Spart euch die Intelligenz! (Daily Dueck 2)

Die Pisa-Studien haben ergeben, dass es bald zu wenig Intelligenz in Deutschland gibt, wenn weiterhin die Produktion der Intelligenz in den Schulen so schlecht läuft. Die Produktionsstätten der Intelligenz müssen also dramatisch verbessert werden, wenn der Bedarf in der Zukunft gedeckt werden soll. Wir müssen in Intelligenz und Wissen investieren!
So sagen alle Leute völlig einhellig. 100 Prozent Einhelligkeit!
Das muss doch fast misstrauisch machen, dass sich alle einig sind. Oder?

Noch merkwürdiger ist, dass überhaupt nichts geschieht, um die allgemeine Intelligenz auf moderates finnisches Niveau zu heben. Wir kürzen ja gerade die Zeit bis zum Abitur auf 12 Jahre!
„Was ist faul?“, dachte ich. „Wieso will niemand Intelligenz herstellen helfen? Nach den Gesetzen des Marktes wird nur dann etwas produziert, wenn es Nachfrage danach gibt.“
Ich erschrak.
Warum gibt es keine Nachfrage nach Intelligenz?
Braucht man sie denn eventuell nicht?

Nein! Man kann Intelligenz einsparen! Wozu muss denn jeder intelligent sein? Stellen Sie sich vor, alle würden studieren! Wer soll dann die hohen Gehälter bezahlen? Es ist tatsächlich besser, wir beginnen endlich, an Intelligenz zu sparen. Wie könnte das gehen? Und wie viel Intelligenz brauchen wir überhaupt? Mein Vater sagte manchmal: „Das musst du nicht wissen. Ich weiß es ja.“ Er meinte, das würde ausreichen. Und er hatte ja Recht.
Stellen Sie sich vor, Sie rufen bei einer Bank an. Dann nimmt bei einer sparsamen Bank ein Call-Center-Mitarbeiter ab. „Was möchten Sie uns abkaufen?“ - „Ich möchte nichts kaufen, nur etwas Geld an meine Tochter überweisen.“ „Ach schade, das kann ich nicht, ich verbinde Sie mit einem qualifizierten Berater. Warten Sie.“ - Musik aus dem Telefon. Nach einer Minute zu 12 Cent: „Hallo, Sie wollen etwas überweisen?“ - „Ja, an meine Tochter in Frankreich.“ - „Oh, ich kann nur Inlandsüberweisungen durchführen. Ich verbinde Sie mit unserem Auslandsexperten. Warten Sie…Moment. Hallo? Hören Sie? Wir haben nur Leitungen für Italien und Spanien frei. Darf ich Ihnen so lange etwas verkaufen? Einen Bausparvertrag? Ach, Moment, es geht doch.“ Musik aus dem Telefon. „Hallo? Hier ist der Berater für französische Services.“ - „Ich möchte etwas an meine Tochter überweisen. Wie viel kostet das?“ - „Oh, ich überweise nur. Über Preise darf ich nicht reden, wir haben Tagespreise dafür. Jetzt zu Mittag ist es sehr teuer. Dazu müsste ich Sie weiter an einen Experten überweisen.“ - „Ich will nicht dauernd überwiesen werden, sondern selbst überweisen! Verdammt!“ - „Bitte, es kostet, was es kostet. Beim Urlaubskatalog versteht auch keiner die Preisliste. Und der Hausarzt überweist Sie ja auch immer nur, mehr kann er fast nicht! Jeder Mensch muss immer nur wissen, wohin die Arbeit überwiesen werden muss, die er selbst nicht ausführen kann.“ - „Aber wer bitte, zum Teufel, kann denn etwas?“ - „Das wird durch einen Geschäftsprozess bestimmt. Das Wissen ist hauptsächlich in der Telefonanlage. Die meisten, die hier bei mir ankommen, wollen etwas nach Frankreich überweisen. Sonst verbinde ich sie weiter.“ - „Dann sind Sie nur wie ein öliger Fließbandarbeiter, der bei Roh-Autos zwanzig Jahre lang immer die gleiche Schraube andreht?“ - „Das wäre schön! Ich würde dann besser bezahlt. Ich mache das als Aushilfe von zu Hause aus. Meine Frau nebenan am Küchentisch beantwortet Fragen nach kaputten Scannern. Sie muss sagen, dass das Netzteil defekt ist, was zu 90% stimmt. Wenn es nicht stimmt, verbindet Sie weiter. Sie hat noch nie einen Scanner gesehen.“ - „Aber das ist doch hirnlos!“ - „Alle Arbeit ist hirnlos, wenn sie immer dieselbe ist.“ - „Und wer weiß Bescheid?“ - „Niemand! Woher denn? Neulich hat bei einem Nachbarn der Scanner nicht funktioniert. Er war wütend. Ich habe sofort meine Frau angerufen. Sie sagte, das Netzteil sei kaputt. Es stimmte.“ - „Und niemand weiß wirklich etwas? Mein Gott!“ - „Rufen Sie Gott an!“

