? Den Schülern? Den
so genannten Ausländern? Den Arbeitslosen?
Studien haben gezeigt, dass Depressive ihre Möglichkeiten, Kontrolle
zu haben, besser und realistischer einschätzen als Normale. Normale
erinnern sich objektiv zu stark an das Positive. Sie haben Zuversicht
und Hoffnung, die ganz nüchtern besehen vielleicht schon hätten
sterben können. Alloy und Abramson führen nach Experimenten
1989 den Begriff der Illusion der Kontrolle ein.
Können wir nicht einfach etwas mehr an uns glauben? Zuversichtlich
uns so sehen, wie „wir bald sein werden“, also besser?
Nein, das können wir nicht. Denn wir sind hilflos geworden. Man
sagte uns: „Pass auf. Das kannst du nicht. Du bist zu klein.
Denk nicht, gehorche. Erwachsene haben Recht, weil sie die Macht haben.
Kinder sind ohnmächtig und brav. Schweige, wenn man dich nicht
fragt. Unter-brich nicht. Schau dich mal im Spiegel an. Ich habe keine
Zeit. Hier ist Geld. Ich kann nichts dafür, wenn du schlecht
bist. Lerne. Da ist jeder allein. Ich bin seit der Scheidung auch
allein. Schlimmer, ich blieb mit dir sitzen. Sieh zu, dass du nicht
sitzen bleibst.“
Wenn man das den Menschen sagt, verlieren sie das Gefühl der
Selbstwirksamkeit. Sie reagieren nach allen Messungen zuerst mit der
so genannten Reaktanz (Wortman und Brehm, 1975). Wer noch glaubt,
die Kontrolle wiedergewinnen zu können, kämpft darum. Er
wird hektisch, hyperaktiv, feindselig und aggressiv. (Fühlen
Sie die Schule? Die Reaktanz?). Erst wenn im Zustand der Reaktanz
die Umgebung immer noch unkontrollierbar bleibt, kommt die Hilflosigkeit
über uns. Es dämmert und wird Nacht.
Reaktanz!
Fühlen Sie, wie Reaktanz schmeckt? Wie Aufbäumen.
Spüren Sie, was die Eltern und Lehrer sagen?
„Nicht kooperativ. Gehorcht nicht. Antisozial. Ritalin. Unkonzentriert.
Böse.“
So nennen sie die Reaktanz, das letzte Zucken des Lebens.
Und dann töten sie es.
So wird die Hilflosigkeit eingefleischt. „Sag nichts!“,
flehen wir Hilflose. „Es hilft nichts. Sie werden zurückschlagen.“
Lehrer haben Recht. Professoren haben Recht. Manager haben Recht.
Macht hat Recht. „Sag bloß nichts!“, wimmern wir
Hilflose. „Wenn der Spargel den Kopf erhebt – zisch!“
Später nennen sie uns Verlierer. „Tu etwas, unternimm.
Zieh um, sieh nach neuer Arbeit. Zeuge Kinder, damit es viele Deutsche
gibt. Wirf die Bedenken ab. Sei optimistisch. Aus dir kann trotz allem
etwas werden. Du musst an dich glauben, dann werden wir irgendwann
auch einmal an dich glauben können. Dann hast du dir unsere Liebe
verdient.“
Die Macht hat bei Hilflosen leichtes Spiel. Eine Schiffsladung Spanier
kann einen ganzen Kontinent erobern. Ein paar Garnisonen halten große
Kolonien in Schach. Braucht Macht Hilflosigkeit? Vielleicht nicht
gerade genau die, aber die Macht kann Reaktanz nicht ausstehen. (Familie,
Firma, Irak.) Sie sieht den Ausweg im Befrieden. Sie verwechselt Frieden
mit Ruhe.
Und jetzt haben wir in Deutschland diese gewisse Ruhe. Sie fühlt
sich an wie Zukunftslosigkeit.
Lassen Sie uns also unruhig werden!
Ach ja – das ist schwer. Verlernen, was eingebrannt wurde. Was
man uns gelehrt hat. Was sollen wir tun? Unruhige Kinder erzeugen,
sie herzen und loben, herausfordern und stärken. „Kind
– möge die Macht mit dir sein.“
Bringen wir niemandem bei, was wir lernen mussten. Auch nicht das,
wobei wir zuschauen mussten.
(und bald geht es hier um die „Schuldfrage“…)