Verstehen Sie? In einem guten System ist Intelligenz nicht nötig. Sie darf auch nicht zugegen sein, weil sie stören würde. Gute Arbeit muss von selbst laufen. Intelligenz kann in diesem Fall fast ganz eingespart werden. Jeder macht seine einfache kleine Aufgabe und schickt den Rest an andere Restintelligenzen weiter oder nimmt ihn nicht an. Ja, so könnte es gehen. Darauf ist noch keiner gekommen: Wir müssen an den Schulen Leistungskurse im Blitztelefonieren einrichten. Bestimmt dann ist man mit dem Abitur ein mündiger Wähler.

War das zu indirekt und nur sarkastisch? Im Ernst: Fast alle Arbeit ist vor allem Routine. Deshalb ist es intelligent, das Einfache auf niedrig bezahlte Routinearbeiter zu verteilen und nur das Wenige, was nicht Routine ist, höherwertigen Arbeitsplätzen zuzumuten. In der KFZ-Werkstatt riecht der Meister am Auto und sagt: „Drosselklappe reinigen!“ Der Rest ist Routine. In der Klinik sagt der Chef: „Herzklappe ersetzen!“ Der Rest ist Routine. Es wäre nun dumm, wenn der Meister selbst repariert oder der Chef selbst operiert. Deshalb zieht sich die Intelligenz langsam hinter Call-Center zurück. Die Arbeit wird routiniert getan - und erst dann, wenn jemand keine Ahnung hat, wie es weitergeht, wird man weitergeleitet. Beim Hausarzt, bei der Wertpapierberatung, im Reisebüro, im Kaufhaus. Wer Routine will, bekommt sie prompt. Wer mehr will, trifft auf völlige Ahnungslosigkeit! Das erschreckt Sie im Leben bestimmt sehr oft, aber das ist in einem Intelligenz sparenden System gewollt! Denn wer was weiß, will mehr Lohn! Das weiß jeder! Weil das so ist, muss sich ein sparsames System vor Intelligenz hüten. Oder die intelligenten Menschen müssten so intelligent sein, für ihre Intelligenz (die sie sich sparen könnten) keinen Lohn einzufordern. Sie müssten sich also als dumm verkaufen. Wenn Sie dann an Ihrem Arbeitsplatz ab und zu mehr wissen als die Routine verlangt, dann hält man Sie für einen fähigen Menschen, der sich weit unter Wert verkauft. Man hält Sie dann folgerichtig für dumm (also am richtigen Arbeitsplatz, der Intelligenz spart), aber man mag Sie, weil Sie Intelligenz verschenken.

Damit ist klar: Bildung zahlt sich doch aus! Nur nicht unbedingt in Geld. Für etwas anderes aber besteht heute kaum Nachfrage. Deshalb wird heute die Produktion von Bildung gar nicht erst erwogen. Pisa ärgert uns nur, weil andere angeblich besser sein sollen. Dass uns Bildung fehlt, betrübt uns nicht. Und genau dieser Mangel an Betrübnis darüber ist die Katastrophe. Sehen Sie: Wenn im Extrem jemand ganz dumm ist, merkt er das nicht. (Das Ungenierte gehört zum Wesen der Dummheit.) Er ärgert sich aber, wenn andere als klug bezeichnet werden und er selbst nicht. Das Symptom haben wir also schon. Nun fehlt uns noch die Krankheit dazu. Wenn wir aber immer mehr Intelligenz sparen, wird die Zeit das heilen.

Gunter Dueck

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